Gerade frisch mit dem Abitur ausgestattet und dann noch in einer sehr frischen, aber inzwischen festen Liebesbeziehung mit Angie, welche unter sehr besonderen, aber doch teilweise unerfreulichen Umständen, da sie eine andere Freundschaft zerschlugen – mit mir als Schuldigem –, zustande kam, war die WM 1978 eher nur eine höchst erfreulich und ebenso willkommene „Nebensache“.
Insofern möchte ich mich auch in der Erinnerung auf die wesentlichen Ereignisse konzentrieren. Und dabei sind es mal wieder ein paar Nebenaspekte, die sich mir besonders eingeprägt haben. In dieser Hinsicht rechne ich also weiterhin mit der geneigten Leseraufmerksamkeit.
Die Deutschen hatten mal wieder eine leichte Vorrunde. Und sie besiegten nur die Mexikaner, diese aber dafür mit 6:0. Die anderen beiden Spiele gegen Polen und Tunesien endeten 0:0. Damit war der Finalrundeneinzug, wie üblich, perfekt.
Und diese Finalrunde hatte aus mehreren Gründen Erinnerungswert: Erstens hatte man mit Italien, Holland und Österreich als Gegnern wieder einmal die Giganten Brasilien und Argentinien vermieden, die sich in der Parallelgruppe auf ungewöhnliche Weise „bekämpften“ – nachfolgend erläutert – und zweitens waren die Ergebnisse mit einem 0:0 gegen Italien und einem 2:2 gegen Holland in nicht einmal schlechten Spielen durchaus achtbar. Und nach wessen Theorie gewinnt eigentlich auch bei ausgeglichenen Spielen immer Deutschland? War die etwa von mir? Das ganz Besondere war aber der höchst zweifelhafte Austragungsmodus, welcher auf zwei Arten ad absurdum geführt wurde.
Dazu erzähle ich zunächst die Geschehnisse in der Parallelgruppe, die ich nicht mehr mit exakten Resultaten rekonstruieren kann, was aber am finalen Ergebnis und den daraus gewonnenen Erkenntnissen nicht viel ändert. Die „Heavy-Weights“ Brasilien und Argentinien trennten sich in ihrem Spiel Unentschieden. So musste die Entscheidung gegen die anderen beiden Gruppengegner fallen. Beide gewannen ihre ersten Spiele gegen die Außenseiter. Dabei musste man wohl auf Torjagd gehen, da es kein anderes Kriterium als die Tordifferenz gab (bei Gleichheit nur noch die Anzahl). Nur konkurrierten zum Verständnis des Austragungsmodus Kommerzialisierung mit Gerechtigkeitssinn. Und, wie man wohl vermuten musste, siegte der Kommerz. Die beiden letzten Spiele wurden nicht parallel ausgetragen!
Brasilien – und, wie konnte es anders sein im Lande des Ausrichters – musste zuerst ran und Argentinien hatte das Recht, die Bemühungen der Brasilianer im bequemen Sessel zu verfolgen, anschließend den Rechenschieber herauszuholen (das zeigt mal wieder auf wenig komödiantische Art, was ich von den allgemeinen Kopfrechenfähigkeiten weltweit halte; selbstverständlich genügte für die Rechenaufgabe nach Rahmenlehrplänen ein Zweitklässler, da nur Operationen wie „+“, „-„ und „>“ oder „<“ erforderlich waren), und sich dann darüber Gedanken zu machen, ob die endgültig demotivierten Peruaner — diese unter anderem wegen ihrer Turnierchancen — noch einer Finanzspritze (wenn ja, wie hoch?) bedurften, oder ob sie auch ohne diese „die Waffen niederlegten“ und sich als willenlose Opfer des erforderlichen Vier-Tore-Sieges auf die Schlachtbank begeben würden. Das letzte Gruppenspiel endete entsprechend mit einem 6:0 Sieg. Argentinien war im Finale.
Mag sein, dass die Brasilianische Lobby nicht groß genug war oder der Aufschrei der Ungerechtigkeit von 200.000.000 Brasilianern plus zumindest einem kleinen Pauli nicht laut genug waren, um die Welt wachzurütteln und diesen unsäglichen Modus zu ändern, denn derselbe wurde auch für das Turnier 1982 verwendet, was die im entsprechenden Kapitel nachzulesenden Konsequenzen hatte…
Für die deutsche Mannschaft hatte der Austragungsmodus andere, aber ebenfalls unerfreuliche, Konsequenzen: Sie mussten zuerst gegen Österreich ran im letzten Gruppenspiel. Und so gerne ich als Kind (und als Erwachsener) auch rechnete, diese „ganz einfach Milchmädchenrechnung“ (Olli Dittrich alias Boris Becker) machte auch mir keinen Spaß: Die Deutschen mussten das Spiel gegen Österreich gewinnen, um anschließend auf ein Unentschieden zwischen Italien und den Niederlanden zu hoffen, da beide gegen Österreich gewonnen hatten, um trotz der achtbaren beiden Unentschieden gegen die beiden „Großen“ noch auf einen Finaleinzug hoffen zu können. Dadurch aber, dass die Holländer 5:1 gegen Österreich gewonnen hatten musste Deutschland auch noch dieses Ergebnis überbieten. Die Chance, ins Finale einzuziehen lag bei weit unter einem Prozent. Und selbst wenn es eine solch gigantische Chance war, so lohnte es sich womöglich, sich für diese das Hemd zu zerreißen. Jedoch inklusive der erforderlichen „Schützenhilfe“ durch ein Remis im letzten Spiel machte es wirklich keine Freude. Den Deutschen winkte ein Spiel um Platz 3, bei einem Sieg. Und mag zwar sein, dass der Begriff „das kleine Finale“ eine Suggestion von Spannung erlaubt, jedoch war es in Wahrheit nicht das, was man besonders begehrenswert empfand. Die legendäre „Schmach von Cordoba“, in der der ebenso legendäre Edi Finger mit dem „Krankl … Krankl … i werd narrisch“ nach dem Siegtor zum 3:2 im deutschsprachigen Raum Kultstatus erreichte, war, wie schon die „Niederlage“ gegen die DDR vier Jahre zuvor, überwiegend mangelnden Motivation des bundesdeutschen Ensembles zuzuschreiben. Ich nahm den Verlust jedenfalls reg- und emotionslos zur Kenntnis. Was war schon ein (verpasstes) Spiel um Platz 3?
Aber auch allgemein wandte ich mich allmählich von jeglichem Fanatismus für einzelne Mannschaften – auf Vereins- und nationaler Ebene – mehr und mehr ab. Ich wollte ehrlichen und schönen Sport, vor allem Fußball sehen. Und Gerechtigkeit…
Und so war auch das Finale von unangenehmen Empfindungen meinerseits begleitet. Holland hatte die stärkste Mannschaft. Und schon vier Jahre zuvor war ihnen der Titel teils durch Pech, teils aber auch durch Schiedsrichterhilfe für den Gastgeber „entzogen“ worden, nicht vergönnt gewesen. So musste ich auch 1978 fürchten, dass die Holländer einfach nicht gewinnen durften. So dramatisch und hochklassig das Finale auch war, mit zahlreichen Torchancen für beide Mannschaften, am Ende bewahrheitete sich die Befürchtung. Und gefühlsmäßig hatte auch hier der Schiri in der einen oder anderen kritischen Szene seine Finger im Spiel, selbst wenn ungewollt und nur durch die Massenbegeisterung auf den Rängen beeinflusst.