Die EM fand natürlich, wie üblich, im Juni statt. In einem anderen Abschnitt („Jackpot-Pauli“) kann man ja nach- (oder auch vor-) lesen, wie ich diesen Monat im Wesentlichen verbracht habe. Nämlich mit Gewinnen. Mag sein, dass einen zu viel Glück leichtsinnig macht, aber ich finde schon, dass ich auch so ganz gute Voraussetzungen hatte, um meine Fähigkeiten beim Wetten auf die Probe zu stellen. Nicht nur, dass mich das grundsätzliche Denken in guten und schlechten Wetten tagtäglich beim Backgammon begleitete, ich hatte mir ja sowohl seit frühester Kindheit durch allwöchentliche Stadionbesuche und durch selber Fußball spielen, als auch mein selbst entwickeltes (wenn auch noch unreifes) Computerprogramm und meine Statistik Leidenschaft auch noch weitere, wie ich fand gute, Voraussetzungen geschaffen. Kurzum: ich fühlte mich gerüstet.
Micha war ein ständiger Weggefährte. Wir haben alle Backgammon Turniere gemeinsam besucht. Zur EM hatte ich mir von SSP einen Wettzettel zukommen lassen. Da waren die ganzen Sonderwetten für die Europameisterschaft im Angebot. Also auf alle Vorrundengruppen und die Spiele, wer wird Europameister und wer scheidet wann aus. Der Entschluss war schnell gefasst: Wir überwiesen zusammen 2000 DM auf ein neu eröffnetes Wettkonto.
Wir waren uns auch sofort einig, was wir damit spielen: Das Eröffnungsspiel lautete Deutschland – Italien. Nach meiner Erfahrung enden eh alle Eröffnungsspiele Unentschieden. Dazu passte es bei dieser Konstellation noch besser, da die beiden Gruppenfavoriten aufeinander trafen. Und die 3-Punkte-Regel gab es noch lange nicht, also ein Punkt war nicht gar so wertlos. Dazu konnte man noch auf Ergebnis und auf Halbzeit- Endstand wetten. Unsere Wahr war klar: Das Spiel endet 0:0, Quote 6.5, dazu das Remis für eine Quote von 3.20 und Halbzeit-Endstand Remis- Remis gab es auch noch eine 4.5. Ein Großteil des Geldes wurde auf diese drei Ereignisse „gebunden“, eingesetzt.
Nun, vielleicht erinnern Sie sich. Das Halbzeitergebnis war, wie nicht anders zu erwarten, ein 0:0 (ich weiß, ich weiß: Anfängerglück). Dann kam Mancini und schenkte den Deutschen einen (aber keinen reinen Wein) ein. Denn zwei Deutsche konnten einen Teil ihrer Wetteinsätze damit abschreiben. Das 0:0 ist perdu. Aber wir hatten ja das viel zitierte Anfängerglück noch nicht aufgebraucht. Es war gerade die neue Regel für Torhüter eingeführt, nach welcher sie den Ball nicht länger als 4 Sekunden in der Hand halten durften beim Abstoß (regelkundige vor und Beschwerde einreichen; auch ich weiß, dass diese Regel längst wieder geändert wurde). Der Unterschied nur gegenüber früher bei den 4 Sekunden: Früher durfte man ihn entweder drei Mal auftippen oder… ich weiß nicht mehr. Jedenfalls wussten die Torhüter noch nicht, wie und ob die neue Regel angewendet wird. Der Schiri war auf unserer Seite, als der italienische Torhüter den Ball ein wenig länger hielt und gab einen indirekten Freistoß für Deutschland im Strafraum der Italiener. Und selbst wenn ich meine Deutschen Wurzeln zu dieser Zeit längst schon am liebsten verleugnet hatte, so war ich in diesem Falle doch ausgesprochen dankbar für Brehmes unwiderstehlichen Schuss nach Ablage: Das 1:1.
Die Mannschaften waren es zufrieden, der Schiri auch, dem Schlusspfiff standen nur noch ein paar Alibi-Aktionen und ein paar Pflichtspielminuten im Wege. Dann war es so weit. Unser Gewinn, trotz des vermasselten 0:0 waren doch stattliche 2000 DM. So werden Spieler zu Spielern gemacht. Da waren wir nicht die Ersten.
Allerdings war Micha danach gar nicht mehr übermäßig motiviert. Er war zufrieden. Die Einschätzung war ja auch nur intuitiv gemacht. Sicher war es Glück. Wo war die Basis? Aber ich, der ich schon immer „spielfreudig“ war und noch dazu etwas auf meine einschätzerischen Fähigkeiten hielt, machte weiter.
Im Wesentlichen erinnere ich mich daran, dass ich der Meinung war, dass die Buchmacher zu hohe Quoten anboten auf Halbzeit X und am Ende Sieg der einen oder anderen Mannschaft. Dabei pickte ich mir natürlich dann immer „meine“ Mannschaft heraus und wettete dann Halbzeit-Endstand X – Sieg meiner Mannschaft.
Dazu wettete ich noch vor den Halbfinalspielen Russland auf Europameister. Ich hatte die Mannschaft gesehen und fand, dass sie unterschätzt wurde. Sie war kein bisschen schlechter als die anderen Mannschaften, man bekam aber eine „fürstliche“ Quote von 8.0. Dazu wettete ich in beiden Halbfinalspielen meine persönlichen Favoriten, nämlich Russland und Holland.
Russland musste gegen Italien spielen und war tatsächlich in dem Spiel die bessere Mannschaft, obwohl als Außenseiter gehandelt. Das Halbzeitergebnis war, nach einigen Daumen drücken, ein 0:0,so wie ich es auch „erwartet“, besser gesagt aber erhofft, hatte. Danach kamen die Russen ziemlich ungefährdet zu einem 2:0 Sieg. Schon wieder eine Wette gewonnen! Dazu hatte ich noch ein „Pferdchen“ für das anstehende Finalspiel.
Das zweite Halbfinale habe ich mit großer Spannung und Leidenschaft erwartet. Ich fand ohnehin schon zu dieser Zeit, dass die Deutsche Mannschaft viel zu oft Glück hatte und schon viel öfter hätte ausscheiden müssen bei großen Turnieren. Ich erinnere in diesem Zusammenhang an die Weltmeisterschaft in Mexiko 1986, die ich noch in brühwarmer Erinnerung hatte. Der Turnierverlauf? Deutschland hatte wie immer Losglück in der Vorrunde. Schottland, Dänemark und Uruguay. Da gab es auch andere Gegner. Im ersten Spiel ein mühsames 1:1 gegen Schottland. Dann ein Sieg gegen Uruguay. Dann das, laut Kaiser Franz, phantastische Spiel gegen Dänemark.
Deutschland hatte natürlich in aller bester Absicht und größter Mühe auf Sieg gespielt. Denn Gruppensieger, das wäre doch was. Dann haben sie, Originalzitat Beckenbauer nach dem Spiel, „eines der besten Spiele, an das ich mich erinnern kann“ gemacht, tragischerweise 0:2 verloren und dann, ganz überrascht auf die kommenden Gegner geschaut: Gegner im Achtelfinale war Marokko! Ein richtig harter Brocken, zumal es Dänemark als Gruppensieger nur mit Spanien zu tun bekam!
Deutschland rang auch den Giganten Marokko nieder. Und zwar ganz souverän durch einen direkt verwandelten Freistoß von Lothar Matthäus aus 35 Metern in der 89.Minute, der tatsächlich flach den Weg ins Tor fand. Entrüstet musste ich später hören, dass einige behaupteten das war doch gar kein Torschuss?!?!
Auch der weitere Weg der Auslosung brachte Deutschland Giganten. Im Viertelfinale mussten sie noch Gastgeber Mexiko aus dem Weg räumen. Ich erinnere mich noch so gut an das Spiel, dass ich sowohl weiß, dass Deutschland irgendwann mit 10 Mann weiter spielen musste, die 90 Minuten und auch die 120 kurzweiligen Minuten bald um waren. Torszenen? Wozu braucht man denn so etwas für Kurzweil. Und dann gab es ein Elfmeterschiessen. Und wer hats erfunden? Deutschland gewann souverän mit 4:1.
Aber im Halbfinale muss doch endlich mal Schluss sein. Ich war längst extrem parteiisch. Jetzt trafen sie auch Frankreich. Nicht nur, dass Frankreich den mit Abstand besten Fußball gespielt hat, den ich selber seit langem gesehen hatte, sie hatten auch in einem tollen Spiel Italien ausgeschaltet und später in einem der besten, wenn nicht gar dem
(ich habe auch andere Fürsprecher) besten Spiel der WM-Geschichte, Brasilien ausgeschaltet, wenn auch erst in einem wirklich dramatischen Elfmeterschiessen.
Ich bin wohl der einzige Träumer, der auch fand, dass in diesem Halbfinalspiel die Franzosen haushoch überlegen gesehen hat. Die Tore aber machten die Deutschen, 2:0, wieder mal Finale. Zum Glück haben sie dann das Finale verloren, 2:3 gegen Argentinien. Aber in diesem Spiel wirklich das mit Abstand beste im ganzen Turnier gemacht.
Dänemark scheiterte übrigens an Aufbaugegner Spanien mit 1:5. Natürlich hätte Deutschland die auch geputzt…
Aber jetzt, zum Halbfinalspiel, hatte ich ja sogar die Gelegenheit, meine Meinung mit einem Geldeinsatz zu untermauern.
Parallel ereigneten sich die folgenden Dinge: Das Backgammon Turnier in Hamburg war gerade zu Ende. Wir hatten übrigens Mühe, dort ein Hotel zu finden, da es kurz vor dem Halbfinalspiel Deutschland – Holland stattfand. Auch hier hat mir mein Gedächtnis, meine Rechenkunst und natürlich in erster Linie das Internet Auskunft gegeben: Das Halbfinalspiel fand statt am 21.Juni 1988. Das war ein Dienstag. Das Turnier hatte bis Sonntag gedauert. Aber wir waren noch einen Tag länger geblieben. Ich hatte ja Erfolg im Turnier gehabt, außerdem bot das Spielcasino in Hamburg exzellente Spielbedingungen für Black Jack, so dass wir den verlängerten Aufenthalt dort so nutzten. Allerdings, wir mussten zum Dienstag früh raus aus dem Hotel. Es war alles ausgebucht. Sicher die holländischen Fans. Ich schaute das Spiel also in Berlin.
Außerdem hatte ich gerade Andrea kennen gelernt. Und wir telefonierten gerade wohl täglich. So auch vor dem Spiel. Aber jetzt musste ich schauen. Und in der ersten Halbzeit musste ich ja hoffen, dass noch nichts passiert. Auch wenn ich ausgesprochen parteiisch war. Und es blieb tatsächlich bis zur Pause beim 0:0. Nun gut, jetzt konnte ich ja Drücken für Holland. Aber direkt nach der Pause gab es einen Elfmeter für Deutschland, berechtigt oder nicht frage ich gar nicht erst. Matthäus verwandelte. 1:0 für Deutschland, wie immer, 55.Minute.
Ich hatte mir das Spiel übrigens auf Video aufgezeichnet. ich wollte es mir später wieder ansehen können. Und die verbleibenden 35 Minuten waren eine solche Demonstration von Klasse der Holländer. Die Deutschen kamen immer zu spät. Die Holländer waren in allen Belangen überlegen. Das war wirklich beeindruckend und viel mehr als ich erwartet hatte. Aber würde die Überlegenheit auch belohnt werden?
Der Elfmeter für Deutschland war für mein Empfinden auch, wenn man möchte, fragwürdig. Aber der Schiedsrichter hatte ein Einsehen und gab einen ähnlichen Elfmeter für Holland, 74.Minute. Koeman verwandelte, 1:1. Noch gute 15 Minuten. Das muss doch mal belohnt werden. Mittlerweile hatte ich Andrea wieder am Telefon. Ich habe es nicht ausgehalten. Das erste war die Gerechtigkeit, das zweite mein Geld und das wichtigste meine Verliebtheil. Dann, wer erinnert sich nicht, ich stand längst auf meinem Tisch, der lange Pass, Laufduell, Zweikampf, Kohler – van Basten. Van Basten als Sieger, spitzelt den Ball am Torwart vorbei ins lange Eck. Ich hüpfte noch eine Weile auf dem Tisch herum, musste mir parallel die mahnenden Worte von Andrea anhören, aber das war mir in dem Moment auch egal.
Und wie oft habe ich die Kassette wieder eingelegt…
Für das Finale hatte ich nur noch meinen kleinen Außenseitertipp auf Russland, 100 DM für Quote 8.0, aber Holland konnte ich nun wirklich nicht böse sein, dass sie das Spiel auch gewannen.
Kassensturz ergab für meinen Teil einen Gewinn von ca. 2500 DM. Warte mal auf die WM 1990, da bin ich voll da!!!