- Vorbereitung
Der Sommer 1985. Die Erkenntnis, dass Backgammon „mein Spiel“ war, dass sich dort perfekt meine (eingebildeten) Fähigkeiten vereinigen ließen, hatte ich längst in grenzenloser Selbstüberschätzung gewonnen. Sämtliche verfügbaren Bücher hatte ich durchgelesen und noch ein Gefühl dabei entwickelt: in einem früheren Leben muss ich Backgammonprofi gewesen sein. Die sich allmählich anhäufenden Turniererfolge ließen die Illusionen wachsen und gedeihen.
Natürlich wusste ich auch, dass im Sommer jedes Jahr die Backgammon Weltmeisterschaft ausgetragen würde. Noch dazu im Spielerparadies Monte Carlo. Und was hatte ich nicht schon alles über Monte Carlo gehört! Ich hatte sogar eine Art Einladung bekommen, die eine Gratisunterkunft versprach. Ich wurde doch etwas stutzig. Was war der Haken an der Sache? Es gab eine Voraussetzung: man musste ein Konto anlegen, dort, beim Casino, auf welchem 10.000 DM zum Spielen zur Verfügung stehen müssten. Vermutlich wurde auch verhalten darauf geachtet, dass das Spielkapital „umgesetzt“ wurde. Dennoch: wer sagt eigentlich, dass man verlieren muss?
Ich dachte lange über dieses Angebot nach. Ich hatte keine 10,000 DM, sicher nicht. Aber man könnte sie vielleicht irgendwie bekommen? Dazu hatte ich das Black Jack inzwischen komplett durchgerechnet und für die wirklich sehr guten Black Jack Regeln in Monte Carlo aus Sicht des Spielers spuckten mir meine Berechnungen einen verschwindend kleinen Nachteil von 0.3% aus. Wenn man ein klein wenig Routine im Cardcounting entwickelte, würde man ganz sicher ohne Nachteil, bei perfekter Anwendung der Gewinnstrategie sogar mit Vorteil spielen. Nur war auch hierfür die Voraussetzung: Kapital. Wenn ich dann noch überlegte, was an weiteren Kosten auf mich zukommen würde, als da wären Anreise und Ernährung, so konnte ich guten Gewissens das nicht ernsthaft als „Erwerbsquelle“ behaupten.
Es blieb also beim Traum. Und diese Weltmeisterschaft mitzuspielen war eigentlich auch nur ein Traum. Ich wusste, dass das Startgeld in etwa 1800 DM (6000 FF) betragen würde. Auch über die Preisgelder hatte man Legenden gehört. So unglaubliche Beträge wie 100.000 DM für den Sieger. Noch dazu war ein Boom ausgebrochen. Man konnte mit deutlich anwachsenden Teilnehmerzahlen rechnen. Ebenso war mir bekannt, dass die Amis, aus deren Büchern ich so viel gelernt hatte, mir sicher noch weit voraus waren. Mit meiner angeborenen Überheblichkeit fiel es relativ leicht, mir das auszureden. Aber ein potenzieller Sponsor?
Ich erinnere mich noch gut an diese Zeiten: Ende 1983 Erlernen des Spieles. Backgammon Zeitgleich Ausarbeiten des Black Jack Systems. Erste Turniere mit Erfolgen im Jahre 1984. Erste Black Jack Gehversuche im selben Jahr. Aber alles eine Frage des Kapitals. Am besten aber erinnere ich mich daran, wie ich immer wieder rätselte, warum es mir in dieser Zeit nicht gelang, mehr als 1000 DM als „Reichtum“ anzuhäufen. Ich kam öfter auf diese 1000 DM, aber nie wirklich entscheidend darüber hinaus. Waren die Kosten, die das Unternehmen „Backgammon-Profi“ mit sich brachte, doch einfach zu hoch? Ich war ständig auf Reisen und sicher, trotz gelegentlicher privater Unterbringung doch überwiegend in Hotels. Wie man sieht, es war eher das Leben „von der Hand in den Mund“.
In allen Disziplinen befand ich mich im Einstieg. Aber war ich wirklich befähigt, die Profilaufbahn durchzuhalten? Mit 26 Jahren kann man noch immer umkehren, wieder studieren, seinen Abschluss machen und ins bürgerliche Leben einsteigen. Und dann kann man auch noch mit reichlich Schulterklopfen rechnen: „Wusste ich doch, dass du eines Tages vernünftig wirst.“ Aber was scherte mich das vernünftig sein? Und was wussten die Schulterklopfer in spe schon?
Ich wollte, ich musste einfach nach Monte Carlo. Es sollte doch einen Weg geben, auch um mir endgültige Gewissheit zu verschaffen, ob ich es versuchen sollte, den Traum vom Profispieler zu realisieren. Sich mit den Besten messen und am liebsten merken, dass man mithalten kann?! Und der Traum vom großen Coup, die 100.000 DM, Ruhm, Ehre und Reichtum. Und man sieht sich dann auch noch im Casino „abräumen“. Einmal mit Kapital ausgestattet könnte man die Gewinnstrategie umsetzen. „Viele fühlen sich berufen. Aber nur wenige sind auserwählt.“
Sicher stellt man Überlegungen an wie: „Was solls, ich habe 1000 DM, ich gehe ins Casino, stelle sie irgendwo rauf, Black Jack oder Roulette, egal, und wenn ich Glück habe, gewinne ich die 5.000 und kann los. Wenn sie weg sind, ändert sich nicht viel.“ Aber etwas hielt mich davon ab. Mühsam ernährt sich… , oder wie heißt es so schön?
Ich hatte noch einen Pfeil im Köcher, hielt diesen aber noch für stumpf:
Auf meinem ganzen Lebensweg hatte ich immer einen treuen Begleiter, der mich zuverlässig gestützt hat und an mich glaubte: Mein Onkel Klaus, ein Doktor der Physik. Er war sein Leben lang tüchtig und hatte immer gutes Geld verdient. Er war auch, ganz seinem Naturell entsprechend längst ins Schwabenländle ausgewandert. Kriegsgeneration, Himmelfahrtskommando, heil zurückgekommen, 400 km marschiert. Kein Pfennig wurde je vergeudet. Er hatte meine Fähigkeiten immer geschätzt, hatte mich gefördert und immer, wenn wir uns trafen, hat er mich mit Rätselaufgaben eingedeckt. Ich riskierte es. Ein Anruf, eine Frage: „Ungel, was hältst du davon…?“
Ich war mir sicher, dass er mir 500 DM sofort bewilligen würde, hatte ich schon einmal erlebt, als ich ein Skatturnier mitspielen wollte. 1000 DM, gut vorstellbar, dass er „ja“ sagt. Aber bei 5000 DM? Das war doch übertrieben. Er wusste vom Schach, dass ich ganz gut war. Aber Backgammon? Ein Glücksspiel? Warum sollte er?
Es klang, als ob er schon darauf gelauert hätte. Ich war sein Lieblingsneffe, daraus machte er keinen Hehl. Er schluckte kaum (merklich), als er den Betrag hörte. Und überwies mir 5000 DM, noch am gleichen Tag! Nur geborgt, versteht sich, nicht geschenkt. Aber was solls. Das war meine Eintrittskarte nach Monte Carlo! Ein Traum konnte wahr werden. Ob aus dem Traum gar ein Märchen werden könnte?
Ich hatte in Berlin schon Bekanntschaft gemacht mit Abi Rosenthal. Das war der einzige Spieler, der schon früher Turniere, sogar große Turniere, ausländische Turniere mitgespielt hatte. Er konnte das Spiel, keine Frage. Aber ich fühlte mich ihm durchaus gewachsen, ich war voll drin in dem Spiel. Er hatte mir gesagt, wie und wo buchen, damit wir zusammen fliegen könnten.
Ich buchte den Flug, die ersten 700 DM waren weg. Sollte ich denn trampen? Per Anhalter zur High Society? Dann mussten noch ein paar neue Hemden, ein neuer Anzug her, versteht sich, Krawatten, Schuhe, auch ein Parfum. Die nächsten 800 DM weg. Aus meiner Haut kam ich zwar nicht so schnell damit raus, aber das ist ja nur die künstliche Haut. Und wer kam da zuerst drauf, dass diese Äußerlichkeiten den Menschen ausmachen? Kleider eben?
Es war Lebensfreude pur. Ich war gespannt wie der berühmte Flitzebogen. Ich hatte den Magriel, die „Bibel des Backgammon“, noch einmal komplett durchgearbeitet. Ich war gerüstet. Sollen sie doch kommen, die ganzen Amis, ich zeig ihnen schon, wo Barthold … oder wie der hieß…
Alles war gepackt. Ich forsche zwar bis heute nach dem tatsächlichen Aufenthaltsort meines Herzen, denn ich trage es natürlich auf der linken Seite, dafür am rechten Fleck (Angeber!) und dazu noch auf der Zunge. Aber es schlug, regelmäßig, wenn auch zu schnell. Kopf, oh, wo ist der Kopf? Den muss ich irgendwo …? Ach nee, hier, aufm Hals. Beine hatte ich auch dabei, die hatte ich untern Arm genommen, die Zeit drängte. Na bitte, also einchecken, rein in den Flieger und … kneif mich, auf nach Monte Carlo! Das Datum kann ich Ihnen exakt sagen: Es war der 7.7.1985. Was fällt eigentlich, seit es keine Groschen mehr gibt? Boris Becker war 17 und gerade von zu Hause ausgezogen, in sein neues Wohnzimmer. Er war auf dem Centre Court von Wimbledon. Und er hatte ein ziemlich bedeutendes Match zu bestreiten. Sein Gegner: Kevin Curren, Südafrika. Das Wimbledon Finale. Ein Zuschauer fehlte. Der kleine Pauli. Ich hatte bis dahin jeden Ballwechsel von Bobbele gesehen, mitgefiebert und mitgezittert. Heute hatten Fieber und Zittern andere Ursachen.
Es war jetzt keine Zeit, nicht mal die Möglichkeit, das zu bedauern. Abgesehen davon: wir staunten nicht schlecht, als der Flugkapitän seine übliche Ansprache hielt, heute um ein winziges Detail modifiziert: „Die Außentemperatur beträgt –65 Grad Fahrenheit, unsere Flughöhe liegt bei 12000 Fuß, unser geschätzte Flugzeit beträgt eine Stunde vierzig Minuten und, (alles horchte auf): Boris Becker hat den ersten Satz gewonnen!“ Etwas später: „Wir befinden uns im Landeanflug auf Nizza. Wir bitten Sie, nicht mehr zu rauchen und die Sicherheitsgurte anzulegen. Boris Becker liegt ein break vorne im dritten.“ Auf dem Flughafen in Nizza konnten wir bei der Gepäckausgabe sogar das Ende des dritten Satzes sehen. Boris gewann ihn, er war auf der Siegerstrasse, das war offensichtlich.
Abi war nicht das erste Mal in Monte Carlo. Auf dem Flug hatte ich das erste Mal Zeit und Gelegenheit, mit ihm länger zu plaudern. Er war ganz Geschäftsmann und immer unter Zeitdruck sonst. Diesmal saß er angegurtet neben mir. Und hatte noch dazu den Fehler gemacht, „Window“ zu wählen…
Er fragte, wie viel Geld ich dabei hätte. Ich antwortete, wahrheitsgemäß, so ca. 4500 DM. Er meinte, das wäre für Monte Carlo viel zu wenig. Allein das Startgeld betrüge schon 6000 FF, also 1800 DM. Dann Unterkunft und Essen, für eine ganze Woche, das reiche nicht. Aber er war bereit, mir unter die Arme zu greifen. Er würde die Hälfte meines Startgeldes bezahlen. Selbstverständlich bekäme er auch die Hälfte meiner (imaginären) Gewinne, klar. Dann würde es gerade so reichen. Ich müsste aber ein Hotel ein wenig außerhalb nehmen, ein billiges eben.
Abi hat sein Leben lang immer nur gute Geschäfte gemacht. War das etwa ein reiner Freundschaftsakt oder glaubte er wirklich an mich?
Er wusste auch in Nizza, wie es weiter geht: Man nimmt ein Taxi, was sonst. Das Taxi brachte uns nach Monte Carlo. Kostenpunkt: 60 DM. Pro Nase, versteht sich. Ich begann zu ahnen, was er meinte, dass 5000 nicht ausreichten. Und ich begab mich auf Hotelsuche. Ich fand ein richtig billiges, das kostete „nur“ 100 DM pro Nacht. Ok, aber jetzt zum Turniersaal.
2) Monte Carlo
Anmeldung, gut, Francs wechseln, alles klar, 6000 FF, ich spiele im Meisterturnier, versteht sich. Es gab auch „Intermediates“ und „Beginners“. Genies wie ich gehören natürlich ins Main, Weltmeister wird man auch nur dort, im Hauptturnier. Dann schaute ich mich um: Zwei riesige, wunderschöne Säle, voll mit Backgammon Brettern. An jedem Tisch zwei. Prall gefüllt. Aber an diesem Tag nur mit Brettern. Noch hieß es also Geduld haben. Anreise Sonntag, Turnierstart am Montag. Aber ich konnte mich ja schon mal umschauen. Und: wo findet man hier Gegner? Die um Geld spielen? Ich kann ja schlecht zu einem Wildfremden gehen und ihn fragen, ob er um Geld spielte? Aber Monte Carlo kann man vorübergehend auch ohne zu spielen genießen.
Immerhin erfuhr ich, dass die deutsche Backgammonlegende Ulli Koch dabei war. Durch ihn war das Spiel in Deutschland ein bisschen populär(er) geworden. Denn: Er war im Jahr davor Vize-Weltmeister geworden. Und daraufhin hatte das Magazin „Der Stern“ einen zweiseitigen Artikel über ihn geschrieben. Er war Backgammonprofi. Ein paar Geschichten hatte ich gelesen, wie viel er gewonnen hätte, auch bei dem Turnier, und wie seine „Sitzungen“, also wenn er einen Gegner hatte für moneygame, Geldspiel, aussahen. Und wenn es auch sonst nur ein Klischee ist. Bei Ulli stimmte das wirklich, ich konnte es später x-mal bezeugen: Er spielte 60 Stunden hintereinander, wenn es sein musste.
Den Sonntag musste ich verstreichen lassen. Ich schlenderte ein wenig durch die Strassen der Stadt, hatte selbstverständlich die Badehose dabei und nutzte den späten Nachmittag noch zu einem Strandgang. Auch wenn man mich mit einiger Berechtigung als „spielsüchtig“ bezeichnen darf: diese Stunden waren keineswegs langweilig für mich. Ich fühlte mich einfach wohl dort. Ich fühlte mich zugehörig zu einer gewissen Elite. Ich passte mich an das Lebensgefühl an. Und lernte auch recht schnell, dass man ausschließlich die linke Seite der Speisekarte zu studieren hat. Es gibt einen Virus dort, der jeden Angekommenen packt: Geld spielt keine Rolle. Man spricht nicht darüber, man hat es.
Und wenn man einmal das große Casino gesehen hat, von allen Seiten, dann versteht man auch, warum Touristen aus aller Herren Länder dort hin wollen. Das Casino selber ein prunkvoller Bau, aber das dahinter liegende Meer, welches tagsüber in der Sonne funkelt und wo regelmäßig die schönsten Kreuzfahrtluxusdampfer ankern, verleiht dem ganzen noch den besonderen Charme, die Ausstrahlung. Man sieht schon auf dem Vorplatz eine solche Ansammlung von Luxuskarossen die einfach zum Stehen bleiben zwingen. Die Touristen sind allesamt ausgestattet mit Fotoapparaten, jeder will sich einmal mit dem Motiv im Hintergrund brüsten können. Etwas muss man doch für die Enkel zum Erzählen haben?
Man spürt trotz der scheinbaren Hektik eine gewisse Ruhe, von der man auch erfasst wird. Niemand scheint in Eile. Alle haben gute Laune. Wer dort ist, der ist angekommen, der gehört dazu. Worüber könnte man sich beklagen?
Ich fand etwas: wann geht es endlich los???
3) Das Turnier
Das Warten hatte Montagnachmittag ein Ende. An diesem Tage war der Turniersaal außer mit Brettern auch mit Spielern komplett gefüllt. Ich hatte natürlich keine Ahnung, wie so ein Großereignis abläuft. Ich hatte nicht viel außer Herzklopfen. Und das musste ich auch noch so gut es ging verbergen. Man schaute sich um, versuchte, herauszufinden, wie sich andere verhielten, und fand heraus: vorne stehen die Paarungen und das Brett mit der Nummer, wo man zu spielen hat. Man musste sich noch ein paar „precision dice“, Präzisionswürfel, die mit einer Nummer versehen waren (damit der Gegner die Richtigkeit der Würfel zumindest prüfen könnte) kaufen. Alles hat seinen Preis. Diese kosteten 20 Dollar, kein Problem. Dadurch, dass jeder sein Paar mit ans Brett brachte, waren Manipulationen praktisch ausgeschlossen. Ich hatte Mühe, meinen Mund geschlossen zu halten. Ich wollte das Staunen und die Ahnungslosigkeit ja nicht gleich per Gesichtsausdruck zu erkennen geben.
Gespielt wurde im K.O. System, wie bei einem Tennisturnier, klar, das wusste ich. Und ich voller Erwartung und Hoffnung ran. Höchst angespannt und aufgeregt. Ein Holländer namens Eittan mein Gegner. Er wirkte routiniert, aber ich wollte mich natürlich von nichts beeindrucken lassen. Und was kam dabei heraus?
Ich war vom ersten Wurf an chancenlos.. Und wenn man chancenlos ist, fällt einem auch das Urteilen über die Qualitäten des Gegners schwer. Sogar wird es einem gleichgültig. Ich hatte schon viele Matsches gespielt und sicher auch einige verloren. Aber so? Ich bin einfach rausgeflogen. Aus und vorbei. Nix Weltmeister. Aus der Traum. So hatte ich mir meinen ersten Auftritt sicher nicht vorgestellt. Was für eine Enttäuschung! Kein Kampf, keine Gegenwehr, einfach keine Chance. Das hatte ich so noch nicht erlebt. Was blieb außer Frust und geplatzten Träumen?
Ich wusste nichts darüber, wie so ein großes Turnier läuft. Aber ich durfte erfahren: Am nächsten Tag gab es eine Consolation, also eine Trostrunde, für alle Verlierer.
Na gut, also, Tränchen abwischen, werd ich halt nächstes Jahr Weltmeister, kein Problem. Und in der Consolation gibt’s sicher auch Geld zu gewinnen. Das gleiche Szenario: Raus, chancenlos, in der 1. Runde. Ok, was kommt jetzt? Die Depressionen wurden größer. Ich war ein kleines, ahnungsloses Bürschchen aus Berlin, das sich anmaßte, im Konzert der Großen mitmischen zu wollen. Strafe für die Überheblichkeit?
4) Das „Auction dinner“
Der Dienstag war gelaufen, alle Hoffnungen begraben. Mittwoch war auch noch Turnierpause. Und mein Rückflugticket war erst für Sonntag gebucht! Was sollte ich hier noch tun? Ich nutzte den Tag, um mich am Strand aufzuhalten. Ich hatte schon die ersten Bekanntschaften gemacht, man hatte zumindest ein paar Gesprächspartner. Und baden im 27 Grad warmen Mittelmeer in dieser Atmosphäre kann man definitiv „aushalten“. Nicht etwa, dass der Frust verflog oder mein Selbstvertrauen wiederhergestellt war, aber immerhin: ich akzeptierte, dass es einfach keinen Grund zum Leiden gab.
Der Mittwoch war auch nicht ganz grundlos frei. In Monte Carlo gibt es am Mittwoch immer das „Auction dinner“. Den Eintritt dafür hat man mit dem Startgeld mitbezahlt. Das gehörte einfach dazu, ohne fragen. Ich wusste noch nicht, was mich erwartete. Man konnte der Eintrittskarte entnehmen, dass es einen Wert von ca. 135 DM darstellte, die bereits bezahlt waren (400 FF). Wer also seine Frau/Freundin mitnehmen wollte, musste ein Extraticket für diesen Preis lösen. Und das waren sicher nicht wenige.
Dazu stand auf dem Ticket „black tie“. Was sollte das denn bedeuten? Meine Erlebnisse bezüglich Kleiderordnung beschränkten sich darauf: Bei der Deutschen Meisterschaft im Schach hatte Großmeister Ludek Pachmann, eingebürgerter Tscheche, mal gefordert, dass die Teilnehmer doch zumindest zur Siegerehrung bitte „ordentlich gekleidet“ erscheinen mögen. Er wurde ausgelacht und keiner hat der Aufforderung Folge geleistet. Aber jetzt mit „black tie“? Ich erfuhr, dass das so viel wie „mit Fliege“ bedeutet aber eigentlich Smoking und Fliege. Nun, ich mag ja irgendwie vorgesorgt haben bei der Beschaffung von halbwegs ordentlicher Kleidung. Aber einen Smoking hatte ich nun weiß Gott nicht dabei und gedachte auch nicht, mir einen zuzulegen. Ich wurde auf Nachfragen zwar insofern beruhigt, dass es eher symbolisch wäre und es genügen würde, wenn man irgendeinen Anzug und irgendeine Krawatte anhätte (bevorzugt schwarz, versteht sich). Aber dennoch. Allmählich stellte ich wirklich fest, wo ich gelandet war.
Dazu noch der Einlass. Ab 20 Uhr versammelten sich nach und nach die Turnierteilnehmer samt Begleiter vor dem Club. Und alle, die ein entsprechendes Gefährt hatten, fuhren mit ihren Luxusschlitten vor. Das waren nicht wenige. Die Prominenz verließ allerdings das Gefährt danach, selbstverständlich in Begleitung einer wunderschönen Frau. Die Dame im langen Kleid, der Herr auch der Kleiderordnung entsprechend. Und wie selbstverständlich wurde das Fahrzeug kommentarlos von einem Bediensteten weggefahren. Es können ja nicht alle, denen es gebührt, vor der Tür parken. Hi, Hi, High Society!
Wir wurden alle allmählich hinein gebeten, ich schwamm eher so, ganz und gar ahnungslos, mit der Masse, ohne jegliche Begleitung, nicht mal männliche. Dann musste ich mein Eintrittsticket abgeben. Direkt hinter der Eingangstür. Ein Herr in dunklem Jackett erkundigte sich nach meinem Namen und schaute dann in ein riesiges Buch. Er fand mich, klatschte zwei Mal energisch in die Hände, woraufhin ein Herr im weißen Jackett erschien. Dieser bat mich wortlos an seine Seite und führte mich an einen, also demnach meinen, Tisch. Ich saß da, ziemlich einsam, verlassen und verloren in der großen, weiten Welt der Reichen, Schönen und Bedeutenden.
Immerhin hatte ich die Gelegenheit, mich ein wenig umzuschauen. Und man stellt fest: Es ist einfach unglaublich, unfassbar, überwältigend. Der riesige Saal des „Sporting Club“ liegt auf einer Landzunge, die ins Meer hinausragt. Das Dach lässt sich öffnen, ebenso die Seiten, quasi Fenster, aber dermaßen gigantisch groß, dass das Wort „Fenster“ einfach nicht passt. Ich habe ihn auch noch nie geschlossen erlebt. Bei Regen vielleicht? Der Regentag in Monte Carlo ist für November angesetzt, so weit ich weiß. Man sitzt also in einem gigantischen Saal, schaut aber in den Abend- bis Nachthimmel oder auf das Meer. Dazu gibt es in dieser Jahreszeit ständig irgendwelche Feuerwerke, in der Nähe oder auch in weiter Ferne, auf dem Meer. Ein absolut gigantisches Spektakel!
Nach und nach füllte sich auch mein Tisch. Ich kannte keinen Einzigen, allen andern ging es ähnlich. Wir waren wohl der Tisch der verlorenen Seelen? Es war ein gigantisches Stimmengewirr. Es hatten sicherlich 1000 Personen Platz in dem Saal und so viele waren auch erschienen. Plus geschätzte 300 Kellner (ich hoffe, damit habe ich niemanden beleidigt?), die sich also ziemlich individuell um einen zu kümmern gedachten. Ich kam sogar allmählich ins Gespräch mit meinen Tischnachbarn. Da ich oft der Erste bin, der mit dummen Fragen seine absolute Ahnungslosigkeit zu erkennen gibt, war das Eis schnell gebrochen. Bedauerlicherweise verstanden meine Tischnachbarn aber ebenso wenig. Immerhin gab das Unwissen Anlass zur Heiterkeit.
Die Kellner waren extrem aufmerksam und es gelang einem kaum, die Hälfte eines Glases zu leeren, bevor nachgeschenkt wurde. Dazu wurde ein Menü in 7 Gängen serviert. Einer köstlicher als der andere. Ich habe bei den ersten Gängen noch probiert, herauszubekommen, was da serviert wurde. Aber wenn man Antworten bekommt, die nur noch mehr Fragen aufwerfen, unterlässt man es irgendwann. Noch nicht eine einzige Speise davon hatte ich zuvor jemals auf dem Teller gehabt, wahrscheinlich noch nicht mal ein Gewürz davon. Aber es schmeckte, und wie!
Vorne war eine Bühne, auf der noch eine richtige Show stattfand. Auftritte von Tanzgruppen, oder Artisten perfekt inszeniert, perfekte Akustik Faszinierend. Und ich erkannte sogar ein paar der Artisten. Wie war das möglich? Mir fiel ein: sie hatten am Frühstückstisch neben mir gesessen, waren im gleichen Hotel wie ich. Ich gestehe, dass ich dem einen Mann nicht so ohne weiteres angesehen hatte, dass er an einer Stange hochklettern konnte. Nun gut, das hätten Sie vielleicht auch geschafft. Aber er hatte dabei die Beine zur Seite gestreckt, den gesamten Körper also inklusive der Beine!. Höchstwahrscheinlich war David Copperfield hinter der Bühne und hat den Mann da hoch gezaubert. Jedenfalls blieb einem der Atem und vermutlich auch die Spucke weg.
Dann übernahm Lewis Deyong das Mikrofon. Und Lewi, wie ich ihn heute nennen darf, war wirklich eine Legende. Er hatte unter anderem das „Playboys book of Backgammon“ geschrieben, welches ich verschlungen habe. Ich kann es Ihnen auch wirklich nahe legen. Es geht eben nicht (nur) um Backgammon, sondern um zahlreiche unterhaltsame Geschichten drumherum. Reine Unterhaltung, kein anstrengendes Studium. Dazu war er natürlich eine Koryphäe in dem Spiel selber.
Also Lewi sprach, und er war nicht umsonst als Sprecher ausgewählt. Er konnte es einfach. Ich fühlte mich zwar glänzend unterhalten, hatte aber immer noch keine Ahnung, worum es ging. Und das lag nicht in erster Linie an mangelnden Sprachkenntnissen. Ich versuchte allmählich, dahinter zu kommen, was sich eigentlich abspielte. Und verstand mehr und mehr: Die einzelnen, noch im „main“, also im Hauptturnier der Weltmeisterschaft befindlichen Spieler wurden versteigert! Das war also die „auction“, für die das Dinner veranstaltet wurde! Am Ende geht es doch immer um Geld, oder?
Es waren zu dem Zeitpunkt noch 64 Spieler im Hauptfeld. Diese 64 Spieler waren zum Teil in 4er Gruppen zusammengefasst. In den 4er Gruppen waren alle weniger bekannten Spieler. Aber „seeded“, gesetzt, waren die Berühmtheiten, die Backgammon Legenden eben. Und ein jeder dieser Gesetzten wurde von Lewi in den schillerndsten Farben mit all seinen Erfolgen vorgestellt. Und es wurden riesige Beträge aufgerufen für die einzelnen Spieler, auch für die Gruppen.
Ich verstand allmählich, dass das absolut analog zum Turnier erfolgte. Wenn man einen Spieler, eine Gruppe, ersteigert hatte, hatte man den Anteil von ihm (ihr) am Preisgeld gekauft. Man hatte also ein (bis vier) Pferdchen erworben für die Dauer des Turniers, für die man dann die Daumen drücken konnte. Und auch settlen, klar. Ein bisschen „side-action“, wie es der Ami gerne nennt.
Aber jeder Teilnehmer, der ersteigert wurde, hatte das Recht, sich bis zu 50% der für ihn gebotenen Summe von seinem Eigner zurückzukaufen. Man konnte demnach auf diese Art noch mehr auf sich setzen, wenn man wollte (das Startgeld ist ja auch ein „auf sich setzen“).
Also, kurzum, eine einmalige, rundherum gelungene Veranstaltung. Das beste Essen je in meinem Leben, die schönsten Frauen, die beste Show, die beeindruckendsten Persönlichkeiten, der beste Wein, das beste Essen, von allem das Beste, Schönste, was ich je erlebt hatte!
5) Die zweite Turnierhälfte
Donnerstag. Vormittags, man hatte sich daran gewöhnt und ich hatte mit Schlafen eh nicht all zu viel zu tun, ab an den Strand. Ein paar Leute traf man dann schon, ein bisschen schlendern, später in eines der an der Strandpromenade gelegenen phantastischen Restaurants, dann ging die Zeit schon rum bis zum Nachmittag, wo endlich das Turnier weiterging. Es gab eine weitere Trostrunde. Die so genannte 2nd Consolation, die zweite Trostrunde. Sie vermuten richtig, mein Schicksal blieb das Gleiche: Raus in der 1. Runde. Alle Matches hatte ich verloren. Alles Geld weg. Ich war mal so ein richtig echter Backgammonprofi… Hätte ich bloß auf meine Eltern gehört!
Und am Abend oder auch die ganze Nacht hindurch konnte man noch Mini Jackpots spielen. Kleine Jackpots, 8 Teilnehmer, k.o. System, der Gewinner bekommt alles, abzüglich 10% für den Organisator. Oder man konnte money game spielen, um Geld, freie Partien. Aber nur, wenn man einen Gegner fand. Die gab es reichlich. Aber wer war gut, zu gut? Ich habe zugeschaut bei anderen Partien, sicher. Aber in der Regel wurde das Geld nicht über den Tisch gereicht. Die gewonnenen Punkte beim Geldspiel wurden notiert und das finanzielle später erledigt, musste ich annehmen.
Ich hatte von nix ne Ahnung. Also habe ich Mini-Jackpots gespielt. Auch immer verloren. Ich hatte meine Strähne, eine richtige Strähne. Eine Verluststrähne. War ich wirklich so schlecht? (als ich mal bei einem Schachturnier in derartiges Selbstmitleid verfiel und meinem Freund und heutigen Großmeister Klaus Bischof mein Pech nach einer verlorenen Partie klagte: „Ich bin so schlecht.“ Da antwortete dieser im besten Ulmer Dialekt „durch und durch.“)
Gut, es gab ja noch zwei Tage. Und es gab noch ein letztes Turnier, für alle, die ausgeschieden waren, alle Verlierer aus dem Hauptturnier, alle Verlierer aus der 1st und der 2nd Consolation. Alle, die in den anderen Wettbewerben nicht in den Preisrängen waren. Und das waren sehr viele, um genauer zu sein fast alle. Und das nannte sich „Last Chance“. Die letzte Chance also. Klar war ich dabei. Was soll an Essig sauer werden?
Das waren Mini-Matches, nur bis 5 Punkte (die anderen waren bis 15, 17 oder 19 Punkte). Damit es schnell ging. Das Turnier hatte ja nur noch zwei Tage. Man kann natürlich auch die gut spielen, der Glücksfaktor erhöht sich trotzdem, klar. Also, ob glücklich oder verdient, ich gewann die 1. Runde. Ich gewann die 2. Runde. Der Gegner zur dritten Runde trat nicht an. Kampflos weiter. Die 4. Runde, ich gewann. Die 5.Runde, ich gewann wieder. Noch eine Runde, allmählich schien es mir, dass der Sieger vorbestimmt war. Auch die 6.Runde ging an mich. Hatte sich der Bischof etwa geirrt? Es schien so einfach plötzlich. Steinchen rumziehen, auswürfeln, fertig! Wo war denn die ganzen Tage bloß das Problem?
Der Tag ging zu Ende. Ich wagte mich vorne ans Tableau, wo alle Paarungen angeschlagen waren. Wie weit war ich denn nun gekommen? Ich war bereits unter den letzten acht! Wow, da war es ja wieder, dieses Herzklopfen. Und dann riskierte ich noch einen Blick auf die Preisverteilung. Bedauerlicherweise war niemand geistesgegenwärtig genug, mich abzulichten, als ich meine Kinnlade vom Fußboden aufhob. Der Sieger erhielt 11323 $! Der Zweitplatzierte auch noch 5662$. Und man muss wissen, dass der Dollarkurs gerade in diesem Jahr auf einem Rekordhoch war. Der Höchststand war bei über 3.20 DM pro Dollar. Es winkten über 30.000 DM!
Ich habe gar nicht erst versucht zu schlafen. Ich hatte wohl jetzt meinen Lauf. Ran an die Minijackpots. Und ich gewann weiter. Ein Match nach dem anderen. Und ich hab dann nur noch größere gespielt, die mit 500 FF Startgeld. Die Rechnung war einfach: 8 Teilnehmer, je 500 FF Startgeld, 4000 FF minus 10% = 3600 FF. Nach zwei Matches das Finale, Les Boyd, der Veranstalter dann immer: „Do you guys wanna split?“ „Yes, we split.“ Im Finale haben wir geteilt. 1800 FF für jeden. Und es lief, die ganze Nacht durch. „Paulsen, you wanna split?“ „I split.“ Wieder 1800 FF.
Meine Taschen füllten sich allmählich mit 500 FF Noten, je 150 DM ca. Was für ein Gefühl!
Ein paar Stunden Schlaf am Vormittag, ein paar Stunden Sonne am Strand. Dann ging es weiter. Viertelfinale der Last Chance. Mein Gegner fragte mich, ob wir etwas machen wollen. „Wie, was machen?“ „Would you like to settle a little bit?“ Ach so, ja, gerne, eine gute Idee. Kannte ich noch nicht, hört sich aber gut an. Wie viel denn? „How much?“ „200 $? Winner pays loser.“ Ok, der Gewinner gibt dem Verlierer 200$. Na gut, wenn er das sagt? Einverstanden. Er hatte insofern Glück, als er immerhin 200$ bekam. Das Match ging an mich.
Halbfinale. Wieder ein settlement, diesmal etwas mehr. Wieder gewann er. Allerdings nur das settlement.
Dann das Finale. Diesmal kein settlement, denn wir hatten ja beide einen schönen Betrag sicher. Wir begannen das Spiel in dem normalen Turniersaal. Nur war es bereits relativ spät, eines der letzten Matches, das gespielt werden musste. Der Turniersaal war nur bis zu einem bestimmten Zeitpunkt reserviert, dann gab es dort eine andere Veranstaltung. Ich befand mich aber recht schnell auf der Siegerstrasse. Das Match ging bis 11 Punkte, länger als die anderen also. Beim Stande von 9-5 für mich mussten wir unterbrechen und in einen anderen Saal umziehen.
Diese Gelegenheit nutzte Kent Goulding, seinerseits Legende, Autor zahlreicher, phantastischer Backgammonbücher und viele Jahre der Buchmacher, der auch bei diesem Turnier Wetten anbot, um auch mir eine kleine Wette aufzuschwatzen. Er bot mir eine Quote von 4.0 an, wenn ich auf meinen Gegner wetten würde. Also 4.0, dass ich das Match noch verlieren würde. Ich war gar nicht fähig zu dem Zeitpunkt und in meinem Zustand, das nachzurechnen. Meine Erfahrung mit Wetten selber war zu diesem Zeitpunkt noch gering. Ich war überrascht, glaubte aber nicht an einen Vorteil, so ist es nicht. Kent wusste schon, was er tat. Ich kramte 7000 FF aus der Tasche, einen Teil der Jackpot-Gewinne, und wettete auf meinen Gegner. Ich hätte also bei Verlust des Matches 28000 FF (zusätzlich zum 2.Preis) kassiert. (Die korrekte Auszahlungsquote wäre übrigens 5.0 gewesen, Kent, der Fuchs, wusste das natürlich.)
Glücklicherweise verlor ich die Wette. Ich gewann nämlich das Match, einfach. Siegerehrung am Abend. Die war absolut unspektakulär. Von Schachturnieren kannte ich das immer so, dass alle mehr oder weniger schweigen, die Sieger nach und nach auf die Bühne gerufen werden und alle ihren Pflichtapplaus kassieren. Die Reichen und Schönen machen das offensichtlich anders. Beim Schachturnier hat man ja bereits Neider, wenn man 200 DM gewinnt. In der Welt der Reichen und Schönen kann man aber selbst mit 11323 $ nicht besonders angeben. Über Geld spricht man ohnehin nicht, Geld hat man. Und die Glanzleistung, eine Last Chance zu gewinnen, hat die versammelte Gesellschaft einfach nicht zu würdigen gewusst.
Aber was scherte mich das. Ich wurde aufgerufen, habe mit Mühe im Stimmengewirr meinen Namen vernommen, ging nach vorne und bekam einen Umschlag. Das war ein richtig dicker, fetter Umschlag. Größere Noten als 100er wurden sowieso gar nicht gehandelt und selbst die ungern. Mein Umschlag war prall gefüllt mit Dollarnoten. Bisher kannte ich solche Empfindungen nur von Dagobert Duck und seinen legendären Geldbädern. Kneif mich doch bitte noch ein Mal!
Abi bekam seinen Teil. Ich ging in sein Hotel, das Hotel de Paris. Alles Gold, alles glänzte. Abi war bereits Millionär. Sein Zimmer – ein Traum. Von den settlements in Viertel- und Halbfinale wusste er. Das war selbstverständlich und waren auch nur kleine Beträge. Aber von der Wette bei Kent wusste er nichts, wie sollte er auch? Ach, was einem so alles passieren kann im Spielerleben! Wie war das abzurechnen? War er dabei oder war er nicht dabei? Es waren immerhin über 2000 DM, deren Besitzer zu bestimmen war. Abi hatte gleich die richtige Fragestellung für mich parat. Und diese erzähle ich Ihnen, da das Problem öfter mal auftauchen kann (und auch aufgetaucht ist) aber ich seitdem zumindest diese Frage immer aufwerfe, mir selber und auch dem anderen Beteiligten: „Was hättest du denn gemacht, wenn du das Finale verloren hättest? Hättest du mir dann auch davon erzählt?“ Das hat etwas von Salomon. Man ist weiterhin auf Ehrlichkeit angewiesen. Ehrlichkeit, auch sich selbst gegenüber. Was sollte er schon antworten, wenn ich sagen würde: „Natürlich hätte ich es dir auch erzählt und so mit dir abgerechnet.“ Aber ob es stimmt? Das ist besonders dann kritisch, wenn man genau in dem Moment, da man das settlement macht, gar nicht an das Problem und den Partner denkt.
Abi war aber sowieso in guter Stimmung und gnädig. Ich war auch insofern ehrlich, als ich sagte, ich wüsste es nicht, Es ist schwer, sich in die Situation hineinzudenken. Ich hätte das Finale verloren. Ich wäre zu Kent gegangen, hätte kassiert. Warum sollte jetzt Abi dabei gewesen sein? Man kann sich Vieles zurechtlegen… Abi war also freiwillig dabei, die dadurch verlorenen 7000 FF wurden auch durch zwei geteilt. Unsere Freundschaft gedieh.
6) Nach dem Turnier
Und meine Strähne war noch nicht zu Ende. In der Nacht noch mehr Jackpots, ich gewann weiter. Immer neue Francs Noten. Ich weiß nicht, ob Sie diesen Traum kennen, aber ich habe ihn genau so schon oft geträumt: Man findet ein Geldstück. Ein schönes Gefühl. Aber man schaut sich um. Noch ein Geldstück. Oh, da liegen ja noch mehr. Es liegen plötzlich haufenweise Geldstücke da, man muss sie nur noch einsammeln! Was für ein Glück, was für ein Gefühl! Leider wacht man in dem Moment auf… Aber dieser Traum schien Wirklichkeit geworden zu sein.
Ich habe später ausgerechnet, dass ich an den letzten zwei Tagen von 23 Matches 21 gewonnen hatte. Das nenn ich mal einen Lauf! Und meine Taschen quollen über. Ich quoll über vor Glück. Na, ich musste nicht all zu lange nachdenken. Ich war in der großen weiten Welt angekommen, im Spielerparadies, und ich gehörte dazu. Ich hatte sogar einen Computerausdruck von meinem damals bereits „fertigen“, verwendbaren, Black Jack-Programm dabei. Und Black Jack konnte ich dort auch spielen, das hatte ich unbedingt vor. Die Regeln waren sehr günstig, das wusste ich. Außerdem hatte ich bereits eine weitere Legende, diesmal allerdings eine Black Jack Legende, kennen gelernt: Dennis Carlston. Dennis war auch ein Ass im Backgammon. Er wohnte ebenfalls im Hotel de Paris, war Abis bester Freund. Dennis sagte mir, er hätte seine erste Million mit Black Jack verdient. Man ist geneigt, ihm zu glauben, aber dazu später mehr…
Also, kurz und gut, ich stand mit Abi im Hotel de Paris. Das Taxi zum Flughafen war bestellt. Unsere Koffer waren gepackt. Abi stieg ein. Ich sagte nur noch zu ihm: „Abi, ich bleibe.“. Ich blieb, ich musste bleiben. Mein Ticket verfiel. Viele Backgammonspieler waren ja auch noch geblieben. Ich wollte, musste einfach weiter spielen.
In meiner kleinen „Absteige“ war ich allein, keine anderen Spieler. Ausgecheckt hatte ich schon. Und wo zieht man als Neureicher hin? In eines der Luxushotels natürlich. Das Beach Plaza war gerade recht. Hotel mit eigenem Strand. Dort waren viele der gebliebenen Backgammonspieler. Und manchmal sah man am Strand auch Stefanie von…
Mit etwas Geld in der Tasche spielt es sich wirklich leichter. Der Lauf ging weiter. Es wurde fast den ganzen Tag Backgammon gespielt. Ich hatte viele Gegner gefunden. Es ergab sich immer irgendetwas. Backgammon war „In“ in diesen Tagen, wurde auch von weniger Begabten Spielern, Einheimischen oder zufällig Vorbeikommenden gespielt. So nach dem Motto: „Backgammon? Ja, kenn ich. Spielen wir ein paar Partien?“ Und spielerisch war ich nicht gar so schlecht, denke ich. Dass ich weiter gewann im Backgammon war vielleicht nicht mal Glück.
Aber dass ich abends im Black Jack auch noch anfing, zu gewinnen? Und, ich gebe es ehrlich zu: Ich habe auf das Cardcounting, das Karten zählen, fast gänzlich verzichtet. Ich konnte die Technik noch nicht mal richtig. Und das wäre auch Arbeit gewesen. Wer braucht denn so was? Ich wusste, dass ich bei den in Monte Carlo sehr günstigen Regeln nur maximal 0.3% Nachteil hatte, bei bestmöglicher Strategie. Also warum nicht einfach ein bisschen gambeln?
Und es funktionierte. Ich schwamm auf der Glückswelle. Was gibt es Schöneres als einfach zu gewinnen? Ich schlief bis mittags, ging dann runter an den bereits fertigen Mittagstisch, trank einen Kaffee, ein Wasser und aß dazu das Tagesmenu (145 FF). Ich saß in der Sonne und genoss das Leben. Mehrmals am Tag sprang ich ins Meer, schwamm weit raus, dann der Rückweg mit dem Blick auf das malerische Monte Carlo. Es war wie im Traum. Und gewinnen, gewinnen, gewinnen.
Mein Reichtum wuchs, täglich, wie es mir vorkam. Natürlich war es nur gefühlter Reichtum, denn wie weit kommt man schon mit 23000 DM? Außerdem stellte ich fest, dass es auch ein Leben neben dem Spielen gibt. Ich hatte fast täglich eine Partie mit Franco, dem DJ der Disco, dem „Jimmyz“. Franco, gebürtiger Italiener, war ein ausgesprochen pflegeleichter Fall. Denn, wer im „Jimmyz“ auflegen darf hat garantiert kein schlechtes Einkommen. Er war stets höflich und nett. Er war auch am Spieltisch ganz brav und artig. Er verlor. Dann hat er ebenso lächelnd bezahlt. Und dann lud er mich, als echten Freund, auch noch in die Disco ein.
Macht Geld wirklich schön oder was? Jedenfalls ging ich hin, bald täglich. Eines Tages sah ich beim Reingehen eine wunderschöne Frau, blond und Gold behängt, tolle Figur. Ich fühlte mich noch nicht mal mutig, als ich sie ansprach. Wie nennt man es noch? Das Savoir-vivre? Gott soll es ja ausgerechnet in Frankreich auch besonders gut gegangen sein. Der Sprachcheck ergab, dass es einen einzigen Schnittpunkt gab: Französisch. Mein Schulfranzösisch war nicht übermäßig gut erhalten geblieben und in Monte Carlo ergaben sich leider wenige Gelegenheiten, das aufzupolieren. Man sprach Englisch. Wenn ich mal versuchte, beim Room-Service auf Französisch zu bestellen und das erste Mal ins Stocken geriet oder ein Wort nicht wusste, wurde sofort auf Englisch gewechselt.
Sie war Italienerin. Italienisch konnte ich (noch gar) nicht. Auch ihr Französisch war nicht überragend (erinnert mich an Tucholsky, Deutsch für Amerikaner, dort heißt es „ich spreche schon geflossen Deutsch, nur manchmal breche ich noch etwas Rad.“). So war unser Gespräch. Immerhin hat es mit der Getränkebestellung geklappt, sie war noch in weiblicher Begleitung, also zwei Wasser, ein Glas Wein, 200 FF, 60 DM. Günstig, sagen Sie? Wir sind ja immerhin im „Jimmyz“! Und wenn ich noch ein paar Tage gewartet hätte, wäre sicher auch Boris Becker noch erschienen.
Das Gespräch war angesichts der lauten Musik und der Sprachbarriere nicht besonders ergiebig. Aber wozu unterhalten? Wenn ich zum Abschied alles richtig verstanden hatte, wollte Sie am nächsten Tag zu mir ins Hotel kommen, um 15 Uhr. Meine Zimmernummer muss ich halbwegs korrekt gesagt haben (trois-cent-quatre-vingt-dix-huit oder was es auch war), denn …
Ich hatte ein Zimmer mit Blick auf Meer und Parkplatz, also zur Seite des Hotels. Und ich gestehe ganz ehrlich: Ich habe so gegen 15 Uhr von meiner Terrasse doch ziemlich aufgeregt immer wieder zum Parkplatz geschielt. So richtig glauben konnte ich es eigentlich nicht. Diesen Moment und diesen Anblick werde ich aber jedenfalls auch niemals vergessen, als ich sie plötzlich direkt vorm Hotel über die Strasse huschen sah.
Und wer hat bloß diese dämliche Regel aufgestellt „Glück im Spiel, …? Zu meiner Ehrenrettung: Ich war 26, frei und ungebunden, Britta wollte mich ja nicht.
Also wie sagt man als Möchtegern Kavalier? Das Gespräch war, auch eingedenk der sprachlichen Barrieren, eher zweitranging… Immer konnte ich erfahren, was laut hieß (fort). Das war aber der Fernseher. Ich habe ihn leise geschaltet…
Anschließend gingen wir noch Schwimmen. Wir schwammen zu der kleinen Badeinsel, zu der weit draußen. Wir gingen dort an Bord. Und wenn Sean Connery alias James Bond nicht mit Ursula Andress schon mal an der gleichen Stelle ausgestiegen wäre (Goldfinger), dann wäre das Erlebnis auch wirklich einmalig gewesen Sie war übrigens die Frau des Ex-Trainers vom AS Rom. Und a) wissen Sie, was heute meine Lieblingsmannschaft ist und b) nennt man das nicht wirklich mal „den Duft der großen weiten Welt“?
Ich begleitete sie noch zurück zu ihrem Auto. Man konnte den Abschied nicht wirklich als traurig bezeichnen. Sie setzte sich in ihren Alfa, hauchte mir ein Küsschen zu und düste los Richtung Ventimiglia…
Aber das war noch nicht alles. Heute weiß ich, wie man so etwas nennt: Vom Glück umgerannt. Man hat es nicht bestellt, man hat es sich nicht erarbeitet, es rennt einen einfach um. Die Bedeutung kennt man nicht und denkt nicht mal drüber nach. Man gerät in einen Rausch.
An einem späteren Abend war ich wieder mal im Casino, schaute mich um, und da stand schon wieder so eine umwerfende Frau an der Bar. Ich habe eine Weile zu ihr geschaut, sie hat auch geschaut, dann waren alle Bedenken verflogen, ich sprach sie an. Wieder sprach sie nur französisch. Und sie verwies zugleich auf ihren Mann, der an einem Spieltisch saß. Viel hatte ich ja nicht verloren dabei. Aber, ach, wir sprachen weiter, und irgendwie signalisierte sie Interesse. Ich fragte wohl irgendwann, ob wir den Standort wechseln wollten? Sie antwortete etwas, was ich nicht ganz verstand. Also ging ich an einen der Spieltische und fragte einen Bekannten, der englisch und französisch sprach, was es hieße. Die Erkenntnis war schnell gewonnen: „C´est tot.“ Es ist ja noch früh. Sie ginge noch mit ihrem Mann essen und käme dann wieder. Also hatte ich wirklich ein date mit ihr? Glauben konnte ich auch das nicht, aber es deutete einiges darauf hin.
Sie ging los mit ihrem Mann und ich musste die Zeit überbrücken. Was tat ich also? Ran an den Black Jack Tisch. Ich habe einfach gespielt. Wer braucht Cardcounting? Ich habe ein System: Rauf mit den Chips, gewinnen, wieder rauf, wieder gewinnen. Das ist ein System! So einfach ist das. Minimum Einsatz an dem Tisch waren 500 FF, 150 DM, wie gesagt, Minimum! Deshalb durfte ich auch alleine spielen, der Tisch war extra für mich eröffnet worden. Nur ich und der Croupier. Der Chips Stapel vor mir wuchs und wuchs. Es bildete sich sogar eine Menschentraube, Zuschauer kamen, das wollten die Leute sehen. Endlich mal einer, der richtig gewinnt! Ich nahm alles nur in einem Rauschdauerzustand wahr.
Dann verlor ich zwei Spiele hintereinander und habe sofort aufgehört. Das hatte ich mir vorgenommen, und das habe ich umgesetzt.
Zunächst musste ich mir noch einige gute Ratschläge der Umstehenden anhören, warum ich denn aufhörte etc. Mein kleines bisschen Restverstand habe ich aber nicht für Antworten vergeudet, der war ausgelastet für die erforderliche Disziplin. Das Casinopersonal brachte mir noch eine Vorrichtung, mit der ich die Chips zur Kasse transportieren konnte. Ich war überrascht, das wäre einem in Deutschland nicht passiert. Aber ich verstand: Solche Gewinner sind willkommen. Die sorgen für Spektakel, dafür, dass die anderen Leute auch motiviert werden, zu spielen. Und fast alle, auch und gerade wenn sie gewinnen, bringen das Geld sowieso zurück, in Form von Verlusten, versteht sich. Ich zählte den Gewinn nach: 24.000 FF!
Dann kam die Frau tatsächlich zurück. Und, ich kann es mir selbst alles nicht erklären, sie ging mit mir aus dem Casino, sie führte mich quasi. Ich wusste nicht, wohin. Wir sprachen auch nicht. Hier war doch gar keine andere Bar oder so? Wohin ging es denn? Allmählich dämmerte es mir: Wir waren auf dem Weg auf ihr Zimmer! An irgendeinen Dialog kann ich mich absolut nicht mehr erinnern. Nur noch an folgendes: Wir landeten direkt auf ihrem Bett. Die minimal erforderliche Menge an Kleidungsstücken wurde abgelegt. Wir müssen uns dann zumindest in höchst verfänglicher Position befunden haben, als — plötzlich das Telefon klingelte. Sie beeilte sich, das Gespräch anzunehmen, festigte ihre Stimme und sprach halbwegs normal. Ich musste nicht all zu viel verstehen, um zu wissen, was los war: Ihr Mann! Und er war Araber! Ich frage mich bis heute, was passiert wäre, wenn er, anstatt anzurufen einfach zum Zimmer gekommen wäre … Tja, manchmal hängt das Leben am seidenen Faden.
Die Kleiderordnung war blitzschnell wieder hergestellt, ihre Frisur in Windeseile arrangiert, wir verließen das Zimmer und – unsere Wege trennten sich. Aber erstaunlich war: sie war aus Marseille, drückte mir noch einen Zettel in die Hand mit ihrer Telefonnummer. Ich habe sogar später einmal dort angerufen, kam aber nicht entscheidend weiter, wusste nicht mal, wen ich am Telefon hatte (Immerhin, die Stimme: weiblich).
Aber selbst danach war es noch nicht vorbei. Ich lebte wie in Trance in France. Ich hatte noch eine Frau kennen gelernt, aber mich nur mit ihr unterhalten. Am Abend waren wir ins Kino verabredet, einer Freilichtbühne. Sie erschien mit einer Freundin. Sie selber hatte nämlich einen Freund. War das ein Verkupplungsversuch? Jedenfalls schauten wir einen englischen Film mit französischen Untertiteln an. Und ich sage Ihnen, wenn Sie das täglich machen würden, würden Sie nach zwei Wochen beide Sprachen beherrschen, schätze ich. Unglaublich, was man da lernt!
Jedenfalls war die erste Dame, eine Kolumbianerin, anschließend weg und ich ging mit der anderen. Wohin? Erraten. Ins Casino. Und es ging weiter. Sie saß neben mir, ich war der einzige Spieler am Tisch, und ich gewann. Konnte es überhaupt noch schöner sein, das Leben? Ich gewann weitere 11000 FF. Und einmal fragte ich sie zwischendurch, was sie von meinem Spiel hielte, nur daran erinnere ich mich noch. Und sie antwortete: „It seems, that you know, what you are doing.“ Aber so ganz genau wusste ich es eigentlich nicht. Ich kannte die Basic Strategy, das schon. Aber Karten zählen? Nix. Ich hab den Papst in der Tasche!
Wir gingen gegen 5 Uhr zu ihr in die Wohnung und endlich konnte ich mal wieder mein wahres Gesicht zeigen: Getrennte Betten, ich habe keinerlei Anstalten gemacht, obwohl sie auch wirklich attraktiv, groß, schlank war. Und dann? Eine Stunde Schlaf, ich wusste, dass um 7:30 ein Boot nach St.Tropez ging. Koffer gepackt, checkout, ab zum Hafen, rein ins Boot. Ich bin weggelaufen. Erst vom Glück umgerannt, dann vorm Glück weggerannt.
So konnte es nicht weitergehen, da musste ich einen kurzen wachen Moment gehabt haben, um zu wissen, dass man sich langfristig nicht vom Glück ernähren kann.
Die Hotelrechnung belief sich übrigens in den 3 Wochen Aufenthalt auf 20000 FF. Ich habe sie danach noch jahrelang aufbewahrt. Ein Tag hatte mich in etwa 300 DM gekostet. Und war jeden Pfennig wert.
Und was lehrt uns das alles? Ich bin stolz auf mich und meine Selbstdisziplin. Ich weiß ganz sicher, dass auch andere Leute schon solche Glückssträhnen hatten. Aber wer irgendwann anfängt, sich auf das Glück zu verlassen, ist der erste Verlierer. Denn es kommen die Tage, wo es nicht mehr gut läuft. Und wenn man mit Nachteil spielt, so wie ich damals, zumindest an den Black Jack Tischen, (wenn auch nur mit sehr, sehr kleinem), dann kommt es doch noch eher, als man denkt. Und dann versucht man, diese Glückssträhne wieder einzufangen oder hofft auf die nächste. Und irgendwann ist das Geld alle.
7) Nach Paris
Damit das bei mir ein bisschen länger dauert, hatte ich kurz vorher noch meine Dollars in Francs gewechselt. Der Grund war der: Der Dollar Kurs stürzte plötzlich rapide. Er war irgendwann bei 3.20 DM, ein paar Tage später bei 3,08 DM. Und es war klar: Das geht so weiter. Bei ca. 3 DM bin ich zur Bank gegangen. Was ich mit dem Geld tun könnte. „Do you have an account?“ Nein, was meinte er? Mir war schon klar, dass man beim Wechseln auch Geld verliert, aber der Kurssturz, so hatte ich ausgerechnet, hat mich an einem Tag mal 200 DM gekostet! Also musste ich umtauschen. Jetzt hatte ich also nur noch Francs.
Ich wollte erst mal nach St. Tropez. Ich wähnte dort ebenfalls Spieler, und zwar Backgammonspieler. Und in St. Tropez gab es kein Casino, das war der Vorteil. Das Boot, ein Tragflächenboot, katapultierte einen förmlich nach St.Tropez. Allerdings: Der Hotel-Safe im Beach Plaza war geleert, das Geld musste ich ja mitnehmen. Ich hatte so eine weiße Gatsby-Hose an, zum Glück mit riesigen Taschen. Und beide Vordertaschen waren komplett gefüllt mit diesen 500 Francs Noten. Bei genauerer Rechnung, ich hatte ca. 23000 DM, das sind etwa 70000 FF, hatte ich demnach ungefähr 140 dieser Scheine in der Tasche. Heute muss ich mich fragen, ob die Mitfahrenden irgendeine Art von Krankheit, Schwellungen, Geschwüre bei mir vermuteten?!
Ich kam in St.Tropez an. Es war total anders als Monte Carlo. Später habe ich es auch von der anderen Seite kennen gelernt, der traumhaft schönen. An diesem Tag empfand ich aber nur Hektik, Hitze, Müdigkeit. Ein Taxi transportierte mich von Hotel zu Hotel. Jeweils langes, schier endloses, Warten an der Rezeption. Dann immer die gleiche Nachricht: Alles belegt. Der Entschluss war schnell gefasst: Weiter nach Nizza, zum Flughafen. Mich beschäftigten zu dem Zeitpunkt auch keine geographischen Details. Viel später wurde mir klar, dass der Weg St.Tropez – Nizza in etwa dreimal so lang ist wie der Nizza – Monaco. Nizza – Monaco kostete 60 DM pro Nase, zwei Nasen, das waren also 120 DM. St.Tropez – Nizza kam auf etwa 360 DM, über 1000 FF. Was solls, wie bewegen sich Millionäre?
Ich habe in meiner unendlichen Großherzigkeit und Güte unterwegs dem Taxifahrer auch noch befohlen, anzuhalten und ein paar Tramper einzuladen, die dann auch noch alle zu ihrem Wunschzielort gebracht wurden. Ich hatte es ja! Ich meine sie, die Verschwendungssucht.
Immerhin konnte ich die doch etwas längere Fahrt zum Teil nutzen, mein Schlafdefizit zu verringern. Nun stand ich also am Flughafen. Und ich hatte schon unterwegs einen Entschluss gefasst: Die erste Maschine nehme ich, egal, wohin sie geht. Und habe diesen Entschluss sofort, unter irgendwelchen Vorwänden, über den Haufen geworfen. Der erste Flug ging nämlich nach München. München, wie langweilig. Ich redete mir wohl ein, dass das „boarding“ Schild bereits leuchtete und ich sowieso zu spät für München war. Aber da wollte ich nicht hin. Der (erste) zweite Flug ging nach Paris. Ok, den nehme ich. Ich musste nur noch rasch das Ticket kaufen und mir gelang es, den Gesichtsausdruck der überaus freundlichen Dame von quasi eingeschweißtem Dauerlächeln auf herzliches Lachen umzustellen. Sie hatte mir nämlich den Flugpreis genannt, ich ihr daraufhin, wie bei mir üblich, in relativ groben Zügen und kurzen, der Situation absolut angemessenen Worten, meine Lebensgeschichte umrissen, um dann mit dem allerjüngsten Ereignis, der Taxifahrt ab St.Tropez, zu schließen. Das Flugticket Nizza – Paris, so teilte ich ihr mit, wäre um ca. 300 FF billiger als die Anfahrt! Wie ehrlich ihr Lachen war, entnahm ich dem Umstand, dass sie es gleich ihrer Kollegin weitererzählte und diese in unsere fröhliche Runde mit einbezog.
8) Ein Tag in Paris
In Paris angekommen, rief ich selbstverständlich sofort ein Taxi. Das nun erforderliche Französisch beschränkte sich auf die Worte „Hotel“, wobei die Kunst darin besteht, das „h“ zu verschlucken. „Combien“, wie viele, und „étoile“, Stern hatte ich auch drauf. Zum Glück konnte ich nur bis „quatre“, vier, zählen. Zusammen ergab das das „Sofitel Bourbon“, combien? Quatre étoiles. Ein 4-Sterne Hotel. Für Herrn Neureich ist das doch gerade gut genug, oder? 1000 FF die Nacht. Irgendwie muss man diese Geschwüre doch loswerden können?
Nach einem erholsamen Mittagsschläfchen bestellte ich erst mal ein Filetsteak. Aufs Zimmer, versteht sich. Anschließend sinnierte ich, was man machen könnte. Was „Ein Amerikaner in Paris“ macht, wusste ich ja so etwa. Maler werden und Verlieben. Aber ich? Ausgerechnet Maler? Nee, schon in der Schule war meine Lehrerin für „Bildnerisches Gestalten“ offensichtlich nicht befähigt, mein künstlerisches Talent bei den Werken „Negerkampf im Tunnel“ oder „Eisbärn im Schneegestöber“ zu erkennen, sie verpasste mir glatt eine 5. Ich gab das Malen gänzlich auf. Verlieben ok, aber wie? Schon gar nicht auf Kommando.
Banause bin ich in jeder Hinsicht, vor allem Kunst- und Kultur-, aber auch Allgemeinwissensbanause. Dennoch löste der Name „Paris“ eine Assoziation aus: Tour Eiffel. Sehen Sie, es lohnt sich doch, in die Schule zu gehen! Das nächste Taxi brachte mich dorthin.
Ich war nicht gänzlich unvorbereitet gekommen. Es war August. Und August ist der Ferienmonat. Also die Einwohner (ich sag extra nicht …) waren im Urlaub. Sie hatten den umgekehrten Weg beschritten. Paris – Cote d´Azur. Die Stadt müsste also menschenleer sein. Das mag an allen anderen Orten gestimmt haben – nicht aber am Eiffelturm. Nun, die vorbeschriebene Eigenart, also den umgekehrten Weg zu gehen, ist mir irgendwie angeboren. Jedenfalls kann ich niemals das tun, was alle machen. Am wenigsten Anstehen. Bei den Menschenmengen, die anstanden, wunderte ich mich nur, dass ich ganz vorne nicht ein paar Zelte gesehen habe.
Ich habe gegenüber Platz genommen, in einem wunderschönen Lokal namens Montmartre direkt an der Avenue de La Bourdonnais. Meine Art von Bildung zog mich dahin. Ich hatte mich aber geirrt. Die Strasse hieß gar nicht nach dem (für mich berühmten) Schachspieler De La Bourdonnais. Die Schlange wurde allerdings nicht kürzer. So verließ ich den Ort unverrichteter Dinge. Werde ich jemals noch dort hinauf gelangen?
Ich tröstete mich mit einem Satz aus meinem Französischbuch aus der Schule. Als Sohn und Vater über Paris fliegen und der Junge ganz begeistert aus dem Fenster schaut fragt er überrascht: „Papa, pourquoi est-ce-que la Tour Eiffel est-elle petite?“ Warum ist denn der Eiffelturm so klein? — Der ist also wirklich winzig, und ich war auch schon viel höher… Wie wenig Größenverhältnisse eine Rolle spielen habe ich auch noch im Englischbuch gelernt. Als die Kinder den Fischer an der Westküste Englands fragten, ob er bei gutem Wetter bis nach Amerika sehen könnte: „Can you see America from here?“, da antwortete dieser: „We can see much further than that.“ Erstaunen bei den Kindern. Der Fischer: „We can see the moon.“
Was sind also schon lächerliche 324 Meter? Außerdem war es auch eine willkommene Ausrede. Denn bei meinen gelegentlichen Funkturmbesuchen in Berlin, auf 160 Metern, vor allem bei Wind, war mir schon manchmal etwas mulmig. Es war so etwa, wie als Kind im Freibad und der 10er Turm war gerade geschlossen, oder wenn man in der Disko ein wirklich hübsches Mädchen sieht und man sich schon versucht, etwas zurecht zu legen, die Knie langsam weich werden, und man dann ganz erleichtert feststellt, dass sie in (männlicher) Begleitung ist…
An dieser Stelle kann ich Ihnen auch mal wieder einen Beweis liefern, wie hilfreich die Mathematik in allen Lebenslagen ist. Ich hatte die damalige Wartezeit wirklich auf ca. 2 Stunden geschätzt. Dazu war ich nicht bereit (den Japaner, den ich beobachten wollte, um herauszufinden, wie lange es dauert, bis er dran ist, habe ich irgendwann aus den Augen verloren). Und gerade eben habe ich mal wieder mein Lexikon, also das Internet, nach dem Tour-Eiffel befragt. Und was las ich da? Im Jahre 2002 wurde der 2 Millionste Besucher begrüßt. Eröffnet wurde der Turm im Jahre 1889. 2002 – 1889 = 113. 113 Jahre * 365 = 41245 Tage. Dazu kommen 29 Schalttage (ja, 19 ist nicht durch 4 teilbar; also war 1900 kein Schaltjahr). Macht 41274 Tage. Durchschnittlich sind es also 2000000/41274 Besucher pro Tag. Das sind 4846. Diese geteilt durch 24 macht 202 Besucher pro Stunde. Ca. 400 Leute in der Schlange (ohne Schummeln!). Macht eine Wartezeit von 2 Stunden pro Besucher. Hätten Sie sich angestellt?
8) Eine Pariser Nacht
Nun gut, es wurde langsam Abend. Und was macht man in der Stadt der Liebe am Abend? Ich werde Ihnen hinter vorgehaltener Hand einen kleinen Exkurs über die Liebe, die käufliche allerdings, erzählen.
Die Überschrift ist schon bewusst schlüpfrig gewählt. Aber wer wagt es schon, außer Charlotte Roche, über ein solches Thema zu reden? Und sie tut es als Frau.
Die Prostitution ist wirklich und garantiert ein Zusatzgeschäft. Der Staat muss da gewaltig subventionieren, um diesen Berufsstand zu erhalten, und das ist nicht mal so gemeint, wie Sie es gerade auffassen. Ich kenne nämlich keinen Einzigen, der die Liebe mit finanziellen Mitteln beflügelt. Jeden Tag eine halbe Seite mit Telefonnummern in der BZ. Aber keiner ruft an. Sind sogar die Anzeigen subventioniert? Was ist die Idee dabei?
Meine eigenen Erfahrungen damit sind schnell erzählt: Ich konnte es mir wirklich nicht vorstellen, wie und warum ich einen wildfremden Menschen anfassen, gar intim berühren sollte. Oder warum ich berührt werden sollte, wollte. Dennoch habe ich meinen Beitrag zum Erhalt dieses Gewerbes geleistet. Einmal in Strasbourg, im Jahre 1978. Wir waren ziemlich betrunken und ein Freund schlug vor, ein Etablissement aufzusuchen. Ich war dabei. Er schien sich gut unterhalten zu haben, bei mir der erwartete Effekt: 200 FF für nichts. Ausgeschlossen. Dann bin ich einmal in Hamburg (wo sonst?) dem zweifelhaften Charme einer Bordsteinschwalbe erlegen. Wir gingen auf ihr Zimmer. Sie war endlos lange weg mit meinen 100 DM. Als sie zurückkam und mir irgendwelche Vorträge hielt, was und was nicht, war ich wieder weg.
Dann hatte ich einmal für nur 20 DM ein nettes Gespräch in Braunschweig mit einer Dame. Die Zeit war fixiert auf 10 Minuten. Noch weitere 10 Minuten eines so netten Gesprächs, und wir wären sicher echte Freunde geworden…
Einmal erkundigte ich mich noch am Ku-damm. Art und Inhalt der Antwort waren dermaßen niederschmetternd, dass jegliche Anbahnung eines Kontakts ausgeschlossen war. Immerhin erfuhr ich unter anderem: „60 Mark.“
Alle diese Erfahrungen waren so deprimierend, dass sie immer ein paar Jahre zur Abschreckung ausreichten. Es geht nicht, ich kann es nicht. Ich brauche Wa(h)re Liebe (eben gar nicht) und muss noch viel in Sachen „Klammersetzung“ lernen. Sie sehen also, ich bin absolut tugendhaft und anständig.
Dennoch fragte ich an diesem Abend in Paris mal ganz höflich und bescheiden beim Concièrge nach, ob er nicht eine Abendunterhaltung für einen einsamen Menschen (ich sag extra nicht Mann, mein Geschlecht konnte er ja erkennen) wüsste? Er wusste. Der Preis für diese Form der Einsamkeitsbekämpfung war allerdings gleichwertig mit einer weiteren Nacht im Hotel. 1000 FF.
Ein ganz zartes, vorsichtiges Klopfen an der Tür. Dann eine Dame in der Tür von unglaublicher Eleganz, Schönheit und Grazie. Dann nur zwei, drei Worte, sanft und zart gehaucht, das Geld lag schon bereit und verschwand kommentarlos in ihrer Handtasche. Dann war sie ganz Frau. Ich weiß nicht, wie und was sie überhaupt gemacht hat. Das Erinnerungsvermögen war ausgesetzt, sie hat es ausgeschaltet. Sie war unglaublich, unwiderstehlich. Ich hätte es nicht für möglich gehalten. Dann ein ebenso lautloser Abschied. Wenn man doch ein solches Erlebnis nur irgendwie in die Kategorie „Eroberung“ einstufen könnte. Vielleicht ist das ganze Geschäft doch kein Zusatzgeschäft? Und so ein wenig dämmert mir auch, warum Männer nicht all zu gerne über derartige „Erlebnisse“ erzählen. Denn: das kann ja jeder haben. Wirklich?
Was nützen also all meine Treueschwüre und Lippenbekenntnisse? Ich berufe mich wieder mal auf Tucholsky, muss mich auf ihn berufen. Er schrieb einmal, und mit 16 Jahren habe ich alles aufgesogen, hoffentlich verstanden, verinnerlicht: Bereue nichts. Heute. Das ist dein Leben.
Endlich wusste ich, warum Paris Stadt der Liebe heißt.
9) Normalität?
In Monte Carlo hatte ich Ulli Koch kennen gelernt. Und Ulli war wirklich auch ein prima Kerl. Wir verstanden uns gut, ich hab ihn in seinem Appartement mehrfach besucht. Er wohnte da regelrecht. Und er hatte mir auch seine Telefonnummer gegeben.
Die wählte ich am folgenden Tag. Ulli war ja schon an mehr Plätzen auf der Welt gewesen als ich. Ich fragte höflich nach dem werten Befinden, teilte ihm mit, wo ich mich befand und fragte ihn, wo man in Paris Backgammon spielen könnte. Ulli wusste Rat. Er hatte blitzschnell die Rufnummer des Clubs parat. Anrufen, Adresse, hinfahren waren quasi Eines. Was ist ein Spielerleben schon wert ohne Spielen? Außerdem war ich doch ganz offensichtlich ein Backgammon-Genie.
Die Bedingungen waren so, dass man sich die Bretter quasi auslieh. Man konnte spielen, musste aber stündlich einen kleinen Obulus entrichte. Das war schon einsichtig. Denn alleine von Gastronomie trug sich so ein Laden nicht. Ich traf dort wieder Spieler, was auch sonst. Aber mit einer Partie war es schwierig.
Immerhin traf ich Vladimier Dobrych wieder. Vladimir hatte ich schon in Monte Carlo kennengelernt. Er war ein sehr erfahrener Spieler aus Toronto. Wir sprachen über dies und jenes, unter anderem, in welchem Hotel ich wäre. Ich nannte es, das Sofitel Bourbon. Das lag weit entfernt vom Club. Er riet mir, das Hotel zu wechseln und in sein Hotel zu kommen. Das wäre auch sehr schön, in der Nähe des Clubs und immerhin wäre man dann zusammen. Billiger wäre es auch noch.
Ich tat wie mir geheißen. Checkte aus beim Sofitel und quartierte mich um. Am nächsten Morgen fragte Vladi mich, ob ich mit ihm Joggen gehen wollte. Ich wollte. Auf unserem längeren Parcours durch den Bois de Boulogne erklärte er mir alles über die Gesundheit. Ich wusste auch darüber nicht all zu viel. Ich habe mir aber etliche seiner Erkenntnisse gemerkt, vor allem dieses: „white flour“ und „sugar“, weißes Mehl und Zucker, sind gar nicht gesund und der Körper bräuchte sie nicht. Er hat es mir noch genauer erklärt. Aber vor allem seine Lebensweisheit war mir eingängig. Wenn man ungesund leben würde, dann wäre das so: „You start off as a Ferrari. Then after a while you turn into a Volkswagen. And you say to yourself: Well, still everything is fine. Volkswagen is fine. But you could still be a Ferrari.“ Man ist am Anfang ein Ferrari. Dann sündigt man und verwandelt sich in einen Volkswagen. Man denkt, ist doch alles toll, ich bin ein Volkswagen. Aber man könnte doch immer noch ein Ferrari sein?
Was man in Paris so alles lernen kann. Man muss nur Augen und Ohren offen halten! Vladimir war auch insgesamt nicht so einseitig wie ich. Es gelang ihm sogar, mich zu überreden, etwas Kultur zu machen. Ich war unter einer Bedingung einverstanden: Wir reden weiterhin über Backgammon. Vlad fügte sich, notgedrungen. Einen Tag L´Arc de Triomphe, einen Tag Louvre, ein Tag Sacre Coeur. Und ich schlenderte auch noch einmal die Champs Élysees rauf und runter. Und da konnte ich sehen, dass August der Urlaubsmonat war. Da war es wirklich leer, nix und niemand. Kein Andrang, da kann man einkaufen: Ein schneeweißes Hemd, eine Krawatte und ein paar weiße Schuhe habe ich erworben. Die Krawatte für ca. 500 FF habe ich noch.
Ich war mit Vladimir das erste Mal in meinem Leben in einem japanischen Restaurant. Direkt an der Seine. Bei unglaublicher Beleuchtung, geöffnetem Fenster, milder Abendluft, man konnte die Passagierdampfer auf und ab schippern sehen. Und der Kellner wusste, was man wollte, bevor man es selber wusste.
Jedenfalls waren wir abends in aller Regel im Spielclub. Und eines Tages geschah es dann. Die Backgammonregeln erkläre ich besser an anderer Stelle. Auch das, was eine Proposition ist. Aber es ergab sich in einer von mir beobachteten Partie eine Position, fast eine Endstellung. Eine Partei hatte drei Steine übrig, die andere zwei. Die Stellung vergesse ich mein Leben lang nicht mehr. Es kam zu einer Verdopplung des Würfels, die andere Seite nahm den Würfel an. Ich sprach anschließend mit Vlad, der auch Zuschauer war, über diese Stellung. Ich meinte, der andere hätte den Verdopplungswürfel nicht annehmen dürfen. Vlad war anderer Meinung, es wäre ein „take“.
Bei derartigen Auseinandersetzungen gibt es im Backgammon die einfache Möglichkeit, das auszuwürfeln. Man setzt sich hin, einer nimmt die eine Seite, der andere die andere Seite, und man untermauert seine Meinung mit finanziellen Mitteln. Ich habe in meinem Leben hunderte von propositions gespielt und fühlte mich in meinem Urteil normalerweise recht sicher. Hier weiß ich gar nicht mehr, wie und wieso ich zu dem oberflächlichen Urteil kam. Aber ich ließ mich sofort darauf ein, noch dazu mit der Bemerkung: „I feel like cheating.“ Ich fühl mich so, als ob ich betrüge. Vlad seinerseits war aber bereit, das um hohes Geld zu spielen. 200 FF pro Punkt.
Und was geschah? Ich hatte Pech. Und zwar richtig viel Pech. Extremes Pech. Ich habe verloren und weiter verloren. Aber ich merkte, dass ich Pech hatte. Jeder konnte es sehen. Also, ich verlor und verlor. Und spielte weiter. Das Pech muss doch mal aufhören? 100 Einheiten, 20000 FF hat es mich gekostet, bis ich aufgab. Ich bezahlte und ging auf mein Hotelzimmer.
Meine Nachtruhe war ausgesprochen kurz und schlecht, wie man sich vorstellen kann. Ich ging sehr früh in den Frühstücksraum, mit Papier und Stift, und begann, die Stellung auszurechnen. Und was musste ich feststellen? Die Position war wirklich relativ leicht zu berechnen. Und es stellte sich heraus: Ich hatte wirklich Pech gehabt. Gigantisches Pech. Ich habe 100 Einheiten verloren. Und was wäre das korrekte Ergebnis gewesen? Ich hätte auf die Partienanzahl 40 Einheiten verlieren müssen!
Gut, was lehrt uns das, was hat es mich gelehrt? Wenn man die falsche Seite spielt und dazu Pech hat, schreibt man den Verlust möglicherweise dem offensichtlichen Pech zu. Man korrigiert seine Einschätzung nicht. Hätte ich weniger, langsamer oder ohne Pech verloren, hätte ich sicher schneller bemerkt, dass ich etwas falsch gemacht habe. Das ist fast schon sinnbildlich für eine typische Spielerkarriere, allerdings die eines herkömmlichen Verlierers. Es gibt die Tage, an denen man gewinnt. Man hat Glück, nimmt es aber nicht als solches wahr. Das Leben ist einfach nur schön. Und es gibt die Tage, an denen man verliert. Und an denen hat man ganz bestimmt Pech gehabt. Denn selbst wenn man mit Nachteil spielt, verliert man oft garantiert mehr als man müsste. Und an diesen Tagen, in diesen Momenten, spürt man, dass man Pech hat. Und nicht genug damit, dass man das wieder „ausgleichen“ möchte, man hat doch Pech gehabt, man jagt auch dem Gefühl des Gewinnens, des Glücks nach. Und auf lange Sicht bekommt man dann (angeblich), was einem zusteht.
Bei der Landung musste ich feststellen, was man, nicht nur sprichwörtlich von der Beschaffenheit des Bodens der Realität zu halten hat: Er ist ausgesprochen hart.
Ich vertrieb mir den ganzen Tag mit den üblichen Selbstzweifeln, Gedanken über den Sinn des Lebens und meiner Existenz. Vor allem den Gedanken über die Sinnlosigkeit des mir selbst angedichteten Berufs „Spieler“. „Fool“ hätte besser gepasst. Aber wie wird man „Berufsfool“? Das hat Jürgen von Manger vielleicht geschafft…
Am Abend kam ich zurück zu unserem Hotel. Vladimir kam mir entgegen. Eine Frau an seiner Seite. Eine sehr hübsche. Wir unterhielten uns. Sie war aus San Francisco.
Wir standen eine Weile lang zu dritt vor dem Hotel. Über die Gründe, dass Vladimir uns alsbald verlassen hatte, lasse ich Sie mal (wild) spekulieren. Jedenfalls waren wir irgendwann unter uns.
Wir mögen uns über vieles unterhalten haben aber garantiert nicht über meine Tätigkeit. Die musste ich, auch als Selbstschutz, zumindest für diesen Tag, verschweigen. Ich habe sicher gesagt „Student“.
Sie erzählte, er hätte sie am Vortag schon angebaggert. Sie erzählte von „diesem Angeber, angeblich ist der Backgammonprofi oder so was“. Er hätte gerade einen größeren Betrag gewonnen und so weiter. Und ob er etwa geglaubt hätte, dass er mit Kohle eine Frau ins Bett kriegen würde?
Ich tat unwissend, erstaunt und überrascht. Profispieler? Backgammon? Was soll das denn sein? Ein merkwürdiger Beruf. Und damit kann man Geld verdienen?
Und ob sie nun meine Trauer und Verzweiflung über meine begangene Dummheit spürte und nur aus Mitleid… na, jedenfalls landeten wir auf meinem Hotelzimmer.
Sie blieb die ganze Nacht über bei mir. Und es war wirklich eine unvergessene Nacht. Selbst der Morgen… aber das gehört sich nun wirklich nicht, selbst wenn ich mir den Kavalier schon längst „abheften“ musste…
Über seine Nachtruhe habe ich nie etwas erfahren. Excuse me, Vlad, I got lucky that time!
Und wenn Sie mir jetzt etwas erzählen wollen von „Ja, ja, Pech im Spiel…“, dann kann ich eher nur entgegnen: „die dümmsten Bauern…“ Denn dieser Geldverlust hatte nichts mit Pech zu tun…
Sie reiste ab, ich reiste ab. Zurückgekehrt ist sie höchstens noch mal in meinen Träumen.
12) Aftermath
Irgendwie muss ich mich auch nach der Nacht noch in Trance befunden haben, denn ich kann mich tatsächlich nicht mehr erinnern, wie ich, nur noch, dass ich in Hannover gelandet bin. Dabei deutet das Wort „gelandet“ möglicherweise auf ein falsches Verkehrsmittel hin. Ich mag mit der Bahn gefahren sein, das Zufallsprinzip mag entschieden haben oder was auch immer. Irgendwie wollte ich aber näher an Berlin heran.
Das Internet, ich beginne allmählich, mich zu verlieben, hat mir tatsächlich exakt Auskunft geben können, an welchem Tag ich dort war. Wie das geht? Nun gut, ich nutze meine Routine im Breittreten von Details, muss also zur Erklärung wieder mal etwas weiter ausholen:
Da ich mich ja wieder im deutschsprachigen Raum befand, war es mir ein Leichtes, ein Hotel in Hannover in der Nähe vom Casino zu finden. Ich glaube gar, mich zu erinnern, dass ich mein „Neureich-Image“ angesichts der gigantischen Verluste wieder abgelegt hatte und mich mit den öffentlichen Verkehrsmitteln bewegt habe. Wie gesagt, Erinnerungsvermögen nach wie vor ausgesetzt, Trance aus France importiert.
Ich ging am Abend ins Casino, was hatten Sie erwartet? Und irgendwo da setzt das Erinnerungsvermögen wieder ein. Ich spielte Black Jack, was sonst. Und versuchte mich dabei gar wieder mit Kartenzählen, ganz seriös. Dann stellte ich fest, dass sich das nebenan liegende Stadion zu füllen begann. Ach, Fußball? So was gibt’s ja auch noch! Ich also gleich raus, Ticket geholt und rein ins Stadion. Ich erfuhr so langsam, wer überhaupt spielte: 1. Bundesliga, Hannover 96 – VfB Stuttgart.
Und nun wissen Sie auch, inwiefern mir das Internet helfen konnte (meine eigene Datenbank gab das noch nicht her). Ich tippte ein „Bundesliga Saison 1985/86“, dann „Ergebnisse Spieltag für Spieltag“ bis ich auf das Spiel stieß. Es fand am 4.9.1985 statt, um 20:00. Endergebnis 1:3, das wusste ich auch so noch. Auch, dass man Werner Biskup, dem Trainer von Hannover, von der Tribüne aus ansehen konnte, dass er etwas getrunken hatte. Aus der Erinnerung hätte ich gedacht, dass es so etwa sein letztes Spiel als Trainer dort war. Das Internet belehrt mich auch hier: Er blieb noch bis zum 25.11., hat sich aber als Alkoholiker geoutet.
Im Black Jack habe ich auch noch verloren, obwohl einer der weiblichen Croupiers mir am Spieltisch signalisierte, mir helfen zu wollen (sie zog Karten vor; ich saß alleine am Tisch; und keine Aufpasser in Form von anderen Croupiers). Abgesehen davon war sie auch sehr attraktiv und in irgendeinem anderen Zustand hätte ich ihren Augenaufschlag als „Interesse“ interpretiert. Aber ich war träge geworden und ich war in Deutschland. Wieder nüchtern. Ein ganz normaler „loser“ eben.
Ein letztes Aufbäumen noch zur Nacht hin. Ich begab mich in die Nobeldisko von Hannover. Die Stimmung wurde dank Falco, „Amadeus“, auch noch richtig gut. Ich kam ins Gespräch mit einer Mutter und ihrer Tochter, 17-jährig, aber schon vollbusig, hübsch, kein Wunder, bei der Mutter? Wer wollte was von wem? Allmählich merkte ich was: Die Mutter hatte mit ihrer Tochter etwas vor. Und ich war der von ihr Auserwählte! Kuriose Dinge gibt es, auf so etwas war ich nicht vorbereitet. Aber an diesem Abend war ich der echte Pauli, eben der deutsche, tugendhaft. Ich notierte immerhin die Rufnummer.
Am Vormittag rief ich dann tatsächlich an. Wir verabredeten uns. Die Tochter kam auch, von der Mutter gebracht. Wir setzten uns in ein Café, ohne Mutter, und plauderten ein wenig. Sie war erkennbar aufgeregt und rauchte auch tüchtig dazu, fast durchgehend. Aber wissen Sie, wo sich das Café befand? Der Ort war von mir bewusst so ausgewählt: Am Bahnhof. Mein Zug nach Hause ging nämlich gleich. Ich wünschte ihr noch viel Glück bei der erkennbar auf den Weg gebrachten Laufbahn zur „Lady“ und verabschiedete mich mit einem Wangenkuss. Unsere Wege trennten sich. Die Mutter musste wohl weiter suchen, sicher nicht lange.
In Berlin angekommen ergab der Kassensturz nach Geldwechsel, dass ich meinem Onkel seine 5000 DM problemlos zurück überweisen konnte und sogar noch in etwa … genauso viel wie vorher hatte.
Das wars also: Pari zurück aus Paris (sprechen Sie es, zwecks Witzerkennung, nur dieses eine Mal französisch aus). Armer Mann – Reicher Mann – Armer Mann. Immerhin: Zwei Monate gut gelebt, ein neues Hemd, ein paar Schuhe und eine neue Krawatte, ein paar Leute kennen gelernt und ein paar Erfahrungen gemacht. Und ein paar Erinnerungen. Ob erzählenswert überlasse ich Ihrem geschätzten Urteil. Aber auch wenn es negativ ausfällt: Mir bleiben sie.
Es fällt mir übrigens selbst beim Schreiben schwer, wieder nüchtern zu werden. Es war ein einmaliger Rausch, in den ich geraten war. Und das Schreiben hat dieses Gefühl wieder wach gerufen.
Ich nehme auch gerne in Kauf, dass das durch die Erzählung hervorgerufene — sei es nun ein wünschenswertes oder weniger wünschenswertes aber nichtsdestoweniger falsches — Image schwer zu korrigieren sein dürfte. Bei diesem „Sommermärchen“ handelt es sich tatsächlich um ein einmaliges Erleben und Gebaren, insbesondere der Umgang mit Frauen, und das „Märchen“ bezieht sich weniger auf den Wahrheitsgehalt als auf das Empfinden der Erlebnisse. Eben so: wie im Märchen.
Tja, und als Freund von Sprichwörtern schließe ich noch so: Die erste Million ist immer die schwerste. Da ist was dran, finde ich…