Meine Wahrscheinlichkeits Theorie
Da Sie ja nun das Buch in den Händen halten und sicherlich beim Erwerb eine Motivation dafür hatten, muss ich natürlich annehmen, dass auch für Sie die Fragestellungen, die sich ergeben, eine Rolle spielen. Dass Sie sich also Antworten darauf erhoffen. Trotzdem kann es ja nicht schaden, Sie noch einmal zu warnen, worauf Sie sich einlassen:
Zunächst mal sollten Sie sich bemühen, zwei gängige Vorurteile abzustreifen (damit habe ich Sie persönlich jetzt grad nicht gemeint, versteht sich). Dass eine ist, dass die Mathematik langweilig ist und dass da nur mit Formeln und Variablen jongliert wird, bis sich einem der Kopf dreht (mir geht es dabei übrigens auch nicht anders). Leider hatte dies bei vielen Menschen eine begreiflich Konsequenz: Die letzte Mathestunde wurde in einer großen Feierlichkeit begossen und seitdem sind sie heilfroh, nicht mehr damit belästigt zu werden (ach, Sie haben Kinder und die kommen dauernd mit den Hausaufgaben?).
Und das zweite Vorurteil wäre, dass die Wahrscheinlichkeitsrechnung für Sie keine Rolle spielt. Das stimmt nicht, wie ich aufzuzeigen versuche; sie ist allgegenwärtig und ich versuche, das an ein paar Beispielen zu erläutern.
Sie sind frei davon? Na dann los.
1) Kleine Einführung in die Mathematik
Die Mathematik ist wirklich eine faszinierende Wissenschaft. Ich bin ihr von klein auf erlegen und liebe sie einfach. Dankenswerterweise ist „sie“ ja auch weiblich. Und, Sie werden staunen, mit Hilfe der Mathematik kann man auch tatsächlich ganz einfach Freunde gewinnen. Allerdings anders, als Sie es jetzt vielleicht erwarten. Denn es geht in etwa so: Sie schnappen irgendwo das Wort „Mathe“ auf, je größer die Gesellschaft, um so besser, ergreifen das Wort, seien Sie mutig und trauen Sie mir, und eröffnen Ihre Rede: „Ja, also Mathe, äh in Mathe, also in der Schule, also Mathe, das konnte ich nie so recht, da hatte ich immer eine 5“. In diesem Moment weicht die Anspannung aus den Gesichtern und Körpern Ihrer Zuhörer, alle fühlen sich erleichtert, die Sympathien fliegen Ihnen zu und Sie haben jede Menge neue Freunde. Auf diese Unfähigkeit kann man wirklich stolz sein. Man muss sich nur trauen, es zuzugeben. Allerdings muss man sich beeilen mit dieser Maßnahme. Die Heerschar der „bekennenden, gläubigen und überzeugten Matheverächter“ wächst täglich.
Betrieben wird die Mathematik noch dazu von hässlichen Menschen, die der Welt entrückt sind. Diese, meist männlichen Wesen, wissen auch kaum von der Existenz des anderen Geschlechts, Sie haben eine andere Weggefährtin. Sie leben allein. Tragen sie sogar Hornbrillen? Hierbei handelt es sich natürlich nur um ein Vorurteil. Aber selbst da soll ja manchmal was dran sein?!
Nur um es klarzustellen: ich sage es nicht aus verletzter Eitelkeit, so nach dem Motto: Das was ich kann ist brotlos und noch dazu weiß es keiner zu schätzen. Es ist einfach nur eine Beobachtung über die Jahre. Und seit das „outen“ angefangen hat (das muss Thomas Gottschalk gewesen sein; früher neigten die Menschen dazu, zwar einen großen Bogen um die Mathematik zu machen, aber sicherheitshalber zu schweigen, wenn das Thema darauf kam, um nicht in Verlegenheit zu geraten; er sagte mal in einer Show, mit all seinem Charme, dass er das nie konnte), es sozusagen chic ist und man mit allen vereinigt ist, kann man sie noch vertrauensvoller ignorieren.
Meine erste Behauptung also: Die Mathematik ist, meist schon zu Schulzeiten, das Stiefkind unter den Schulfächern.
Nun, ich habe mich trotzdem dazu entschlossen, etwas über die Mathematik, oder zumindest die Mathematik einbeziehendes, zu schreiben. Warum? Wissenszuwachs in diesem Sinne erzielt der Neugierige durch Weiterlesen.
- Kleine Einführung in die Wahrscheinlichkeitsrechnung
Mit meiner nächsten absurden Behauptung vergraule ich Sie sicher endgültig, ich stelle sie trotzdem auf, hoffend, dass Sie nach ihrem Studium a) ihre Existenz akzeptieren und b) durch ihr Verständnis dem Effekt entgegenwirken. Behauptung 1) war also, dass man mit Unkenntnis der Mathematik „in“ ist und überall Freunde findet. Das bedeutet, dass für mich die zentrale Basiswissenschaft vieler Wissenschaften (insbesondere Natur-) sozusagen wie ein Stiefkind behandelt wird, und Behauptung 2) ist die, dass die Wahrscheinlichkeitsrechnung innerhalb der Mathematik selber das Stiefkind ist. (Bedeutet das für den durchschnittlichen Matheverächter nun, dass die Wahrscheinlichkeitsrechnung sein Stiefstief enkel ist? Und: Wie behandelt man den? )
Offensichtlich bedarf 2) der Erläuterung: Ich persönlich habe trotz meiner eingestandenen Neigung (mir scheint, eher das ist „outen“ das andere , Gottschalk, „innen“, nur die Anzahl der n´s ist nicht gesichert) auch ein gespaltenes Verhältnis zur Wahrscheinlichkeitsrechnung gehabt. Man versteht mehr und mehr, man kann da herrlich mit ein paar Zahlen spielen. Man löst einmal das Lotto-Problem, man lernt, dass man in 1/6 aller Fälle eine 6 würfelt und mit 1/36 zwei Sechsen. Aber die tagtägliche Existenz und Gegenwart der Wahrscheinlichkeitserwägungen? Diese war mir nicht bewusst und auch ich habe sie ignoriert.
Die Gründe liegen zu einem Großteil in der Natur des Menschen. Wir haben die Möglichkeit, uns in der Zeit zu bewegen. Dies gilt natürlich zunächst mal nur für Gedanken. Das heißt, wir können über die Vergangenheit nachdenken und die Zukunft planen. Und in diesem „planen“ liegt schon ein Teil des Verhängnisses: Was wäre denn ein Plan wert, wenn man die ganze Zeit über die Eintrittswahrscheinlichkeit nachdächte? Der Plan ist der: „Ab Wochenende hab ich Urlaub, zwei Wochen Spanien, auf dem Rückweg bei Oma in Stuttgart vorbei, am 23. bin ich wieder hier“. Man kann doch nicht sagen: „Wenn alles gut geht, sitze ich am Sonntag im Flieger, W-keit 99.99985%, 16:30 Landung in Sevilla, nur noch zu 99.99983%, zwei Wochen später über Stuttgart, Oma , nur noch 99.99979%, und am 23. bin ich zu 99.99972% wieder hier.“
Außer, dass wir die W-keiten gar nicht kennen, wäre ein derartiges Gespräch auch ziemlich anstrengend und noch dazu sinnlos. Wir haben es so geplant, so kommt es auch. Wer etwas Ehrfurcht hat, fügt dann gerne noch hinzu: „So Gott will.“ Und ansonsten will man ja den Teufel nicht an die Wand malen.
Und, mal ehrlich, wenn Sie eine Verabredung treffen wollen, dann wollen Sie sicher nicht als Antwort hören: „Wahrscheinlich komme ich“. Sie würden intuitiv antworten: „Was soll das heißen? Kommst du nun oder kommst du nicht?“ Ich als Gesprächspartner würde kapitulieren und sagen: „Ok, ja, ich komme. Aber kauf dir jetzt endlich das Buch, von dem ich dir erzählt habe.“ Und ich ahne, dass Sie ahnen, welches ich meine?
Wenn jemandem das bewusst wird, dann ändern sich davon die Gespräche und die Pläne nicht, aber man lebt einfach „bewusster“ (und ich verwende bewusst das Wort bewusst).
Ich persönlich bin zum Beispiel seit dem Bewusstmachen wesentlich gnädiger, wenn ich bei einer Verabredung versetzt werde. Ich sage mir immer, bevor ich den Grund nicht kenne, kann ich demjenigen auf gar keinen Fall böse sein. Das ist doch auch schon was, oder? (Wehe aber, ich erfahre den Grund. Da würden Sie mich aber kennen lernen!).
Also die Wahrscheinlichkeiten sind allgegenwärtig, unser ständiger Begleiter. Alles geschieht nur mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit, und für diejenigen, die jetzt den berühmten Spruch zitieren wollen, der übrigens bei der verständlichen Suche nach einem sicheren Ereignis entstanden ist, „müssen tun wir nix, nur sterben müssen wir“, dem teile ich meine philosophischen Gedanken zu diesem Thema mit: Hauptsächliche Basis für dieses Zitat ist das für Menschen (scheinbare, unverrückbare?) Voranschreiten der Zeit. Und selbst da habe ich meine, wenn auch äußerst geringen, Zweifel. Was ist Zeit eigentlich?
Es ist eben „nur“ eine Dimension, derer wir nicht Herr werden können (war das Orson Wells mit der Ausnahme?).
Hier ein weiteres Beispiel, wie sehr die Wahrscheinlichkeitsrechung Teil, ursprünglicher Teil, unseres Lebens ist: Wer sagte, dass Ihre beiden Eltern sich einmal treffen würden? Und dann an jenem Tage diese Samenzelle auf jenes Ei? Fragen Sie mal Ihre Eltern (oder erinnern Sie sich an ihre Geschichte), durch welchen „Zufall“ sie sich kennen gelernt haben. Philosophisch wird es aber dann ohnehin, gar religiös. Denn wo die ganzen Seelen herkommen? Hätte diese Ihre, meine, Seele, auch in einem anderen Ei von einem anderen Samen entstehen können oder gar dort „hineinwandern“?