1) Die Idee der Regel
In ziemlich grauer Vorzeit wurde einmal eine Regel eingeführt, die sich beinahe direkt an die offizielle Einführung des Spieles Fußball als Wettkampfsport anschloss: Bei Foulspiel oder Handspiel – beides in gewissem Rahmen festgelegt, was als solches gilt – gibt es einen Freistoß am Orte des Vergehens. Selbst wenn das Wort und die Sportart im englischen eingeführt, so ist doch das Wort „freekick“ weitest gehend synonym. Freistoß. Schießen, kicken also, muss es immer sein, da mit dem im Namen verankerten Haupt-Ball-Beförderungs-Körperteil, dem Fuß, gespielt wird. Nur sollte dieser Schuss auch noch „frei“ sein. Um diesem Umstand Nachdruck zu verleihen, hieß es, dass die gegnerischen Spieler bis zur Ausführung des freien Schusses mindestens 10 yards Abstand zum Ball zu halten hätten. Gesichert scheint an dieser Stelle, dass den Regelmachern damals die 10 yards (=9,15 Meter) eine recht große Distanz erschienen, die dem Schützen so viel Freiheit einräumte, dass man in Strafraumnähe gar verhalten das Wort „Torgefahr“ in den Mund nehmen durfte.
Es gab ganz sicher eine gewisse Logik, die hinter dem Ganzen steckte: Ein Foul ist eine Unsportlichkeit. Eine Unsportlichkeit möchte man nicht haben, der Zuschauer möchte sie nicht sehen. Sofern sie doch einmal geschieht, so soll dem Täter nicht nur von der Regelseite her Ungemach drohen, sondern vielleicht auch von Trainern oder Mitspielern, da er seiner Mannschaft einen Schaden zugefügt hat, vielleicht sogar vom Zuschauer, der seinem Unmut über eine Unsportlichkeit per Pfeifen Luft macht, im Nachhinein hätten zusätzlich die Medien die Chance, dem Übeltäter den Marsch zu blasen. Unsportlichkeiten sollen weg. Die Mittel: Strafen im wahren Wortsinn, falls der Ehrenkodex nicht ausreichend ist, dass man aus Ehrgefühl nicht foult, nicht unsportlich zu sein hat, abgesehen von der Verletzungsgefahr.
Gerade in diesem Zusammenhang sei erinnert, dass es in den ursprünglichen Regeln nicht vorgesehen war, dass ein Spieler, selbst wenn von seinem Gegenspieler durch ein Foulspiel verletzt, ausgewechselt werden durfte. Für diese entsprechende Änderung mussten beinahe 100 Jahre vergehen. Aber auch so sagt diese Tatsache schon genug: man foult nicht. Das ist unsportlich, und es will keiner sehen.
Die Absicht war mit Sicherheit da: Falls sich jemand doch zu einem Foulspiel versteigt, so soll sich dies garantiert nicht lohnen. „Crime dont pay.“ Wenn also ein Foul in der Nähe des Strafraumes geschieht, dann sollte die durch das Foul unterbundene Torsituation (als eines der Mittel!) zumindest durch die Freistoßsituation gleichwertig, wenn nicht gar besser ersetzt werden. Natürlich wird das nicht in allen Fällen möglich sein, jedoch sollte die Tendenz erkennbar bleiben. Dies war zu Regeleinführungszeiten sicherlich der Fall war.
2) Ein Freistoß heute
Auf die heutige Zeit bezogen erinnert so gut wie nichts mehr an diese hehren, aber eigentlich selbstverständlichen Vorsätze. Es wird nach Herzenslust gefoult. Wann immer ein Gegenspieler den Verteidiger passiert, so wird Letzterer praktisch immer an die Grenzen der Legalität gehen und im Notfall – dieser ist eingetreten, wenn er wirklich umspielt wurde – diese leichten Herzens übertreten, was im Prinzip schon während der Aktion permanent mit angeblich „nicht ahndungswürdigen, kleinen Nickligkeiten“ geschieht, an die sich die Abwehrspieler im Laufe der Zeit in Erkenntnis der Straffreiheit, mit der sie ausgehen werden, herangetastet haben. Es wird gefoult, eigentlich die ganz Zeit. Die Frage ist immer nur, wie lange der Schiri zuschaut oder wie geschickt gefoult wird, damit man keinen Pfiff einhandelt, sondern nur die Aktion zunichte macht, im Idealfall den Ball erobert.
Wenn man nun die Frage stellt, warum der Verteidiger foult, so fällt die Beantwortung leicht: Er tut es, da der Nutzen größer als der Schaden ist. Eine andere Überlegung gibt es dabei nicht mehr. Unsportlichkeit? Verletzungsgefahr? Regelübertretung? Das eigene Prestige, als Raubein zu gelten? Es gibt nur das eine Kriterium: Erfolg. Es ist sogar nicht nur, dass er es tut, weil der Schaden in dieser Situation kleiner als der Nutzen ist, sondern weil die langfristige Wirkung wäre, dass ihn der Trainer zwar schätzt und achtet als fairen Sportsmann, aber seinen Platz an einen anderen vergibt, der zwar weniger gut, aber wenigstens „richtig zur Sache geht.“ In Wahrheit ist es so, dass dieser Mann nur dorthin gekommen ist, in diese Spielklasse und auf diese Position, weil er sich durchgehend an die derartigen Vorgaben gehalten hat: „Dein Gegenspieler darf niemals an dir vorbei. Sonst bist du aus dem Team.“ So in etwa. Existieren tut die Vorgabe aber nur, weil sie von den Medien erst gemacht und später getragen wird. Der einsenharte Verteidiger ist nichts außer eisenhart, wohingegen er früher noch fair sein konnte.
Allein schon dieses Foulspiel – siehe Kapitel „Was ist eine Strafe?“ – ist eine unerfreuliche Tatsache, denn aus Sicht des wieder einmal herbei bemühten neutralen Zuschauers (welcher, zugegebenermaßen durch all diese kleinen, empfundenen Unlogiken und Ungerechtigkeiten längst nicht mehr wirklich existiert) sind die permanenten Spielunterbrechungen, überhaupt schon die Ansicht von Foulspielen, von Unfairness, ein Gräuel und er verzieht sich, Kopf schüttelnd, noch weiter. Dass aber die Strafe niemals als solche ausfällt und man das mehr als deutlich spürt, sorgt in jeder Hinsicht für Auflehnung gegen das Spiel Fußball, auch wenn sie auch an dieser Stelle unartikuliert bleibt. Es stimmt etwas nicht, das spürt man. So kann es einfach nicht sein. Sich Gedanken machen? „Wozu? Das Spiel macht keinen Spaß, aber ich kenne da ein gutes anderes!“ So könnten schon viele längst verloren gegangen sein.
Zurück zu dem Freistoß: Sofern das Vergehen sich in der Nähe des gegnerischen 16ers ereignet, sollte der Freistoß ruhig für erhöhte Torgefahr sorgen. Falls die Torgefahr identisch wäre, gäbe es eigentlich kein ernstes Problem damit, jedoch dürfte man auch dann getrost fragen, warum man nicht den Begriff Strafe ernst zu meinen gewillt ist? Es darf doch ruhig wehtun, damit das Verhalten ausbleibt, oder? Ein Aspekt hier noch angeführt: wenn die Torchance in ihrer Größe reproduziert würde durch die Freistoßsituation, dann wäre es immer noch ein klein wenig ungerecht, weil die Ausführung des Freistoßes Zeit verstreichen lässt. Man bedenke, dass der soeben durchgebrochene Stürmer kurz vor Eindringen in den Strafraum („ja, geschickt gefoult!“) gelegt wurde. Der Abschluss wäre innerhalb der nächsten zwei Sekunden zu erwarten, bei einem direkten Freistoß kann es gut und gerne mit Mauer justieren und Palaver eine ganze Minute dauern! Eigentlich ist es unerträglich.
Es ergeben sich zwei Bemerkungen, die auf der Einleitung aufbauen:
Bemerkung 1: Sofern die Regel als in Stein gemeißelt angesehen wird und sie niemals angetastet werden darf, dass der Abstand der Mauer 10 yards zu betragen habe, so wird hier darum gebeten, dieser zumindest Einhaltung zu verschaffen.
In der Praxis gibt es eigentlich nie einen Freistoß, bei dem die Mauer diesen Abstand einnimmt und zur Ausführung einhält, jedenfalls nicht bei solchen in Tornähe. Der Schiri zeigt sich bemüht, schreitet die Distanz ab, zieht die Mauer mit viel Mühe auf die Höhe seiner Abmessung zurück, gibt dort bereits reichlich nach, muss im Anschluss aber das lästige Entgegentippeln machtlos (?) mit ansehen, was seinen Höhepunkt erreicht im Moment, da der Schütze seinen Anlauf nimmt, weil sich nämlich bereits ein Spieler aus der Mauer löst. Kurzum: Im Moment der Ballberührung ist der Mauerabstand (beziehungsweise der dem Ball nächste Spieler) im Schnitt unter 8 Meter, und dafür kann man schon mal getrost eine Hand für das Feuer opfern, falls das nicht stimmen sollte.
Die Torgefahr ist minimal. Das Foulspiel hat sich gelohnt. Der Schiri hat keine Mittel?! In etwa vergleichbar mit einem Kindergarten, bei dem die Kinder trotz ausgesprochenen Verbotes auf dem Tisch tanzen, dies ein Außenstehender beobachtet, darauf aufmerksam macht, dass das Verhalten doch verboten sei, der Erzieher aber hilflos mit den Schultern zuckt und sagt: „Ja, ich kann nichts machen. Die gehen einfach nicht runter vom Tisch.“ „Oh, interessant.“ sagt der Mann, „ich wüsste ein Mittel.“
Was ist nun an der beschriebenen Situation wünschenswert? Welcher ehrlich, faire Sportsmann, begeisterungsbereite (neutrale!) Zuschauer, kann denn da noch guten Herzens und frohen Mutes das Stadion besuchen? Fußball als vollwertiger Kriegsersatz, ja, das stimmt. Alle Mittel sind recht, auch das Stürmen des gegnerischen Fanlagers, um nur ein Beispiel zu nennen. Der Gegner ist mit allen Mitteln untätig, wehrlos, willenlos und hilflos zu machen, um ihn unterzukriegen. Das gilt für beide Seiten. Im Stadion befinden sich ausschließlich noch bis zu den Zähnen bewaffnete Krieger, die notfalls für die gute Sache – die da lautet: ihre Mannschaft gewinnt – sogar den Schiedsrichter zu lynchen bereit sind, wie zumindest die Fangesänge andeuten. Ein neutraler Zuschauer hätte etwa so viel dort verloren wie ein Harvard Student im Knast.
Die zweite Bemerkung ist die: Wie stabil ist der Stein in den, wie scharf war der Meißel mit dem, diese Regel geklopft wurde? Falls sich 10 yards als unzureichend erweisen sollten – was sie nach eigener Ansicht längst haben – so würde sich anbieten, den Stein samt Meißel tief im Meer der Ungerechtigkeiten zu versenken und auf dreiste 12 yards zu erhöhen! Eine unerhörte, unglaubliche Forderung? Es scheint direkt eine Stufe hinter Gotteslästerung. Eine Regel ändern geht schon überhaupt nicht. Und dann noch mit der Absicht, dass sie zugunsten der Angreifer ausfällt? Nachher fällt doch noch ein Tor und es gibt Spannung? Nein, lieber ein müdes 0:0 als ein spannendes 3:3, oder so ähnlich.
3) Die Arme sind Teil der Mauer?!
Es gibt im Übrigen noch eine weitere Beobachtung im Zusammenhang mit direkten Freistößen in Strafraumnähe. Die Mauer nimmt nicht den laut Regel vorgeschriebenen Abstand ein, sie tippelt dem Schützen entgegen, oftmals löst sich ein Spieler früher aus der Mauer als erlaubt – also vor der Ballberührung –, man sieht sogar gelegentlich die absurde Szene, dass ein Abwehrspieler seitlich auf den Schützen zuläuft, während dieser seinen Anlauf nimmt. Selbst wenn man richtigerweise feststellen sollte, dass er nie und nimmer den Ball vor dem Schützen erreichen könnte, so ist das Verhalten dennoch irritierend und raubt einen gewissen Prozentsatz an Konzentration und damit Präzision. Aber das genügt noch nicht: Man sieht oftmals die Mauer hochspringen, und alle Spieler darin winkeln den Arm an, so eine Art Schutz für ihren Kopf vorgaukelnd.
Nun gibt es die zwei Fälle, die in sich weiter unterteilt werden können: Der Ball geht gegen einen Arm. Als Folge gibt es heutzutage tatsächlich Schiedsrichter, die das Abpfeifen, in der Regel aber nur, wenn die Mauer außerhalb des Strafraumes steht. Wenn im Strafraum: Elfmeter? Nein, den kriegt man nicht, siehe das entsprechende Kapitel. Die Empörung ist dem Schiedsrichter dennoch mal wieder sicher, so er pfeift. Das gilt für die „bestrafte“ Mannschaft, kann aber auch auf Zuschauer und Sprecher übergreifen. „Was hat er denn da gesehen?“ Man sieht es nämlich schwerlich, und so etwas sorgt immer für einen gewissen Aufruhr. Der Normalfall ist der, dass er nicht pfeift. Chance vereitelt, alles wie gehabt. Dennoch dank an die aufmerksamen Pfeifenmänner! Dranbleiben und auch im Strafraum ahnden (was aber auch schon beobachtet wurde).
Die zweite Möglichkeit besteht darin, dass der Ball wirklich nicht gegen einen der ausgefahrenen Arme geht. Nun, daran ist doch nichts auszusetzen? Gerade an dieser Stelle lautet die Antwort „Doch!“ und die verblüffende Folgefrage: Warum ist der Ball nicht dagegen gegangen? Hier die Antwort darauf: Es ist so, dass der Ausführende beim Justieren des Schusses, vor und während der Ausführung, einen bestimmten Plan hat, eine Flugkurve vor Augen sieht, sich vorstellt, wie und wo der Ball einschlägt. Die Mauer ist das zu überwindende Hindernis. Und genau darauf konzentriert er sich: „Wie komme ich über diese Mauer rüber?“ Genau da liegt aber der Haken an der Sache: Die Mauer ist höher, breiter, kompakter als erlaubt, eben durch die illegal (?!) ausgefahrenen Ellenbogen. Es ist eine weitere Irritation davon ausgelöst. Diese wird noch durch die Tatsache, dass man sich als Schütze absolut nicht sicher sein kann, ob man, falls man einen Arm abtrifft, wirklich den gerechten Lohn bekäme, in Form von Elfmeter oder Freistoß noch näher am Tor. Auch diese, wieder nur intuitiv, aber sehr folgerichtig, beobachtete Tatsache verringert die Größe der Torchance noch weiter. Alles, aber wirklich alles geht zunächst zu Lasten der Stürmer – man vergesse hier nicht die logische Gelbe Karte, die ein Angreifer dann bekäme, wenn er auf das Abfangen des Balles mit der Hand aufmerksam macht, in einer Szene, da der Schiri es nicht geahndet hat –, zu Lasten der Attraktivität und Spannung des Spiels und zu Lasten desjenigen, der es am Ende finanzieren soll: Des Zuschauers.
4) Die Verbesserung
So sei hier nur erwähnt, dass auch dieser Regeländerungsvorschlag generell auf einem Umdenkprozess basiert. Wir wollen die Toraktion. Wir wollen Sport, Spiel, Spannung. Wir wollen faire und harte Zweikämpfe, die gehören dazu. Wir wollen keine permanenten Unsportlichkeiten und Ungerechtigkeiten. Wir wollen eine Strafe für denjenigen, dem eine Strafe gebührt. Wir wollen, dass eine Unsportlichkeit grundsätzlich mehr Schaden als Nutzen anrichtet. Wir wollen, dass ein Freistoß korrekt ausgeführt wird. Sorgt dafür!
Um nur mal zwei Ideen zu präsentieren: Zum Beispiel könnte es bestimmte, feste Freistoßpositionen geben, die je nach Schwere des Vergehens vergeben werden. Es ginge dabei darum, die Position möglichst so zu wählen, dass sie in etwa der Größe der vereitelten Tormöglichkeit entspricht, wenn nicht übertrifft. Die festen Freistoßpositionen brächten den Vorteil, dass man sich, sofern man einen zugesprochen bekommt, sehr ernsthaft im Training mit der Ausführung von dieser Stelle aus beschäftigen kann. Dazu ist der Mauerabstand entweder, wie gefordet, einzuhalten oder einfach zu vergrößern, auf 12 yards, um es zu einer Chance werden zu lassen.
Alternativ oder zusätzlich könnte man beginnen, vergleichbar mit dem Basketball, die Anzahl der Fouls individuell und pro Mannschaft aufzuaddieren. Foul ist Foul, immer plus 1. Bei schwereren Vergehen bleiben die Mittel Gelbe oder Rote Karte unverändert. Man könnte ab 5 individuellen Fouls oder 15 Mannschaftsfouls eine Erschwernis, eine Strafe erfinden. Für den Einzelspieler eine Sperre, die Auswechslung erzwingen (schon vorher womöglich), für das Team eine gute Freistoßsituation ab jedem weiteren Foul, unabhängig von der Position, wo das aktuelle Foulspiel gerade geschah, und unabhängig von der Schwere des aktuellen Vergehens. Auch das in Analogie zum Basketball. Jedenfalls muss es möglich sein, die wirklichen Unsportlichkeiten loszuwerden, die Kinder vom Tisch zu bekommen. Es ist nur die Frage, was man gerne möchte. Und ob man es versteht.