Die Hürden
Wenn man sich einem so großen Thema wie dem Fußball widmet, gedanklich zunächst, im Anschluss dies zu Papier bringend — wobei selbst in diesem Prozess eine Weiterentwicklung stattfinden kann, es also sowohl „im Anschluss“ als auch „parallel“ lauten könnte — dann hat dies eine Reihe höchst erfreulicher Begleiterscheinungen. Die Größe bringt mit sich, dass eine gigantische Vielzahl von Menschen grundsätzlich interessiert sein müsste. Man könnte zugleich anführen, dass man spielend leicht Informationen erhält, dass man quasi tagtäglich, oftmals gar ohne es zu wollen, die neuesten Nachrichten erhält, die wichtigsten Transfernews, die Trainerentlassungen, die großen Skandale neben den Spielplätzen, die Tabellen und Ambitionen, das Verfehlen der Saisonziele der einen, das Übererfüllen der anderen.
„Man“ ist also informiert. Und somit zeichnen sich bereits die ersten Schattenseiten ab. Die allgmeine Haltung eines potenziellen Lesers wäre so am besten allgemein auszudrücken: „Über Fußball braucht der mir gar nichts zu erzählen. Ich weiß schon alles – nur ein bisschen besser.“
Dies ein Kuriosum, welchem es bereits nachzugehen lohnen könnte: wie kommt das bloß? Selbst wenn nicht im Detail und gänzlich an dieser Stelle hier auseinander gesetzt: es genügt vielleicht schon, zu erwähnen, dass Deutschland irgendwie immer Weltmeister und Europameister ist und wenn nicht, dann kennt man selbst die Gründe am besten dafür („Warum hat er DIESEN und nicht JENEN aufgestellt und in dem ungeeigneten Tannenbaum System anstatt das viel größeren Erfolg versprechende 4—4—2 mit der Raute zu wählen? Da hätte er nämlich…“). Und den Champions League Titel haben die Bayern auch nur verpasst, weil….
Man hat im Übrigen überall sofort „Gesprächspartner“, wenn man das Wort fallen lässt (Fußball?). Wobei die Anführungszeichen bereits einen kleinen Makel daran aufzeigen: der damit suggerierte Austausch von Argumenten ist eine Illusion. In einer zünftigen Männerrunde (sorry in Richtung Damenwelt, nicht zu vergessen!) entfällt dies. Sie besteht nur noch aus Redenden. Zuhören? Überflüssig. „Ich weiß schon, was du sagen willst, aber so stimmt das nicht, das ist nämlich ganz anders.“ Zumindest entfällt es, wenn man ein tagesaktuelles Thema aufruft oder den Terminus „moderner Fußball“ verwendet.
Sollte man beispielsweise zur Gesprächseröffnung die Namen – bitte dies schnell erledigen, im Eigenversuch – Uwe Seeler und Fritz Walter nennen, dann verklärt sich der Blick und man spielt untereinander Doppelpass, mit höchstem Genuss, einzigartiger Präzision und im blinden Verständnis. „Ja, weißt du noch, als Uns Uwe das Millionenangebot aus Italien bekam und dem HSV stattdessen das Treuebekenntnis ablegte?“ Rückpass: „Und mit dem Hinterkopf gegen England 1970 das 2:2 … Ich sehe es vor mir.“ Fritz Walter, wie er den WM-Pokal 1954 auf den Schultern getragen, Schweißperlen auf der Stirn, aber überglücklich, einem brach liegenden, aber in den Anfängen des Wirtsfchaftswunders befindlichen, vielleicht davon entscheidend beflügelt („Wir schaffen das…“) kredenzte. Nein, Wehmut wäre beinahe ein zu schwaches Wort dafür.
Insofern hat man also durchaus Steuerungsmöglichkeiten, jedoch lediglich bei der Gesprächseröffnung. Ruft man ein „Ulli Hoeneß“ aus, denkt jeder an Nachthimmel und verschossene Elfmeter, 30 Millionen und schwedische Gardinen. Versucht man es mit „Papierkügelchen“, so geschieht es unaufgefordert, dass einem „HSV – Werder“ ans Ohr dringt.
Sagt man „moderner Fußball“, so wird man bei raschem Blick in die Runde als allererstes ein Abwinken beibachten können. Dieses Abwinken hat eine sehr reichhaltige Bedeutung, man könnte es für den Moment dabei bewenden lassen: „Moderner Fußball … da ist was faul … ich weiß zwar, was, aber auf mich hört eh keiner … Gehälter, Ablösen, Schauspielerei, üble Verletzungen, Fanausschreitungen, ach, geh weiter, stinkt zum Himmel, ohne mich. Höchstens noch aus alter Liebe und Verbundenheit und Treue mein FC und sonst nix…Wobei selbst bei denen… aber was soll man machen?“
Nun mag dies ein Potpourri der möglichen dahinter stehenden Gedanken sein und damit mehr oder weniger repräsentativ (die Liste ließe sich spielend erweitern) aber das Abwinken selbst war schon einmal zu registrieren und keine feuchten Augen in der gesamten Runde bei einem einzigen ausgelöst. Früher ja, heute nein.
Diese Erkenntnisse jedoch würden bei weitem nicht hinreichen, als dass sich irgendein einzelner dieser beliebig zusammen gestellten Runde nun „belehren“ lassen wollte. „Hier, schau mal in das Buch rein, da findest du Antworten.“ „Steck den Schund wieder weg. Man müsste mich fragen, wo der Hase im Pfeffer liegt, wo man ansetzen müsste, was man so alles ändern müsste. Außerdem schaue ich meinen Club, die großen Turnier, Champions League ab Halbfinale vielleicht noch, und das wars.“
Der Schluss daraus: es gäbe eine Vielzahl von Interessenten für einen Text, sofern dieser ihnen auf den Leib geschneidert wäre, sofern erkennbar wäre, durch irgendeine Kleinigkeit, dass der Verfasser eine Sichtweise hat, welche wohl tuend ist, welche objektiv ist, welche einzigartig ist, was aber dennoch eingängig ist ohne dass einem etwas übergestülpt werden soll. Da regte sich sofort der Widerstand: „Das lass ich mir doch nicht einreden.“
Insofern muss man wohl kurz auf den Autor zu sprechen kommen. Dieser hat zumindest diese einzigartige Sicht auf das Spiel. Wodurch sie entstanden ist, wäre eine etwas längere Herleitung – welche den gleichen Reflex auslösen würde wie jede andere Belehrung im Sinne von „war doch bei mir genau so..brauch ich mir nicht anzutun.“, relevant vielleicht kurz, dass er beruflich bedingt nicht nur zur Objektivität verpflichtet wäre sondern diese, im Gegensatz zu beispielsweise einem Kommentator, Grundvoraussetzung ist, in seinem Beruf erfolgreich zu sein.
Die Berufsbezeichnung wäre am besten so auf den Punkt gebracht: „Professioneller Spieler, Spezialgebiet Fußball Wetten.“ Nun ist dies kein gängier Beruf und abgesehen davon könnte dies ein jeder sagen, ohne Beweis ist es wertlos.
Die Anerkennung dafür liegt durchaus vor. Da jedoch der Beruf seit 30 Jahren ausgeübt wird und es kaum andere Einnahmequellen gab, so gewinnt es vielleicht schon an Verlässlichkeit. Darüber hinaus gab es eine Vielzahl von Berichten, in Schrift, Bild und Ton, sowie Auftritte in einigen Fernsehsendungen – per Recherche sicher zugänglich –, so dass es allmählich Vertrauen erweckend sein könnte. Zumal es innerhalb der Berichte gewisse Hinweise gibt, was er so alles beizutragen hat, was einem zuvor nicht bekannt war.
Der ablehnende Reflex „weiß ich schon, nur besser“ betrifft übrigens so gut wie jeden – und „jeder“ kann sich an dieser Stelle hier daraufhin überprüfen. „Ich hab gehört, es soll um Fußball geben? Der ist, wie er ist, das brauchen wir nicht und ist alles schon bekannt.“
Entscheidend an diesen gesamten Vorüberlegungen hier ist, dass man sich allein schon durch das Gedanken machen über diese Vielzahl und die Höhe der Hürden einen gewissen Einstieg verspricht. Man hat sich klar gemacht, warum das Beobachtete und Niedergeschriebene nicht gelesen würde und hat damit bereits den Erfolg, dass der Leser dies in seiner Reflektionsform anerkennt und, zu schätzen weiß. „Vielleicht lohnt es ja doch?“ So unangenehm es für den Moment sein mag, dass einem irgendwie empfindlich auf den Zahn gefühlt wurde: „Woher will der Mann wissen, was ich denke? Er hat zwar komischerweise recht, dass ich das nicht brauche aber aus Protest und Auflehnung lese ich einfach weiter. Ätsch! Nase gedreht!“
Die weitere Vorgeschichte des Autoren nun, nach Bekanntgabe seiner Berufsorientierung, dennoch ein bisschen näher erörtert. Denn „Wettprofi“ wird man nicht einfach so.
Sein Vater nahm ihn bereits im Alter von vier Jahren regelmäßig mit zu Fußball Spielen. Dabei hatte auch jener die Gewohnheit, sich ein beliebiges Stadion mit einem beliiebigen Spiel herauszupicken, meist aus der Berliner Regionalliga. Ob Wacker 04, Tennis Borussia Berlin, Rapide Wedding, Tasmania 1900, Hertha 03 Zehlendorf, VfB Hermsdorf, Kickers 1900, Blau-Weiß 90 : man kam bei jeder Mannschaft und jedem Stadion mal vorbei. Insofern beinahe zwangsläufig, dass sich keine spezielle Fanbeziehung herauskristallisierte. Man möchte diesen Spieler oder jenen Torwart, dieses Stadion oder temporär mal eine Mannschaft. Aber das war nicht wichtig. Wichtig war: hier wird Fußball gespielt und das macht Spaß. Zumal man bei derartigen Spielen oft direkt hinter dem Tor stehen konnte. Und wenn dann mal einer einschlug… Hertha BSC war in diesen Jahren ebenfalls in der Regionalliga, auch zum Gesundbrunnen kam man mal vorbei, sie wurden auch Meister, jedoch gab es keine besondere Beziehung zu ihnen. Zwei Mal in Folge scheiterten sie auch in den Aufstiegsrunden.
Eine Zahlenbegabung sowie eine Fasziniation für Tabellen und deren Aufbau konnte parallel beobachtet werden. Im Alter von sieben Jahren, zur Bundesliga Saison 1966/67 begann es, dass er jeden Sonntagmorgen als Erster aufstand, um die Morgenpost zu holen und die neueste Tabelle zu studieren. Die Familie schlief – er frönte seiner Leidenschaft, sozusagen „ungestört“, denn niemand sonst, der was auch immer aus der Zeitung lesen wollte.
Zunehmend wurde selbst gekickt, bald im Verein. Mit sieben Jahren der Eintritt bei Hertha 03, später mit Klassenkameraden zu Brandenburg 92, aber hauptsächlich im Hundepark, gleich um die Ecke. Die sich parallel entwickelnde Leidenschaft war es jedoch, alles verfügbare „Material“ aus der Stadtbücherei auszuleihen und wenn der Zyklus einmal vollendet war, dann ging es wieder von vorne los. Da waren Lehrbücher vertreten, genau so frei erfundene Geschichten („Flitzi“), Turnierbücher und Biographien. Was auch immer man ergattern konnte. In der Verwandtschaft war das bald genau so bekannt und so wuchs die eigene Bibliothek mit.
Falls der Lesestoff mal ausging, so wurden die alten Fußballwochen, jahrgangsweise angesammelt und genauso „verzehrt“, hergenommen. Und wenn alle Jahrgänge durch: wieder von vorne. Der Lesestoff ging auf diese Art nicht aus und es gab immer wieder was Neues zu entdecken. Wer war noch mal 1967 Zweiter in der Torschützenliste in der B-Klasse, Staffel 1?
Im Familienkreis wurde er so bald zum „wandelnden Fußball Lexikon“ getauft. Selbst wenn nur scherzhaft: irgendwas war da vielleicht auch dran? Selbstverständlich wurden die Fußballalben gepflegt und, wohl gerade achtjährig, gegen einen Cousin die Wette gewonnen: „Ich kenne von jeder Mannschaft mindestens 11 Spieler.“ „Nee, weißte nicht, geht ja gar nicht.“ Die Ehre, die per Wette auf dem Spiel stand, ging an ihn.
Als Hertha dann doch aufstieg, im Jahren 1968, gab es größere Spiele in Berlin zu beobachten. Diese wurden so häufig es ging auch besucht. Jedoch waren die Samstagnachmittage häufig für eigene Spiele reserviert. So blieb der Sonntag, um weiterhin die Regionalliga zu verfolgen.
Parallel begann er, mit einer von der Großmutter ererbten Schreibmaschine, die Fußball Bundesliga zu Hause selbst auszutragen. Eine Möglichkeit dazu boten die „Elfer-raus“ Karten. Pro Spiel und Mannschaft wurden sechs Karten gezogen, ein Viertel der Karten war rot, die Roten Karten waren die Tore. Ohne es damals und in erster Instanz geprüft zu haben – vermutlich der Vater als Ideengeber? –, errechnet man leicht: 12 Karten pro Spiel, ein Viertel rote darunter, 12/4 =3, so ergab sich der realistische Toreschnitt von 3 Toren pro Spiel – also auch realistische Tabellen.
Wobei hier bald störend war, dass die Tabellenbilder sich nicht ganz so wie in der Realität entwickelten. Denn: auf die eingangs verwandte Art waren alle Mannschaften gleich stark, demnach setzte sich nach vorne nur schwerlich jemand ab. Spannend war es, ok, aber eben nicht ganz realistisch.
Auch hier wurde bald Abhilfe geschaffen: den Favoriten wurden Boni gewährt. Wer vorne stand, bekam eine Karte mehr, wer hinten war gar eine weniger.
Also schon damals zeichnete es sich ab, dass die Bundesliga „simuliert“ wird, dass aber wichtig ist, dass es möglichst wirklichkeitsnahe geschieht.
Die Tabellen und Spielpläne wurden sorgfältig mit der Schreibmaschine eingetippt, zwei Spieltage pro DinA-4 Seite. Die Tabellen mussten natürlich selbst erstellt werden. „Fortuna Düsseldorf – Eintracht Braunschweig 2:1“. Das muss dann so ausgewertet werden, die neue Tabelle errechnet werden und die Mannschaften in der neuen Reihenfolge ausgegeben. Das war ein Großteil des Spaßes. Hautpsache, man kann rechnen.
Dies war die Unterhaltung, wenn es keine Spielpartner gab. Falls doch jemand verfügbar war – meist der Vater selbst, ab und an mal einer der größeren Brüder –, dann wurde Tipp-Kick gespielt und damit ebenfalls die Bundesliga simuliert. Der Vater hatte eine Platte angefertigt, größer als die Regelspielfelder und viel besser zu bespielen. Dazu waren Tore am Ende aus Sperrholz ausgesägt, mit einer Vorrichtung versehen, dass sie an- und abgenommen werden konnten, zugleich dass die Torhüter nach hinten Platz hatten – man bedenke, dass es sich um einen ganz normalen, nur temporär umfunktionierten Tisch handelte, und nur die eine Seite der Tischplatte war grün und mit weißen Linien versehen. Die Tore hatten richtige Netze, welche man beim Einkauf von Orangen mit erhielt und die nur noch richtig zurechtgeschneidert werden mussten. So gab es richtige echte Torerfolge zu feiern.
Die Regeln wurden nun auch hierfür nach und nach weiter optimiert von dem größer werdenden Jungen. Zunächst wurden die 18 Mannschaften ausgewählt und zugeteilt, in aller Regel jene, die gerade in der höchsten Spielklasse spielten. Vater und Sohn wählten abwechselnd je eine Mannschaft aus. So ergab sich für beide eine Reihenfolge von 1 bis 9. Falls nun ein Spiel anstand zur Austragung, so ergab sich aus dieser Rangfolge, wer mit welcher Mannschaft zu spielen hatte. Aus der Sicht eines Jeden der Beiden: zuerst steht die eigene 1 bis 9, dann die gegnerische 9 bis 1, sozusagen untereinander. So kann man immer ablesen, mit welcher Mannschaft man zu spielen hat – und es wurde unbedingt jedes Spiel auch ausgetargen. Seine 1 gegen seine 2? Vater spielt seine 1, Sohn dessen 2, muss halt auch mal sein, wenn die Paarung ansteht.
Das war auch völlig unproblematisch daran. Wer spielt mit wem? Wissen wir, schauen wir nach. Wichtig war nun, dass es spannende Spiele gab, dass es eine interessante Tabelle gab und dass nicht einer der Beiden total überlegen war. Dies war jedoch gesichert der Fall, zugleich ausreichend viel Zufall in dem Spiel selbst, so dass es „Überraschungen“ geben konnte. Wer die Nase vorne hatte, nach einer Vielzahl von Spielen? Das wurde nicht einmal ausgerechnet – obwohl leicht möglich. Der Spielspaß selbst stand im Vordergrund, nicht das „Gewinnen wollen“.
Um auch hier für bessere und realistischere Ergebnisse und Tabellen zu sorgen wurden nach und nach kleine Modifikationen eingeführt. Der Ball beim Tipp-Kick hat die verschieden geformten Flächen, auf welchen er zu liegen kommt. Eine Seite rot, eine gelb (später gab es auch mal weiß und schwarz). Darunter gab es Dreicksflächen und quadratische Flächen. Hier hatte man nun genügend Spielraum, um einen Heimvorteil abzubilden, beispielsweise. Wenn der Angreifer rot hat und rot auf einem Dreicek zu liegen kommt, dann darf der Ball zwar gespielt werden, aber nicht direkt aufs Tor geschossen. Man muss ihn noch einmal vorlegen. Torschuss für Rot: nur bei rotem Quadrat.
So konnte man sehr verschiedene Differenzierungen vornehmen. Wenn zum Beispiel der Tabellenführer gegen den Tabellenletzten zu Hause spielte, dann war das der größtmögliche Vorteil. Hier konnte der Tabellenführer sogar den gegnerischen Ball spielen, wenn dieser auf desen Farbe auf einem Dreieck lag. Der Außenseiter konnte also nur noch ein Tor erzielen, wenn der Ball in der gegnerischen Hälft auf seinem eigenen Quadrat lag. Sonst war der Ball wieder weg, also selbst wenn er auf seiner Farbe lag, jedoch das Dreieck oben war.
Somit konnte es noch immer die Riesensensation geben – aber sie war entsprechend unwahrscheinlich.
Da es bei Tipp-Kick doch recht schnell ging, ein paar Tore zu erzielen und so die Gefahr bestand, dass es zu viele davon gab, beziehungsweise umgekehrt das Problem bestand, dass es zu ausgeglichen Spielergebnisse gab – also keine hohen Torergebnisse mehr – wurde auch hier spielerisch eingegriffen: die Spielzeit wurde vor einer Partie ausgewürfelt. Es konnte sein zwischen einer halben Minute pro Halbzeit (bei einer 1) oder drei Minuten pro Halbzeit (die 6). Bei 30 Sekunden pro Halbzeit konnte man kaum mit einem 3:1 rechnen. 0:0, 1:0, vielleicht mal 1:1 oder 2:0. Also: torarme Spiele. Bei einer 6 gab es dann auch mal ein 5:2, wie in Wirklichkeit.
So wird erkennbar, dass es ihm immer darum ging, möglichst realistisch zu simulieren. Die Tabellen selbst wurden sogar ausgewertet und mit der Realität verglichen: Heimsiege, Unentschieden, Tore, stimmt das in etwa überein? Auch hier gewisse Eigenschaften, die sich abzeichneten und sich später als hilfreich erwiesen, zumindest ihn durchgehend begleiteten.
Ein Punkt sei noch dringend erwähnt: bei der Wahl der Mannschaften hatte stets der Vater die erste Wahl. Und hier war klar: er nahm Hertha BSC. Dies nun sicher für ein derartiges Verhältnis mehr als ungewöhnlich: welcher Junge würde seinem Vater die Nummer 1 überlassen, wenn es die eigentlich auszuwählende Lieblingsmannschaft sein müsste? Es war ihm jedoch selbstverständlich. Keine Frage natürlich, dass der Vater die Mannschaft abgetreten hätte, das war keineswegs der Grund, dass er darauf bestand: „Ich spiele nur mit, wenn ich Hertha kriege.“ Nein, keineswegs so.
Diese dringende Erwähnung deshalb, weil es ja weiterhin eine Menge um Objektivität geht. Und wie könnte man diese besser unter Beweis stellen, als mit einer derartigen Maßnahme? Für den Jungen war es wichtig, dass gespielt wurde, dass Tabellen gebaut werden konnten, welche einer echten Tabelle zum Verwechseln ähnlich sind. Keineswegs stand das Gewinnen im Vordergrund und auch nicht, dass irgendein bestimmter Verein in der Tabelle vorne lag. Wo Hertha war, wo Bayern, wo Schalke, wo Werder, wo Glabdach? Nichts, was einen Hinweis darauf gäbe. Bei einer Vielzahl von durchgeführten derartigen Spielzeiten vielleicht kein Wunder – oder eben doch. Es ging einfach nicht darum. Es besteht sogar die Möglichkeit, dass die Statistik, wer die Nase vorn hat, den Spielspaß vermindert hätte. Man würde sich mit dem Gedanken beschäftigen „wer ist besser?“ und vielleicht daran etwas ändern wollen, eine Art unangebrachten Ehrgeiz entwickeln?
Die Geschichte setzte sich so fort: mit 13 Jahren gab es das Spiel „Subbuteo“, zu Weihnachten. Ein Tischfußballspiel, welches keine so hohe Verbreitung hat, aber bis heute auch in Wettbewerben ausgetragen wird. 11 Spieler je Team, auf Sockeln, ein grünes Filztuch, wer dran ist, darf den Ball spielen, bis er ihn verfehlt oder einen Gegenspieler anschießt. Tore dürften erst, dem Handball ähnlich, ab der Schusszone erzielt werden, um auszuschließen, dass man aus der eigenen Abwehr heraus einfach Richtung Tor zielt – was kein übertrieben großes Problem wäre, wenn erlaubt.
Wie auch immer machte der Vater diese Leidenschaft nicht mehr mit. Stattdessen wurde die Spielform nun mit Freunden durchgeführt, mit dem Hauptproblem jedoch, dass der Autor bald jedem Einzelnen zu sehr überlegen war. Insofern ging das nicht recht weiter. Als jedoch der Subbuteo-Club – Hertha 72 – gefunden war, ging es dort weiter. Der Vorsitzende nahm immer nur Hertha – keine Frage – und dominierte das Spiel, so dass Hertha sich klar an der Spitze absetzte. Auch dies drückte auf den Spielspaß.
Immerhin konnte der Autor bei nun wachsender Spielstärke bald die Norddeutsche Meisterschaft mitspielen, dort einen achtbaren 4. Platz erspielen, und in der neu gegründeten Bundesliga mitspielen.
Um die Geschichte des Subbuteos zu einem Abschluss zu bringen: in den 90er Jahren spielte er einige Welt- und Europameisterschaften mit, in Holland, Belgien, Griechenland – man kam also rum – und erreichte in der Veteranen Kategorie (Ü40) einmal das Viertelfinale, um dort gegen den späteren Sieger mit 1:3 den Kürzeren zu ziehen. In gewisser Weise sein „größter Erfolg“, wobei auch Siege im Bärenpokal von Berlin sowie der Norddeutschen Classic Meisterschaft (es gab mal Regelmodifikationen, diese Meisterschaft war im alten Modus augetragen) zu Buche stehen.
All diese ausführlichen Schilderungen scheinen vonnöten, um sich allmählich diesem Status „Ja, der Mann ist objektiv“ anzunähern und insofern anderweitig getätigte Aussagen und Beobachtungen über den Fußball ein gewisses Fundament und somit Gewicht erhielten. Allerdings besteht bei ihrer Niderschrift keineswegs die Absicht, zu langweilen.
In Bezug auf „Fanleidenschaft“ oder „Lieblingsmannschaft“ entwickelte es sich folgendermaßen: selbstverständlich wurde die Weltmeisterschaft 1966, mit sieben Jahren, in gewisser Weise mit deutscher Anhängerschaft verfolgt. Es gab so gut wie ausschließlich diese Perspektive, auch in der Berichterstattung, welche damals jedoch unter allen Umständen vorfreudig, begeistert, mitfiebernd, Anteil nehmend ,unterhaltsam zugleich, „bedeutungsschwanger“ und vielleicht sogar ein wenig devot („mal schauen, wie wir mit den ganz Großen der Welt mithalten können…“) erfolgte. Auf diese Art wurde das Mitfiebern leicht gemacht. Natürlich war man zugleich über die Helden jederzeit gut informiert und sie hatten auch das Zeug, Helden zu sein. Uwe Seeler, Franz Beckenbauer, Helmut Haller, Siggi Held, letzterer allein schon wegen des Namens? Auch „Emma“ mit der „linken Klebe“ schwang sich zu einem Bewerber auf mit dem legendären Tor gegen Spanien…
Dennoch das Randgeschehen in leider schlechter Erinnerung. Denn: auf Urlaubsreisen in jenen Wochen, teilweise in Schweden, wurde dennoch ab und an eine Bild-Zeitung ergattert. Mit sieben Jahren mögen gewisse Fähigkeiten noch nicht einem Erwachsenen gleich ausgeprägt sein, jedoch deutlich war auf der Titelzeile einmal zu lesen: „PELE IST TOT“. Darunter ein Bild (auf der BILD), auf welchem er vom Platz getragen wurde. Der Vater konnte zwar unmittelbar beruhigen, dass er nicht etwa verstorben war, sondern lediglich für diese WM nicht mehr dabei war, dennoch saß der Schock tief und konnte man sich dieses Mitgefühlts nicht erwehren. Denn der FC Santos war damals im Sammelalbum als zusätzliche Mannschaft vertreten, für welche Pele spielte.
Die Faszination für Brasilien ohnehin, als Titelverteidiger und bekanntermaßen größte Fußballnation gegeben. Aber auch die Ungerechtigkeit damals schon spürbar. Pele war verletzt worden im Spiel, es durfte aber nicht ausgewechselt werden. So humpelte er zwar noch eine Weile über den Platz, konnte aber die Niederlage und das Aus nicht mehr abwenden (1:3 gegen Portugal, 1:3 gegen Ungarn, ohne Recherche; das Vorrundenaus, aber kein gerechtes).
Es gibt vermutlich bei jedem Zuschauer diese Unterteilung: lokales Team, für welches man selbst einst oder auch heute noch spielt, höchstklassiges Team aus der Umgegend, dann die Vereinsmannschaften in europäischen Wettbewerben, welche aus dem eigenen Land stammen, schließlich die Nationalmannschaft. Man hangelt sich sozusagen nach oben, wo auch immer ein Bezug besteht: wenn Bayern in Europa, dann natürlich ihnen die Daumen gedrückt, wenn Bayern in Frankfurt – und man wäre zum Beispiel Frankfurter – dann natürlich der Eintracht die Daumen gehalten. Wenn die Eintracht beim lokalen Club, zum Beispiel im Pokal, dann erhielte natürlich dieser Club den Vorzug. Wenn Deutschland, dann die und niemand sonst, selbst wenn ein paar Spieler vom direkten Konkurrenten aus der Bundesliga mit dabei sind.
Insofern hier also das „Parallelgeschehen“ auf eine Vereinsmannschaft bezogen. Innerhalb Berlins innerhalb der Regionalliga konnte es jeder sein. Wenn man dort mal eine Mannschaft hervorheben möchte, dann wäre es vielleicht zu einer Zeit Blau-Weiß 90, wegen des überragenden Torwarts Berni, des schönen Platzes an der Ullsteinstraße, wo man direkt hinter dem Tor stehen konnte und sich keine Massen drängten. Vielleicht etwas später mal eine gewisse Neigung zu FC Wacker 04 aus Reinickendorf, weil auch dort der Platz entsprechend schön war, man war nahe dran, die Spieler – die man natürlich allesamt namentlich kannte – liefen direkt an einem vorbei, vor dem Spiel, zur Halbzeit, bei Rückkehr aus derselben und zum Spielende und das lila in deren Trikots machte ebenfalls Eindruck. Zu den Aufstiegsspielen war man logischerweise für jeden, der dabei war. Ob TeBe, Hertha Zehlendorf, Tasmania, Wacker oder eben Hertha BSC. Und klar drückte man den Berliner Clubs die Daumen, egal, mit wie viel Objektivität ausgestattet (damals ja erst in der Entwicklungsphase befindlich; ein Thema war das natürlich nicht).
Als Hertha BSC 1968 die Aufstiegsrunde erreichte und tatsächlich Chancen hatte, war man logischerweise regelmäßiger Gast im Olympiastadion. Der Sieg gegen Hauptkonkurrent Rot Weiß Essen (2:0 vor 80.000), das 1:0 gegen Göttingen (Torschütze, aus dem Gedächtnis gesagt, „Atze“ Altendorf), der Sieg gegen Bayern Hof und das Abschlussspiel gegen den SV Alsenborn (ein 1:1 vor „nur“ 60.000 Zuschauern), nach welchem Sangulin von begeisterten Fans vom Platz getragen wurde, jedoch die Hertha verlassen würde, wie schon bekannt war, oder für den Bundesligakader nicht mehr eingeplant. Ein Held war er dennoch. Die Hertha war „wieder oben“ und der Autor selbst, damals 9 Jahre alt, konnte sich einer gewissen Begeisterung nicht entziehen.
Wann immer möglich wurde das Stadion besucht. Nur die eigenen „Karriere“ stand viel zu häufig im Weg. Allerdings gab es das Abendspiel gegen Köln, die noch immer größte Kulisse jemals, mit 88.091 zahlenden Zuschauern, wobei man selbst Zeuge wurde, wie eine riesige Vielzahl von Fans einfach so die Kassen stürmte, weil das Schild „AUSVERKAUFT“ ausgehängt wurde und sie unbedingt dabei sein wollten. Sicher waren also noch zwei bis dreitausend mehr im Stadion als die gezählten Tickets. Dies machte sich so bemerkbar: Vater und Sohn fanden lediglich im Oberring Platz, und zwar auf der Treppe sitzend. Es war rappelvoll. Sicherheitserwägungen wurden außer Acht gelassen. Das Spiel musste man einfach schauen. Tatsächlich gelang es der Hertha, den zu dem Zeitpunkt Führenden der Ewigen Tabelle, den FC Köln, mit 1:0 zu besiegen. Torschütze: Lorenz Horr, von Alsenborn gekommen.
Auch in Erinnerung ein weiteres Abendspiel gegen Hannover 96, welches man „ausnahmsweise“ – schließlich war Schule am nächsten Tag und Anpfiff um 20 Uhr – sehen durfte. Ein 2:1 Sieg.
Wie auch immer: man fühlte sich mit der Hertha verbunden. Sie waren zwar meist in der unteren Tabellenhälfte, aber immer mit Chancen, drin zu bleiben. In bester Erinnerung noch: es war ein langer und harter Winter und gerade im Olympiastadion hatte er seine Spuren hinterlassen. Ein Heimspiel nach dem anderen fiel aus. Wenn überhaupt spielte man auswärts – und da hingen die Trauben früher sogar noch etwas höher. Die Folge: Hertha hatte zwar keine katastrophale Bilanz, wawr nach Minuspunkten gerechnet vielleicht auf 13, 14. Aber nach Pluspunkten waren sie wochenlang Letzter.
Irgendwann kamen jedoch die Nachholspiele. Und diese hatten einen gewissen Vorteil: sie wurden unter der Woche ausgetragen.Die Ausnahme wurde wiederholt. Man war als begeisterter Stadiongänger anerkannt und durfte mit. Die beiden Siege gegen Nürnberg und Frankfurt (je 2:0) im Frühjahr wiesen den richtigen Weg. Ein weiteres Nachholspiel gegen Braunschweig endete 0:0. Die naive Frage des Jungen brachte ihm im Anschluss ein Lächeln ein: „Sind sie jetzt über den Berg?“ Nein, das waren sie noch nicht. Denn: die ganze Liga war in dieser Spielzeit so eng, dass man bis zum Ende Punkte brauchte. Kurioserweise sicherte die Herthe die Klasse mit einem 0:2 auf Schalke (alles aus dem Gedächtnis erzählt). Denn: Nürnberg und/oder Offenbach, die späteren Absteiger, verloren oder spielten Remis. Die letzte Partie gegen den HSV (3:2) konnte man entspannt genießen.
Auch in der nächsten Saison war somit die Hertha „adoptiert“. Ins Stadion, wann es ging, ansonsten selbst spielen, aber zusätzliche alles lesen und mitverfolgen, mitfiebern, wobei das Studieren der Tabelle tat man jedoch nicht allein aus Sicht von der Hertha weiter geführt wurde. Dennoch war es eine echte, aber somit „ganz normale“ Fanbeziehung.
Einmal, gegen Oberhausen, mit gebrochenem Bein zu Hause, am Radio und als die ganz späten Treffer zum Sieg fielen – Vater natürlich im Stadion – gelangen auch einbeinig ein paar Luftsprünge.
. Da konnte man sich mit allem Möglichen beschäftigen. Die Hertha erreichte in jener Saison einen überragenden 3. Platz (nachdem sie in allen Spielzeiten zuvor, wo sie dabei sein durfte, einen 14. Platz erzielte und der „Abstieg“ erfolgte wegen Lizenzverstößen und nicht auf sportlichem Wege.
Die Deutsche Nationalmannschaft hatte sich mit dem irren 3:2 gegen Schottland in Hamburg im Oktober 1969 für die WM qualifiziert. Natürlich war man zur WM wieder auf Seiten dieser Mannschaft. Sie hatte einem 1966 viel Freude bereitet, die Anteilnahme war da, es gab nichts, was man an ihr hätte aussetzen können. Ein Schnellinger, der in Italien sein Geld verdiente? Der verdiente wohl eher Respekt als Skepsis. Hertha war 3., die WM konnte kommen.
Problem hier: die Spiel fanden nachts statt, da Mexico die Zeitverschiebung hatte. Man musste „vorschlagen“ und wurde dann nachts geweckte, mittlerweile 11 Jahre alt. Die Vorrundenspiele gingen glatt, das 5:2 gegen Bulgarien mit einem begeisternden „Stan“ Libuda sowie das Abschlussspiel gegen Peru – 3:1, Hattrick von Gerd Müller – waren einfach nur klasse. Das Viertelfinale gegen England – sozusagen die „Revanche“ für 1966 – das erste mitreißende Spiel, als die Engländer schon 2:0 vorne waren, die besten Spieler auswechselten (der Hitze und Erschöpfung geschuldet oder, weil man sich des Sieges sicher wähnte?), das 1:2 von Franz Beckenbauer nach unwiederstehlichem Sololauf, das Hinterkopftor von Uwe Seeler in der 81., das 3:2 in ver Verlängerund durch Gerd Müller – alles daran geeignet, sich diese als Helden zu erküren.
Das noch legendärere 3:4 gegen Italien sicher hinlänglich bekannt und man könnte schon sagen, dass man als Kind ziemlich traurig war für den Moment und einfach mitfühlte. Tolles Spiel, keiner hatte wirklich den Sieg verdient, dennoch gibt es einen Sieger. Na gut, muss wohl so sein.
Diese Schilderungen nun wieder derart, dass sie im Grunde von Jedem stammen könnten. „Ja, interessante Geschichte. Aber jetzt bin ich dran und hör du mir mal zu.“ Dies würde keineswegs eine „Alleinstellung“ oder „Sonderstellung“ erkennen lassen. Ein Fan wie jeder andere.
Nun gut, es gab ja ein paar Ereignisse, welche denn doch ihren Einfluss hatten. Die nächste Saision stand an. Hertha hatte einen 3. Platz zu verteidigen. Oder sogar noch höher zu klettern? Nein, an die Bayern kam man nicht heran. Gladbach ebenfalls zu stark. Immerhin gab es aber das 9:1 gegen Dortmund, live im Stadion. Danach ein 3:1 gegen Stuttgart. Ging irgendwie wie Brezeln backen. Nach 16 Spielen die Bilanz zu Hause: 14 Siege, 2 Unentschieden, 0 Niederlagen.
Irgendwie ahnte man aber bereits etwas. Nicht nur, dass Bielefeld in Schalke 1:0 gewonnen hatte, irgendwas war spürbar, was da nicht ganz stimmte, hier nicht und dort nicht. Der zwölfjährige Junge hatte selbst ein Fußball Turnier an jenem Nachmittag. Es wurde sogar mit einer Abwehrschlacht und einem 0:0 der Turniersieg erstritten. Direkt danach jedoch ans Radio: das konnte nicht sein. Bisher keine Niederlage und nun gegen eigentlich-Absteiger Bielefeld ein 0:1? Das war nicht möglich und Depressionen stellten sich ein. Da musste einfach die die ganze Zeit befürchtete Schiebung erfolgt sein. Auch der Vater bestätigte beim Wiedersehen am frühen Abend: „Nein,das war Betrug. Da war was faul.“
Es konnte sich so oder so nicht verbergen lassen. Am nächste Tag spielte Horst-Gregorio Canellas das berühmte Band ab.Bernd Patzke am Telefon erklärte, als Offenback eine Siegprämie ausloben wollte, dass „Bielefeld mehr zahlt für eine Niederlage.“ Damit war es gesichert: der große Bundesliga Skandal flog auf, und alles was folgte war nur noch Wühlen in einem enldosen Sumpf von Verstrickungen. Wer da so alles und wie viel… Aber wen interessierte das eigentlich noch? Die wöchentliche Vorfreude auf die Fußball-Woche war entscheidend eingedämmt. Wozu noch eine einzige Tabelle anschauen, wenn eh alles zum Himmel stinkt?
Auch für eine Zuneigung zur Hertha gab es keinerlei Anlass mehr. Es war alles faul und hatte tiefe Spuren hinterlassen, einen tiefen Einschnitt bewirkt.
Zurück zur Nationalmannschaft: die begeisternde Mannschaft, welche in England das legendäre 3:1 erstritten hatte, konnte man im Rückspiel live im Berliner Olympiastadion sehen. Ein mehr als müdes 0:0 sprang heraus. Auch dies trug nicht erheblichen Anteil daran, diese Beziehung aufrecht zu erhalten. Warum eigentlich immer Deutschland?
Zur WM 1974 gab es ein weiteres Schlüsselerlebnis. Die WM selbst machte schon irgendwie Spaß. Wobei hier bereits erhebliche Skepsis einkehrte, als die BRD gegen die DDR das letzte Vorrundenspiel durch das Gegentor in der 79. Minute (ja doch, Sparwasser…) mit 0:1 verlor — und zur Strafe Jugoslawien , Schweden und Polen in der Zwischenrunde bekam, während die DDR die „Freilose“ Brasilien, Argentinien und Holland vorgesetzt bekam. Nein, so stand das innere Urteil fest, dieses 0:1 war nichts als pure Absicht und Turniertaktik. Als „Bundesligaskandalgeschädigter“ konnte man derartige Gedanken nicht mehr verscheuchen. Das war Absicht und bis heute wird diese Ansicht vehement vertreten.
Das Halbfinale natürlich genau so legendär und ließ ebenfalls gewisse Zweifel an „Regularität“ aufkommen. Die Wasserschlacht von Frankfurt, ein Elfmetertor von Gerd Müller, von „verdient“ konnte eh keine Rede sein, als man Polen auf den zweiten Platz verwies und selbst ins Finale vorstieß.
Nun gut, dann halt Finale. Gegen Holland. Könnte ja Spaß machen? Kurios hieran nun und das Schlüsselerlebnis: als Deutschland den 2:1 Sieg eingefahren hatte und der Pokal überreicht wurde, lief man zunächst sinnierend durch die Straßen. Am nächsten Vormittag wurde die Wiederholung angeschaut. Um noch einmal sicher zu gehen? Die Erkennntnis war nämlich diese, wie auch immer „fortschrittlich“ oder „ungewöhnlich“ für einen 15-jährigen Jungen: es hat die falsche Mannschaft gewonnen. Wie, so fragte man sich, sollte man sich da freuen können? Wie machen das die ganzen Menschen? Sie müssen doch auch gemerkt hat, dass die bessere Mannschaft verloren hat?
Dies war das letztendlich entscheidende Empfinden: es waren Depressionen, fast vergleichbar mit jenen drei Jahre zuvor, als der Skandal auffolg. Erklärbar der jetzige vielleicht einerseits dadurch, dass man doch ursprünglich mal dieser Mannschaft noch immer aus alter Verbundenheit die Daumen gedrückt hätte? Andererseits aber auch aufgrrund der allgemeinen Zweifel: wie sollte man sich überhaupt je einen Sieger wünschen? Mag sein, dass man mal jemandem temporär die Daumen drückt. Falls man aber unterwegs feststellen sollte, dass er andere es verdient hätte, wie sollten sich dann die Wünsche entwickeln? Nein, einfach so dem Schwächeren „Glück“ wünschen, damit er sich doch auf diesem Weg durchsetzen möge? Wenn gar nichts hilft und sie verlieren müssten, dann hilft vielleicht ein geschundener Elfmeter oder ein dem Gegner verwehrter? Nein, das könnte man sich niemals wünschen.
Dies war erste die endgültige Geburtsstunde der vielleicht schon zuvor sich andeutenden Eigenschaft. Kurios jedoch, dass es genau dies ist, was oftmals Redner vor sportlichen Großereignissen ausrufen als einzigen Wunsch: „Möge der Bessere gewinnen!“