Die Sky Jahreshauptversammlung
Und es begab sich…,
dass Dirk Paulsen, wie er es sagt mit der einzig wirklich treffenden, jedoch keineswegs als solchen anerkannten, Berufsbezeichnung „professional gambler“ zu versehen, privat eine Einladung zur Jahreshauptversammlung von Sky Deutschland erhielt.
Nun ist er nicht nur dieser „professional gambler“ mit dem Spezialgebiet „Fußball Wetten“, sondern hat über dem Erlernen und Ausüben dieses Berufs fast die ganze Restwelt weitest gehend ignoriert. Politisch völlig ungebildet, Allgemeinwissen auf Grundschülerniveau, Geschichte und Gegenwart fechten ihn nicht an. Er lebt in seiner eigenen Welt, könnte man sagen? Nun, per Schachspiel pflegt er weiterhin Kontakt zur Umwelt und hat dort im lokalen – Berliner – Bereich nicht nur einige Anerkennung sondern durchaus einige Erfolge vorzuweisen. Kaum ein Turnier, wo er nicht ganz vorne dabei ist. Dies ändert aber noch lange nichts an der „Weltfremde“, trägt vielleicht sogar noch dazu bei?
Nun ist er dennoch ausgestattet mit einem ausgeprägten Mitteilungsbedürfnis und, obwohl Anhänger und Verfechter der Brechtschen Leiter – Reden-Schreiben-Schweigen – dennoch zugleich Vertreter der Zunft „tut mir leid, ich hatte keine Zeit, mich kurz zu fassen“. Dabei zählt die hierzulande kaum unterrepräsentierte Selbstüberschätzung ebenfalls zu seinen Charaktereigenschaften. Sprich: „Einer derjenigen, vor denen mich meine Mutter immer gewarnt hat.“
Die Eigenschaft „ich weiß über nichts Bescheid, gebe aber trotzdem immer meinen Senf dazu“ hat die eine Begleiterscheinung, dass er nicht die geringste Ahnung hatte, was ihn bei einer solchen Veranstaltung erwarten würde, denn, logischerweise hat er zuvor noch keine derartige aufgesucht, fast wäre man geneigt, es als „Heimsuchung“ zu bezeichnen…
Die Überraschung mag sich in Grenzen gehalten haben, aber jedenfalls saßen ein Haufen von Aktionären im Raum, alle irgendwie „beteiligt“ am Gesamtunternehmen, zugleich waren vermutlich sämtlliche Vorstandsmitglieder anwesend. Es wurden ein paar Zukunftsvisionen vorgestellt, es wurde bemüht Optimismus verbreitet, draußen von freundlichen jungen Damen ein paar Häppchen angeboten sowie die obligatorischen Sektgläser, oft halb gefüllt, damit der Orangensatz noch Platz fände und somit zugleich den wahren Inhalt spielerisch verbergen half, immerhin musste man ja, als Aktionär, bei möglichst guter Laune gehalten werden.
Irgendwann ging es dazu über, dass ein paar Menschen sich ans Mikrofon wagten, welche offensichtlich ebenfalls als Aktionäre, um das Wortrecht gebeten hatten. Meist waren es geübte Redner, denen man sofort zugestand, dies jeden zweiten Donnerstag zu tun. Sie waren vermutlich sogar in aller Regel dem Publikum bereits bekannt, wie man an irgendwelchen Kleinigkeiten beobachten konnte.
Nun hielt dies den selbst ernannten „guten Redner“ Dirk Paulsen keineswegs davon ab, sich selbst in die Rednerliste einzutragen. Sicher, würde man sagen, wenn man vor großem Publikum erstmals spricht, dann wäre eine gewisse Vorbereitung, eine Art Konzept, ein paar Notizen, eine Art Themeneingrenzung vorab vielleicht hilfreich? Nicht so bei seinem ausgeprägten Selbstvertrauen. Nach vorne ans Pult und reden, was einem gerade in den Sinn kommt, so etwa trat er an.
Nun war es vielleicht ein wenig verblüffend, dass er durchaus die Zuhörer erreichen konnte. Keineswegs gab es Gemurmel oder Unterbrechungen, eigens gewählte, ausgelöst von Konzeptlosigkeit, oder vom Publikum inszenierte, weil man das Thema nicht erfasste oder einfach müde wurde von dem Gelaber. Nein, im Gegenteil schien es, als ob die Worte viel eher auf fruchtbaren Boden fielen, auf offene Ohren stießen, dass eher die Aufmerksamkeit höher war, gar teils als bei einigen der Vorredner.
Nun wäre denkbar, dass dies am ungeplanten Aufbau der Rede lag. Oder auch, weil man einen solchen Wirrkopf noch nie gehört hatte und eher verblüfft war, dass einer, den man noch nie gesehen hatte, plötzlich dieses Wagnis einging? Jedenfalls gab es, außer der derart getätigten Situationsbeschreibung tatsächlich auch Inhalte der Rede.
Um es nicht zu weit ausufern zu lassen: es ging vor allem um die Goldgrube, die der Sender Sky mit dem Erwerb der Fußballrechte eingetütet hatte, in jener auch tatsächlich etliche riesige Nuggets schürfen konnte, mit diesen aber nichts rechtes anzufangen wusste, sich dementsprechend entschloss, sie zu Eiern anzumalen, um die selbigen hochpreisig und als viel zu klein und faul mit einem Marktmurmler – der die entegengesetzten Eigenschaften eines Marktschreiers hat – an den Mann zu bringen versucht, und sich darüber verwundert, dass keiner zugreift.
Nun wäre dies zwar etwas übertrieben plastisch ausgedrückt, käme aber dem Bemühen, das Inhaltliche darzulegen, mit am nächsten. Der Fußball ist das Zugpferd des Senders, so könnte man es vielleicht auch ausdrücken? Das Zugpferd muss gut ernährt werden, aber genau hieran hapert es. So in etwa der Tenor der Rede.
Dies schien zunächst die Aufmerksamkeit zu erwecken und diese hoch zu halten. Warum nicht einfach fortfahren? Wie es Johann König bei seinen Auftritten gerne und für Jedermann sichtbar, ausdrückt und sich dabei die Hände reibt, nach einem gelungenen Scherz, die Lacher hervorrufend: „Ja, läuft.“
Demnach wurde der Bogen etwas weiter gespannt, was so alles nachteilig wäre für den Absatz der Nuggets. Sie umzumalen wäre in etwa so: „Fehlpassfestival.“ Hier spielen die Besten gegen die Besten und ihm fällt nichts Besseres ein, als denen ein „Festival der Fehlpässe“ anzukreiden? Werder gegen Stutgart, HSV gegen Köln, Bayern gegen Schalke, Hoffenheim gegen Frankfurt, egal, wer da spielt, besser gibt es hier nicht. Wenn ein Fehlpass tatsächlich gespielt wurde, dann, weil der Ball führende unter Druck gesetzt wurde – übrigens vom Trainer der gegnerischen Mannschaft durchaus so geplant – und weil die Mitspieler des Unter-Druck-Setzenden die Anspielstationen zustellen. So wird zwar vielleicht ein Fehlpass, aber keineswegs ein Schuh daraus. Denn: die Gegenspieler haben es gut gemacht, den Ballverlust „erzwungen“. Dies allerdings vom Sprecher nicht erkannt. Da muss man schon Fachmann sein – und solche werden grundsätzlich nicht eingestellt. Zumindest, falls die eingestellten welche wären, gelingt es ihnen, das leider relativ ungeschickt zu verbergen.
Wenn man denn noch kurz erwähnt, dass häufig genug das geniale Wortspiel der „komprimierten Langeweile“ die Runde macht – und zwar durch all die genannten Paarungen hindurch — , dann sind die Nuggets bereits arg verfärbt und bekommen allmählich schon den fauligen Geruch. Wer, bitte, mag sich ein Fehlpassfestival der Ausprägung „komprimierte Langeweile“ anschauen? Nein, Sky go home, könnte man da nur sagen. Denn: in England funktioniert das Konzept, aus einem Grund: wenn mal ein weniger großer und weniger schöner Nugget entdeckt würde, dann hätte man auf der Insel noch immer das Färbmaterial, um ihn als glänzend zu verkaufen. „At least, you could see, what he was trying to do.“ Man konnte die gute Absicht erkennen – als harscheste zugelassene Kritik an einer Spielszene.
Wie auch immer: die Lauscher schienen gespitzt und einzig ein gekonntes zeitgemäßes Umschwenken im Thema – indem man noch auf ein paar weitere Schwachstellen zu sprechen hätte kommen können — , sowie die gefühlte Ausschöpfung der maximal zugestandenen Redezeit konnten Dirk Paulsen bedauerlicherweise bremsen. Das Gefühl sagte ihm aber: die wollen noch mehr davon hören. Warum würde es sonst so ruhig bleiben im sehr gut gefüllten Saal? Auch die Blicke verrieten es: das haben wir so noch nicht gehört, aber es hört sich nach einer Idee an.
Vor allem die Wahl der Tonoption wurde den Zuhörern ans Herz gelegt, bei Champions League Spielen, in welcher auf jedem Kanal in der Einzeloption die Kommentierung in der Heimatsprache des ausrichtenden Vereins zur Verfügung stand. Man konnte so finnischen, französischen, ukrainischen oder spanischen Kommentar, gar schweizerischen, damit wenigstens halbwegs deutschsprachigen, oder auch den englischen, da man dort theoretisch alles verstehen müsste – wenn man denn in der Schule auch gut aufgepasst hätte. Alle diese Kommentare würde jedoch einen: egal, was der Mann da erzählt, der ist mit Herz und Leidenschaft dabei, eine Art Marktschreier, der für seine riesigen Nuggets noch mehr herausschlagen möchte als den Listenpreis. Hier muss man schauen, hier müsst ihr bleiben, hier gibt es was zu sehen, hier ist Spannung und Unterhaltung, hier ist die ganz große Show, hier darf keiner fehlen. Es würde sich lohnen, auf einem derartigen Kanal diese Tonoption auszuwählen, so die Empfehlung – auf einmal würde dieser Fußball selbst dann noch Spaß machen, wenn man kein Wort versteht – allein wegen der vermittelten Atmosphäre, wegen des erkennbar mitfiebernden Tonfalls, aufgrund der hörbaren gigantischen Spannung, welcher der Sprechende fühlt und nicht das geringste Hehl daraus macht, im Gegenteil, vielleicht sogar sie hier und da absichtlich, jedoch gleichzeitig zur hellen Freunde des Zuhörers ein wenig aufpeppt?
Wie gesagt: die Rede wurde trotz des Empfindens, dass die Zuhörer noch lange nicht genug davon gehört hatten und irgendwie mehr hören wollten, dennoch irgendwann abgebrochen. Redezeit um oder kurzzeitig Gesprächsstoff ausgegangen, aufgrund der intuitiv grad nicht verfügbaren Themenwechselmöglichkeit. Dennoch: irgendwie hatte das Publikum da was auf- und angenommen.
Als alle Redner durch waren, gab es zu jedem einzelnen einen emotionslos vorgetragengen Kommentar eines ausgewählten Vorstandsmitglieds, in dem Falle des nicht eben den sympathischsten Eindruck hinterlassenden Dr. Holger Enßlin. Er schmetterte mehr oder weniger jeden einzeln vorgebrachten Einwand in kurzen Worten ab. Im Zuge dessen erfuhr man auch über die Ausführungen des Dirk Paulsen Folgendes: „Meinungsforschungsinstitute haben ermittelt, dass in Deutschland eine etwas distanziertere Berichterstattung gewünscht ist.“
Das war es dann damit. Ein paar wohl gewählte Worte – und abgeschmettert. Man insistiert auf die Umfärbung der Nuggets. „Distanziert“ ist „Fehlpassfestival“ oder „komprimierte Langeweile“? Emotionslose Abkanzelung des Vortrages, der Verbesserungsidee, welche offensichtlich auf der Aufwertung der Qualität der Berichterstattung beruhte. Genau, wie die einzelnen Aktionen abgekanzelt werden. „Da muss er eher schießen.“ Oder „da übersieht er den mitgelaufenen besser postierten Mitspieler“ oder „da muss er mehr draus machen“ oder aber dann „kollektiver Tiefschlaf in der Hintermannschaft“, wenn der Ball doch einschlägt. Das ist es, was man als „distanziert“ bezeichnet? Wenn es wenigstens ab und zu mal stimmen würde…
Offensichtlich jedoch wurde das Problem erkannt, und diesem ein radikaler Riegel vorgeschoben. Denn als einzige spürbre Konsequenz des Auftritts – hat Sky schlichtweg für die anstehende neue Saison die Tonoption des lokalen Sprechers gestrichen! Es gibt das nicht mehr, was Paulsen dem Auditorium nahe legte!
Nun darf man ruhig mal über diese Auswirkung nachdenken: natürlich gibt es die eine Möglichkeit der „persönlichen Abstrafung“. Der Mann ist nicht einverstanden mit dem, was wir hier machen? Noch dazu scheint er es zu mögen, wie es andernorts geschieht? Strafe muss sein! Weg mit der Option!
Man könnte aber alternativ auch spekulieren, ob vielleicht tatsächlich die Gefahr erkannt wurde, dass es woanders besser ist? Vielleicht noch mehr Menschen auf die Idee kommen, dass man da dringend etwas machen müsste? Vielleicht würde ja der Vorschlag befolgt und es haben sich ein paar darin versucht und die Beobachtung bestätigt? „Woanders muss man nicht mal verstehen, was der Sprecher sagt, es macht auch so Spaß.“ Die entscheidende Möglichkeit vielleicht die: die Vorstandsmitglieder haben sich selbst daran versucht, was sie vorher nie getan hatten und auch nicht hätten: „Wie macht man es denn anderswo?“ Als sie feststellten, dass Paulsen mit seiner Beobachtung recht hatte—gestrichen, weg damit. Beinhaltend das Eingeständnis: so gut können wir das hier nie?
Nun könnte man die Äußerungen des Dr. Enßlin weiter sezieren: welche Meinungsforschungsinstitute waren das? Welche Fragebogen wurden vorgelegt, welche Umfragen fanden dazu statt? Die ganz dreist hier vertretene Ansicht ist diese: es gab niemals solche Umfragen. Das hier ist Fußball. Das ist so groß, warum sollen wir da noch Umfragen tätigen, was die Leute hören oder sehen wollen? So zumindest die äußerst fragwürdige Herangehensweise.
Nun wäre man damit jedoch überführt: sofern man eine Unwahrheit vorschieben müsste, um eine mehr als einsichtige Argumentation abzuschmettern, dann müsste einem dies doch ultimativ zu denken geben? Nicht bei Sky, na klar, denn dazu fehlen vermutlich die Voraussetzungen. Denken? Hab ich mal gehört… aber selbst tun?