- Einleitung
So sehr schimpfend sich die ganzen Texte auch anhören mögen: es gibt stets den positiven Ansatz. Die Absicht ist es, die Schönheit und die Farbentracht des Fußballs wieder zutage zu fördern, von der bedauerlicherweise in der und durch die heutige Medienlandschaft sehr viel verloren gegangen ist. Der Fußball hat so viel zu bieten. Zeigt uns das, macht uns das schmackhaft, vermittelt die Spannung und Dramatik anstatt nur von Fehlerketten, Unzulänglichkeiten und sonstigen Mängeln zu reden. Wenn wir die deutsche Bundesliga an jedem Wochenende sehen können, dann sollte man sich immer klar machen, dass es das absolut beste an Fußball ist, was hierzulande möglich ist.
Dazu aber gibt es immer im Text den Ansatz, wie man es besser machen könnte. Zusätzlich gibt es das ausländische Vorbild, speziell das englische, an dem man ablesen kann, dass es möglich ist, positiv aber dennoch nicht unkritisch zu berichten. Und auch hierzulande gibt es stets die beabsichtigte Differenzierung zwischen den Öffentlich-Rechtlichen Fernsehanstalten und den privaten Anbietern. Dennoch ist auch das in diesem Kapitel aufgezeigt Problem auffällig. Die Polemisierung und das teilweise Überzeichnen ist ebenso beabsichtigt, um den Finger direkt auf die Wunden zu legen. Also: Nicht jedes Interview und nicht jeder Interviewer ist schlecht oder so, wie es im Text dargestellt wird. Es ist dennoch eine eindeutige Tendenz zu erkennen.
2. Wer ist der Experte?
Wenn man also in Deutschland nach einem Fußballspiel ein Interview belauschen darf – und als echter Fußballanhänger ist man wahrlich interessiert, gerade von kompetenter Seite eine Stellungnahme einzufangen –, dann ist ab dem ersten Fragesatz bereits so ziemlich offen, wer hier der Experte sein soll (oder will), vor allem der für Fußball. Denn häufig genug wird der Befragte geradewegs attackiert mit anmaßenden Fragen wie: „Warum haben Sie heute verloren?“
Zunächst mal aber: Die Interviews, die man früher zu sehen bekam, zeigten einen echten Fachmann – nämlich den Befragten – der für die zuschauende und andächtig lauschende Gemeinschaft einige erhellende Worte über sein absolutes Fachgebiet, also den Fußball, zum Besten gab. Von der Kunst des Befragenden bekam man nur so viel mit, dass es ihm möglichst gelingen sollte, genau die Fragen zu stellen, die a) der Zuschauer auch stellen wollte und würde und b) die genau das aufdecken, was man noch nicht wusste, was aber interessant zu erfahren ist. Ansonsten hatte dieser Mensch nur eine untergeordnete Funktion, vergleichbar mit jener eines Schiris beim Fußballspiel, der immer dann laut Legende dann am besten ist, wenn man ihn gar nicht wahrnimmt.
Heute haben sich die Vorzeichen längst umgedreht. Der Fußballexperte wird degradiert zum Nebendarsteller, der bestenfalls die Chance hat, ein paar gelungene Ausreden auf die „kritischen Reporterfragen“ zu finden. Das Urteil, ob die Aussage nun stimmte oder nicht obliegt ebenfalls dem Fragenden, wie er aber erst im Anschluss – nämlich nachdem er die Chance, etwas wirklich interessantes zu erfragen, herauszubekommen, vertan hat und den Befragten mit ein paar so lächerlichen und dümmlichen Fragen verjagt hat, dass er endlich alleine dasteht – ausführen kann, auf die Dünnhäutigkeit oder die Schlechte-Verlierer-Mentalität verweisend..
Basis für die ganze Hetzjagd ist wieder einmal ausschließlich die Kenntnis des Ergebnisses. Denn an dem gibt es kein Vorbeidiskutieren. Der wirklich schlaue Befragte – und davon gibt es mittlerweile zum Leidwesen des wahrhaft Interessierten mehr und mehr — reagiert so: Er redet dem Fragenden zu Munde. „Warum haben Sie verloren?“ „Weil wir heute schlecht waren.“ „Aha, was fanden Sie denn alles schlecht?“ „Na, alles, was Sie während des Spiels schon aufdeckten. Wir waren von der 1 bis zur 11 schlecht und wenn ich die Chance gehabt hätte, dann hätte ich alle 11 ausgewechselt.“ „Oh, ja, eine Bemerkung vielleicht zum Schiedsrichter, der Ihnen einen klaren Elfmeter verweigerte?“ „Über den Schiedsrichter möchte ich nicht reden.“ „Sind Sie denn nächste Woche noch im Amt? Erreichen Sie die Mannschaft noch?“ „Wir werden nächste Woche ganz normal weiter arbeiten. Wir werden versuchen, ein gutes Ergebnis zu erzielen. Der Rest liegt nicht in meiner Hand.“ „Schönen Dank für das Interview. Auf Wiedersehen und alles Gute.“ Der Befragte wendet sich ab, ist froh, diese kleine Klippe umschifft zu haben – denn natürlich „Klippe“ bezieht sich darauf, dass es ihm gelungen ist, dem dreisten Frager nicht das Mikrofon ins Maul zu stopfen – und geht seiner Wege. Wir erhalten noch eine wahrhaft erhellende Zusammenfassung von dem Fragegenie, der an sich Multitalent ist, nämlich sowohl als Spieler, als auch als Trainer, Manager oder Präsident arbeiten könnte bei jedem Verein auf der Welt, die sich so darstellt: „Wenigstens ehrlich war der Mann.“ Und genau damit hat er alles andere als Recht. Er wird es nur leider nie erfahren…
Wer sich allerdings auf das Interview einlässt wird Opfer der mathematischen Hochbegabung des Fragers, die sich an Aufaddieren und Gleichungen und Ungleichungen aufstellen zweier Zahlen im Raum von 1 bis 10 festmachen lässt: Der Mann kennt das Ergebnis. Denn, wage er ja nicht, sich dieser unerbittlichen (Ergebnis-)Logik in den Weg stellen zu wollen.
Wenn man also auf die erste Frage reagieren sollte mit: „Warum wir verloren haben? Ja, haben Sie denn nicht gesehen, dass wir die bessere Mannschaft waren und einen klaren Elfmeter nicht bekommen haben?“ dann trifft ihn der Gegenschlag des Allwissenden so: „Machen Sie es sich da nicht ein bisschen zu einfach?“ „Na, wir hatten genügend Chancen und hätten mindestens ein Unentschieden verdient gehabt. Da war die Großchance in der 22., als … ganz alleine vor dem Torwart auftauchte, dann der Lattenschuss noch Anfang der zweiten Halbzeit, der konnte auch gut reingehen, und dann eben der Elfmeter.“ „Na, aber ist denn die mangelnde Chancenverwertung kein Qualitätsmerkmal? Das zieht sich doch wie ein roter Faden durch die ganze Saison. Müssen Sie sich da keine Sorgen machen? Da den Hebel ansetzen? Vielleicht einen neuren, effektiveren Stürmer einsetzen? Der vorne, der … hat bereits seit 675 Minuten nicht mehr getroffen, während der … auf der Bank schmort.“ „Ich habe die Spieler eingesetzt, die im Training die besten Leistungen gezeigt haben. Sorgen müsste ich mir machen, wenn wir keine Chancen hätten. Die Verwertung kommt irgendwann, das kommt von ganz alleine. Heute war auch ein bisschen Pech im Spiel.“ „Sie haben nach der Niederlage letzte Woche heute wieder auf das 4-4-2 mit der Raute gesetzt. Ist die Mannschaft nicht in der Lage, Ihre Vorgaben umzusetzen?“ „Wir haben heute mit der Raute gespielt, weil ich die zwei Spieler … und … wieder an Bord hatte. Außerdem: Wir trainieren mehrere Systeme, damit wir etwas flexibler bleiben. Es lag heute nicht am System.“ „Na, Sie wissen ja selbst, wie die Gesetze in der Branche sind. Am Ende werden Sie an den Ergebnisses gemessen. Und die bleiben im Moment aus.“ „Ja, danke, ich habe die Tore auch mitgezählt. Wir haben eins weniger als der Gegner erzielt. Wenn wir Ruhe bewahren, werden die Ergebnisse wiederkommen. Wenn der Vorstand die Geduld nicht hat, dann….“ „Ja, schönen Dank für das Interview.“ Und, nachdem der Mann gegangen ist zum Publikum: „Das hört sich sehr nach baldigem Abschied an.“