Ab und an wurde in der Vergangenheit mal eine Regel modifiziert, ab und an eine neue eingeführt. Natürlich sollte man davon ausgehen, dass die Überlegungen eine Zeit brauchten, bis sie sich durchsetzten, weil die Regeln eben etwas starr sind, aber wenn es denn mal gelingt, dort einzugreifen, dann sollte es doch zumindest eine erkennbare Verbesserung geben?
Dies im Zusammenhang mit der Anzeige der Nachspielzeit in Zweifel gezogen: was hat diese Anzeige nun gebracht im Vergleich zu dem, was man sich erhofft hatte? Nach hiesiger, vertretener Ansicht ist die Spannung in dieser Spielphase schon einmal nicht bevorteilt worden. Nicht etwa, weil man früher einfach nicht wissen konnte, wann nun Schluss ist und allein dies für eine anhaltende Form der Spannung sorgte. Nein, das ist es eben nicht, selbst wenn es durchaus diesen Aspekt geben könnte.
Früher war es offen, wurde offen gelassen, und es wurde weiter Fußball gespielt. Meist hatte zumindest eine der Mannschaften ein Interesse daran und, sofern es mal einen ausgeglichenen Spielstand gab, bei welchem spürbar beide nicht unzufrieden waren, so wurde eben einvernehmlich doch etwas früher abgepfiffen. Man hatte dem Zuschauer nichts vorenthalten, warum also nicht? Sofern die eine Mannschaft noch ein Tor erzielen wollte, sei es den Siegtreffer oder den Ausgleich, so hatte sie gerade in dieser Phase oftmals die Fans hinter sich, warf alle Fesseln über Bord, zugleich der Gegner alles in die Bresche, was verfügbar war. Jedoch so etwas wie „auf Zeit spielen“ war eher selten vertreten. Vielleicht, weil die verteidigende Mannschaft spürte, dass das Leiden dadurch nur verlängert würde, da der Schiri die so gestohlenen Sekunden einfach noch draufpacken würde, vielleicht sogar vervielfältigt? Es gab eine Vielzahl spannender Spiele, die gerade in der Partiephase so richtig heiß wurden. Gelingt das eine Tor noch oder hält das Bollwerk? Tolle Szenen, jede Menge Action und Spannung, „open end“ im Sinne von: sowohl der Ausgang als auch die Fortdauer offen.
Die heutige Anzeige der Nachspielzeit ist eher als eine Farce anzusehen. Vor allem der in ihr stattfindende, einseitig verursachte „anti-climax“. Es passiert einfach gar nichts mehr, außer ein paar Auswechslungen und ein paar Einwürfen und unschöne Kampfszenen und Rangeleien an der Seitenlinie. Ein Konterangriff? Auch das nicht. Ziel eines solchen wäre nämlich – die Eckfahne auf der diametral gegenüberliegenden Spielfeldseite.
Die Nachspielzeit wird angezeigt – allein dies schon eine Farce, da die Dauer fast zu einer Art „Regelspielzeit“ festgelegt werden kann: erste Halbzeit: eine Minute, zweite Halbzeit drei Minuten zusätzlich. Zumindest hierzulande jahrelang gängige Praxis. Wozu das als „Nachspielzeit“ deklarieren? Eine Farce eben, vorne und hinten. 46 Minuten Halbzeit 1, 48 Halbzeit 2, fertig.
Nachdem die drei Minuten Regelnachspielzeit angezeigt werden, der „Regelspielstand“, wie üblich, 1:0, steigert sich die Spannung erheblich. Nämlich die direkt aufkommende Frage: wen wird der Coach auswechseln? Gleich nachdem das Täfelchen die zusätzlichen Minuten anzeigt erfolgt nämlich die Wechselankündigung. Die spannende Frage kann allerdings von hier aus locker geklärt werden: es trifft den, der „am wenigsten damit rechnet“ und der zudem „rein zufällig“ gerade im Moment der Auswechslung den weitesten Weg bis zur Bank hat – dies nämlich das Auswahlkriterium. Sollte er jedoch bereits, per Mund-Propaganda, informiert worden sein, dann nutzt er die letzten Sekunden vor der dann doch erfolgenden, die Überraschung darüber schlecht gespielten, Auswechslung dafür, dass er seine Position dorthin verlagert, wo er den weitesten Weg zur Bank hat.
Bis er nun registriert hat, dass tatsächlich er, der es am wenigsten verdient hat, ausgewechselt werden soll, vergehen weitere Sekunden. Er deutet auf sich, schüttelt erst einmal entrüstet den Kopf, nimmt es dann aber doch als Ehre auf, da ihm nämlich der Dank der Fans nun als Alleindarsteller zukommt. Diesen nimmt er reichlich wahr, indem er ihnen zuwinkt, in alle Richtungen, diesen oder jenen Mitspieler noch verabschiedet, sich bei dem Schiedsrichter bedankt, aber dennoch erkennbar und nun auch endlich für ihn spürbar – der Coach hatte dies offensichtlich vor ihm festgestellt, als Auswechselgrund – die Beine sehr, sehr müde sind und er insgesamt für die Strecke, für welche er wenige Sekunden zuvor noch genau so wenige Sekunden benötigt hatte, nun ganze 40 Sekunden benötigt, was im Prinzip Bewunderung verdient, denn in diesem Zustand hätten es andere gar nicht mehr geschafft, so suggeriert er.
Dann noch das übliche Abklatschen mit dem Coach, dann dem Einwechselspieler, welcher dann selbstverständlich erst einmal auf dem Platz die gleiche Position einzunehmen hat und die Zeit ihm dafür zu gewähren ist, und kaum ist eine Minute der drei angezeigten verstrichen, kann die Parodie eines Fußballspieles auch schon fortgesetzt werden. Denn: noch immer hat sich der Coach eine zweite Einwechslung vorbehalten, bei welcher man erneut Zeuge dieses beeindruckenden Schauspiels werden kann.
An den drei Minuten wird jedoch nicht mehr gerüttelt. Es kommt hier und da vor, dass ein Schiri sehr bedeutsam auf die eigene Uhr zeigt, als der Auswechselspieler partout das Feld nicht verlässt, jedoch führt dies genau so regelmäßig nur dazu, dass man dann endlich doch den einen Einwurf zugesprochen bekommt, als 3:26 auf der Uhr stehen, daraus endlich die einzige sinnvolle Ballaktion in der gesamten Nachspielzeit möglich wäre, sogar eine Art Spielaufbau stattfindet, der Ref aber dann, bei 3:42, kurz bevor sich eine Torsituation anbahnt, final mit einem ausgedehnten Pfiff den Schlussstrich zieht. „Ich habe doch noch was drangehängt?“
Die möglichen Spielsituationen in dieser Nachspielzeit gehen so: die das Tor benötigende Mannschaft hat einen Angriff, als ein Beispiel. Sie schießen sogar aufs Tor. Der Schuss wird geblockt. Der blockende Spieler geht zu Boden. Das kann dauern… Ein so harter Schuss auf einen so unbedarften Mann? Schmerzen, Schmerzen ohne Ende.
Oder: ein beliebiger Zweikampf. Einer der beiden bleibt am Boden liegen, egal ob gefoult oder nicht. Welches Trikot hat er wohl an? Richtig. Jenes der am Schlusspfiff interessierten Mannschaft. Oder: ein Abstoß für die führende Mannschaft. Der Torwart macht keine Anstalten, fortzusetzen. Man könnte das Verhalten auch so auslegen: „Bitte, Schiri, gib mir doch gelb oder wie lange darf ich noch verzögern?“ Die Gelbe Karte kostet weitere Sekunden, die ihm der Schiri endlich bösartig unter die Nase reibt. Aber denkt der Torwart nun an Fortsetzung? Nein, er lässt den Ball liegen und läuft Richtung Schiri, um diesem ein paar deftige Worte mitzugeben. Es geht einfach nicht weiter.
Oder diese Situation: die führende Mannschaft hat den Ball. Sogar eine Menge Grün vor sich, wenige Gegenspieler in der Platzhälfte. Geradewegs wird der Ball Richtung Eckfahne gesteuert. Wozu auf Tor gehen? Nachher ist nur der Ball weg. An der Eckfahne beginnt nun ein Gerangel, zu jedermanns Gaudi. Ja, so macht Fußball richtig Spaß, oder? Die Einschaltquoten schießen in die Höhe, das will jeder, nein, das muss jeder sehen. Gerangel und endlich verliert ein Gegenspieler die Nerven. Er attackiert den Ball haltenden Spieler. Ob regulär oder nicht: der Attackierte geht wild gestikulierend zu Boden. Der Lohn zumeist: ein Freistoß. Um diesen auszuführen muss jedoch der Freistoßspezialist herangeholt werden. Das kann dauern. Denn rein zufällig ist der grad gar nicht in der Nähe?! Auch für den alternativ zugesprochenen Einwurf braucht es einen Spezialisten. Möglich, dass der erst einmal eingewechselt werden muss.
Es gibt also nur noch sinnlose Szenen zu sehen, die einem jegliche Freude am Spiel verderben können. Die Fans der einen Mannschaft werden dennoch feiern, die der gegnerischen sauer sein. Aber dann machen wir es nächste Woche eben umgekehrt. Dennoch der Verlierer: der Fußball sowie der neutrale Fan, der ohnehin gar nicht dabei ist (aber vielleicht dabei wäre, wenn es gerecht und spannend zuginge?).
Man mag dringend den weiteren Effekt mit einbeziehen: sämtliche Angriffe, welche die ein Tor benötigende Mannschaft in der Nachspielzeit durchführt sind geprägt von ihren Vorerfahrungen, welche den getätigten Schilderungen entsprechen. Als Folge dieser Erfahrungen wissen die Angreifer: nur ja nicht den Ball verlieren, nur ja keinen Zweikampf führen, nicht einmal schießen oder flanken – denn selbst da gehen Gegenspieler wie vom Blitz getroffen zu Boden und rühren sich nicht mehr bis die Zeit um ist. Man darf nichts und man kann sich rein gar nichts erlauben, das Tor ist so unendlich weit entfernt. Die Folgen entsprechend: die Angriffe bekommen vermehrt den Charakter der Verzweiflungstaten, womit den Erfolgsaussichten zugleich ein erheblicher Schaden zugefügt wird.
Die Schlussfolgerung: die Nachspielzeit wird angezeigt – und stattdessen könnte man auch einfach abpfeifen. Man hätte sich lediglich ein paar lächerliche und unschöne Szenen erspart damit.
Wobei man selbstverständlich damit die Regeloffiziellen nicht komplett verteufeln sollte. Die zugrunde liegende Idee macht durchaus Sinn. Dem Schiedsrichter sollte ein Teil der zuvor denkbaren, möglichen, teils eingesetzten „Willkür“ entgegentreten (Beispiel: Tony Mottram wurde lebenslang gesperrt, nachdem er während der WM 1994 beim Spiel Südkorea – Bolivien mit dem Endergebnis von 0:0 insgesamt 8 Minuten Nachspielzeit dran hängte ohne dass dies durch Spielunterbrechungen gerechtfertigt gewesen wäre; aus eigener Beobachtung jedoch erzählt: beide wollten unbedingt den Sieg, da nur ein solcher ernste Chancen auf das Weiterkommen bedeutet hätte; in der Spielphase zwischen Minute 90 und 98 gab es von daher keine einzigen günstigen Moment, in die Pfeife zu pusten, da es nach abgewehrtem Angriff auf der einen Seite ohne Zwischenstopp direkt aufs andere Tor ging, ad infinitum; insofern wäre Tony Mottram nach hier vertretener Ansicht nicht zu bestrafen gewesen; man konnte das Spiel einfach nicht abpfeifen bevor ein Tor fiele, was letztendlich dann doch geschehen musste; für den neutralen Zuschauer das Spiel übrigens trotz völliger Torabstinenz ein Hochgenuss, nicht nur in dieser Phase; womit zugleich im Text aufgestellte These ins Wanken geriete: welche Spiele haben Erinnerungswert? Doch nicht etwa nur torreiche Spiele? Hier der Beweis!).
Die Anzeige der Nachspielzeit stellt also eine Möglichkeit, dieser Willkür einen Riegel vorzuschieben. Die derzeit gängige Praxis mit sofort nach Anzeige der Nachspielzeit erfolgenden Auswechslungen, mit der Absicht und dem resultierenden Erfolg, dass tatsächlich die Restspielzeit so verkürzt werden kann, war jedoch vielleicht nicht vorhersehbar. Sobald man das Problem jedoch erkannt und auf den Punkt gebracht hat, erfordert es ein Nachbessern der Regel.
Die an dieser Stelle empfohlenen kleine Umbaumaßnahme lautet so:
in der Nachspielzeit sich auftuende Verzögerungen dürfen durchaus angehängt werden. Da diese zumeist von der Mannschaft verursacht werden (zumindest der vorsätzliche Anteil), welche mit dem aktuellen Spielstand einverstanden ist, sollte man durchaus erwägen, die Zeit, um welche verzögert werden soll, verdoppelt anzuhängen. Die Absicht dahinter wäre natürlich: diese lästigen Auswechslungen entfielen komplett. Ebenfalls die Eckfahnenangriffe. Im Kindergarten hätte man ebenfalls die Aufgabe, sofern die Kinder sich nicht an eine Regel halten und diese mit den verfügbaren (in dem Falle jedoch vom erwachsenen Profi nicht abweichenden) kindischen Maßnahmen zu torpedieren versuchen, für eine Einhaltung derselben zu sorgen, notfalls eben mit Strafmaßnahmen, welche ruhig das Prädikat „empfindlich“ zu tragen hätten. Die einzig denkbare Folge: die kindischen Maßnahmen, auf dem Fußballplatz und in der KiTa, würden unmittelbar der Vergangenheit angehören. Wer möchte schon sich und seiner Mannschaft schaden?
Ärgerliches, lästiges oder auch einfach nur offensichtlich lächerliches (Fehl-)Verhalten sollte von den Spielplätzen verschwinden. Das sollte doch der Sache dienlich sein? Zugleich dürfte dabei der Zuschauer einen höheren Genuss haben und, man bedenke stets, der „eigentliche“ Zuschauer sollte der neutrale sein. Die Fans der beiden Lager neutralisieren sich in ihren Bedürfnissen und zugleich im Allgemeinen an Anzahl. Derjenige, der einfach nur aus Freude am Spiel schaut – und es heutzutage häufig nur noch aus alter Tradition und Verbundenheit tut und eben keine wirkliche Freude mehr hat, weil es eine Vielzahl solcher und vergleichbarer Ärgernisse gibt, zugleich das intuitive Rechtsempfinden verletzen –, wäre der gesuchte Adressat für die Verbesserungen und dieser würde unbedingt profitieren, zurückgewonnen werden oder neu gewonnen werden können.