Diese Regel selbst lohnt unbedingt eine nähere Untersuchung, und, man nenne es ruhig so, leicht provokant, „ihr auf den Zahn gefühlt“ werden. Interessant wird es übrigens, sofern man eine beliebigen Menschen (welcher sich generell für Fußball interessiert) nach ihr fragt. Was hat man sich bei ihrer Einführung gedacht? Jeder mag sich selbst an dieser Stelle zunächst fragen, wie die eigene Antwort ausfiele? Welchen Sinn verfolgte die Einführung, was versprach man sich davon, was hat es gebracht? Genau diesen Fragestellungen soll nun hier nachgegangen werden.
- Wie kam man auf die Idee?
- Welchen Sinn hatte die Einführung letztendlich?
- Inwieweit wurden die Ziele überprüft?
- Inwieweit wurde der Zweck erfüllt?
- Gerecht oder ungerecht? Tatsächliche Folgen?
- Ein wenig Mathematik zu dem Thema
- Alternativen
Ein entscheidender zusätzlicher Aspekt, diese Regel begleitend, muss hier dringend genannt werden, welcher unabdingbar hinzugehört, egal, zu welcher Antwort man selbst neigt. Triebfeder gewesen sein muss, dass eine Art von Missstand beobachtet wurde, welchem man entgegentreten wollte. Dies ist eigentlich eine Tautologie, eine sich selbst beweisende Aussage. Dennoch als kurze Begründung: jede Regeländerung soll fraglos eine Verbesserung darstellen, insofern muss sie auf einen erkannten Missstand zurückgehen. Oder sollte man annehmen: nein, es gibt doch zu viele Risikopatienten unter den Zuschauern und auf jene müssen wir, per Spannungsentzug, Rücksicht nehmen?
Dieser Teil der Begründung für ihre Einführung wäre nämlich zugleich der Beweis dafür – allen Zweiflern an der Sinnhaftigkeit von angedachten Regelmodifikationen und Umdenken pro Spannung, Action, Toren –, dass jene die Regel Einführenden auch an einer Anhebung des Unterhaltungswertes eines Fußballspiels interessiert gewesen sein müssen. Generell ist dieser Gedanke Hauptanlass für das Verfassen des gesamten Textes.
Der „Beweis“, dass die Einführung auf die Beobachtung eines Mangels an Unterhaltungswert zurückgehen muss ist also trivial und muss zunächst so hingenommen werden. Es ist jedoch eine Art von „künstlichem Eingriff“. Denn grundsätzlich ist die Vergabe von drei Punkten für einen Sieg ungerecht gegenüber der Vergabe eines einzigen bei Remis. Die schiefen Tabellenbilder, davon induziert, mögen ein weiterer Anhaltspunkt sein, dass vielleicht noch mehr daran „schief“ ist? Ein weiterer vielleicht jener, einem häufigen Reporterspruch eindeutig zu entnehmenden, selbst wenn im Moment gar vom Sprecher unreflektiert, dennoch auf den Punkt (den EINEN nämlich) gebracht, nach Spielende ins Mikrofon diktiert: „Ein Remis, das keinem so recht weiter hilft.“ Erkannt wurde also, dass irgendwie BEIDE Mannschaften eines halben Punkte beraubt wurden, also eine kleine Ungerechtigkeit verübt wurde, an diesen beiden gerade jetzt Betroffenen.
Ansonsten gäbe es noch die schlichte Begründung: warum wurde es denn jahrzehntelang mit zwei Punkten pro Sieg und einem je bei Remis abgerechnet? Genau. Weil das eben die ursprüngliche und einfache, sowie gerechte Lösung darstellt. Eine Veränderung dieser schlichten Gerechtigkeit müsste doch schon mehr als handfeste Ursachen haben?! Man könnte ja alternativ auch über die Einführung eines Würfels nachdenken, der hier und da mal ein Tor (bei Pasch 6, der Vorschlag!) ergibt? Könnte doch spannend sein?
Zurück zur reineren Form der Sachlichkeit.
Zu 1. Wie kam man auf die Idee?
An anderer Stelle wird darauf eingegangen, dass es wohl mit der Vergabe der WM 1994 an die USA im Zusammenhang stand. Die USA wollten ein attraktives Turnier in ihrem Land haben, wobei sie durchaus den Zusammenhang erkannten: mehr Tore – mehr Spaß – mehr Spannung – mehr Unterhaltung – mehr Zuschauer. Ein möglicher Versuch: ein Sieg bringt drei Punkte, in der Gruppenphase. Da müssten doch ein paar mehr Tore drin sein? Jeder möchte gerne einen Siegtreffer, selbst bei Gleichstand, und wird auf Gedeih und Verderb angreifen? Da muss sich doch das eine oder andere Tor mehr herauskitzeln lassen, und somit zumindest das eine oder andere Drama mehr? Zumindest ein paar tolle Spiele und spannende Szenen.
Ebenfalls bereits anerkannt: für eine Vierergruppe bei nur einem gespielten Durchgang ist diese Methode gar nicht mal so abwegig. Italien kam 1990 mit drei Unentschieden in der Vorrunde weiter – die Defensivkünstler auf dem Vormarsch. Dem schiebt man einen Riegel vor. Einfache Rechnung: Italien spielt (erneut) drei Mal Remis. Alle anderen Spiele finden einen Sieger. Zwangsläufige Konsequenz: Italien wäre raus. Entweder sind sie Vierter oder Dritter (Dritter, sofern eine der drei anderen Mannschaften die beiden anderen Spiele verliert, Vierter, sofern die Mannschaften sich reihum besiegen sollten; dann hätte jede andere Mannschaft vier Punkte, Italien nur drei). Übersetzt heißt das: Italien muss mindestens einen Sieg einfahren. Somit natürlich auch jede andere Mannschaft. Konsequenz: jeder spielt von Anfang an auf mindestens diesen einen Sieg. Lieber jetzt schon als später zittern (natürlich gilt dies vornehmlich für die Favoriten).
Die Grundidee war geboren. Nun hatten mit Sicherheit einige kritische und aufmerksame Beobachter festgestellt, dass das Erstreben eines Unentschiedens im Ligaalltag durchaus gängige Praxis war (mehr und mehr dazu wurde). Nur logisch also, dass man zumindest einmal den Vorstoß wagte: was, wenn man für einen Sieg auch im Ligabetrieb (den nationalen Meisterschaften, aber auch in den Ligen darunter; kann ja nicht schaden) satte drei Punkte einträgt? Natürlich: einen Versuch schien es wert.
Zu 2. Welchen Sinn hatte die Einführung letztendlich, was versprach man sich davon?
Nun ist diese Frage vielleicht schon im Wesentlichen beantwortet: auffällig wurde, dass das Verhalten mindestens einer der beiden Mannschaften zu häufig lediglich auf das Erzielen eines einzelnen Punktes ausgerichtet war. Das heißt also: defensiv angelegt. Nur ja kein Gegentor zulassen. Vorne? Mal schauen, ob die anderen zu wild werden.
Nicht einmal völlig unvernünftig, dieser Gedanke. Es wird mit der Verlockung der drei Punkte geworben, von Anfang an. Demnach müssten wir doch nun ein Offensivspektakel erleben, noch mehr, wenn es so etwa 10-15 Minuten vor Schluss noch Unentschieden steht, gerade in der Periode, in welcher das langweilige Hin- und Herschieben des Balles (früher?!) zu beobachten war. Mehr oder weniger gab es fast schon eine Art Vereinbarung der Bauart: „Wenn du mir nichts tust, tu ich dir auch nichts“. Sicherlich eingeschränkt auf zwei Mannschaften auf Augenhöhe. Aber davon gibt es ja denn doch eine ganze Menge? Mittelfeld gegen Abstiegszone oder umgekehrt, beide mit Chancen nach oben, Tabellennachbarn oder auch die bessere Mannschaft auswärts, dann mit einem Remis doch zufrieden?!
Die tatsächlichen Auswirkungen sind jedoch anderer Natur. Zunächst sollen dazu ein paar Statistiken angeführt werden.
Zweipunkteregel
1993: Remis: 29.29% Tore ø: 2.936
1994: Remis: 27.21% Tore ø: 2.918
1995: Remis: 28.10% Tore: ø 3.016
Dreipunkteregel
1996: Remis: 35.29% Tore ø: 2.715
1997: Remis: 22.87% Tore ø: 2.977
1998: Remis: 27.78% Tore ø: 2.879
Schnitt mit Zweipunkteregel: Remis: 28.20%
Tore ø: 2.957
Schnitt mit Dreipunkteregel: Remis: 28.64%
Tore ø: 2.857
Es zeigt sich ziemlich klar und deutlich: Die Regel hat die von ihr erhoffte Wirkung nicht erzielt. Die Unentschieden sind angestiegen, der Toreschnitt ist gesunken, gerne kann man es als Stagnation bezeichnen, die weiterhin Bestand hat. Hier noch drei aktuellere Beispiele (Stand: Juni 2017):
2015: Remis: 26.79% Tore ø: 2.754
2016: Remis: 23.20% Tore ø: 2.830
2017: Remis: 24.18% Tore ø: 2.866
Tatsächlich wäre die Remishäufigkeit leicht gesunken, der Toreschnitt aber andererseits nicht angestiegen. Sicher, die Bundesliga boomt und es ist einfach kein Thema, die Langeweile. “Remisgeschiebe” gibt es nicht – wie auch immer es dazu kam. Dennoch bleibt das Gesamturteil: die Einführung der Dreipunkteregel hat sich auf das Spielverhalten (an Statistken abzulesen) nicht erkennbar ausgewirkt.
Hilfreich scheint es zu sein, zumindest eine weitere Liga gegenüber zu stellen. Anbieten tut sich da die zweite deutsche Fußball Bundesliga. Hier zunächst die Zahlen vor der Einführung der Dreipunkteregel zur Saison 1995/1996:
Zweipunkteregel
1993: Remis: 30.04% Tore ø: 2.618
1994: Remis: 30.26% Tore ø: 2.500
1995: Remis: 33.33% Tore: ø 2.816
Dreipunkteregel
1996: Remis: 26.14% Tore ø: 2.584
1997: Remis: 30.39% Tore ø: 2.686
1998: Remis: 32.45% Tore ø: 2.534
Schnitt mit Zweipunkteregel: Remis: 31.00%
Tore ø: 2.632
Schnitt mit Dreipunkteregel: Remis: 29.66%
Tore ø: 2.601
In der zweiten Liga hätten die Unentschieden also tatsächlich leicht nachgelassen (in der Summe sind es 12 Spiele von 918, die an Unentschieden eingespart wurden; dies wäre vernachlässigbar oder auch schlicht anderen statistischen Schwankungen unterworfen; sprich: der Statistiker würde diese Abweichung als zufällig einstufen müssen und nicht etwa auf eine Regeländerung zurückführen können).
Der Toreschnitt ist ohnehin nicht angestiegen in der Zeit, so dass zumindest dieser (unterstellt erhoffte) Teileffekt nicht eingetreten ist.
Auch hier alternativ etwas jüngere Beispiele:
2015: Remis: 31.69% Tore ø: 2.493
2016: Remis: 28.10% Tore ø: 2.640
2017: Remis: 28.75% Tore ø: 2.486
Auch diese Beispiele belegen: es hat sich nichts bewegt.
Nun könnte man nach Ursachen fragen: warum erzielt die Verlockung der möglichen drei Punkte, welche bei unentschiedenem Spielstand den momentan in der Hand befindlichen einen Punkt so erheblich aufwerten würden keine erkennbare Wirkung auf dem Platz?
Weiterhin dienen zunächst nur die Statistiken als Beleg. Jedoch möge jeder selbst sich fragen: hat sich was getan? Sieht man einen induzierten Offensivgeist seitdem, hat die Anzahl der erlebten Dramen oder Spektakel zugenommen? Hört man Trainerstimmen, die von “bewusst erhöhtem Risiko” sprechen, weil sie unbedingt den Dreier wollten? Es kommt schon ab und an vor, dass mal die eine, mal die andere, mal sogar beide Mannschaften mehr nach vorne spielen und dass sogar ein Kommentator erkennt: “Beide wollen den Dreier.” Nur hätte es garantiert auch derartige Spiele schon früher zu sehen gegeben (ob aus eins mach zwei oder aus eins mach drei: mehr ist mehr und auch der kleinere Zugewinn ein solcher). Zudem sind es häufig Spiele der Bauart “hoher Favorit gegen Außenseiter”, und der höhere Favorit will dann natürlich ohnehin den Sieg (aber wollte diesen früher auch) und gelegentlich kommt es vor, dass Spieler auf dem Platz erspüren – kann auch vom Trainer kommen – dass der Gegner jetzt weich oder geschwächt ist und es sich nun lohnt, den Vorwärtsgang verstärkt einzulegen (gar ein Offensivspieler eingewechselt, obwohl noch immer der Spatz in der Hand, der einem sprichwörtlich ja hier und da lieber sein soll als…).
Zunächst muss man dazu ein wenig Mathematik vorausschicken: das Risiko wäre lohnend – unabhängig von anderen, tabellarischen oder Saisonzielen untergeordneten Kalkulationen –, sofern die Chance, ein Tor zu erzielen gegenüber jener, eines zu kassieren, günstiger als 1/3 ist.
Zu 1/3 gewinnt man zwei Punkte, zu 2/3 verliert man einen, so die banale Kalkulation. Das wäre ein Gleichverhältnis, also entsprechend wäre es gleichgültig, wofür man sich entschiede. In einem Drittel der Fälle, in denen noch mindestens ein Tor fällt, das Spiel dadurch zu den eigenen Gunsten entschieden wird (und nicht etwa eines hier, eines dort fällt), hätte man aus einem Punkt drei gemacht, in den anderen zwei Dritteln hätte man ein Tor kassiert und dabei nur den einen Punkt eingebüßt. Das hört sich doch entsprechend nach einer lohnenden Form des Risikos an?
Nun muss man dazu den gesamten Fußball vermutlich etwas näher kennen, um darauf Antworten zu finden, auf der Suche befindlich, warum das Risiko denn nun nicht erhöht wird? Diese Suche fördert zwei denkbare Antworten zutage.
Die erste Möglichkeit, rein in Bezug auf die Chancenverteilung bezogen: jeder Trainer weiß – und überträgt dies auf die Spieler – dass der Begriff „erhöhtes Risiko“ keine reine Phantasie ist. Das Risiko, auf Angriff zu spielen, den eigenen Torerfolg forcieren zu wollen, geht nicht ohne das Risiko einzuräumen, einen Treffer zu kassieren. Diese Gefahr nimmt aber, je nach eingegangener Offensivausrichtung, im Verhältnis mehr zu als die Chance, das Tor zu erzielen (deshalb: „erhöhtes Risiko“, ansonsten müsste es nur lauten „Risiko“; Chance hier erhöht UND dort erhöht; ein wenig gezockt, aber kein Missverhältnis).
Diese Überlegung bekommt Futter, indem man alternative Spielstände betrachtet: angenommen, es steht nicht Unentschieden, sondern eine Mannschaft liegt mit einem Treffer in Führung. Ein mehr als häufiger Fall. Nun muss die eine Mannschaft irgendwann das Risiko erhöhen (anders als bei dem ausgeglichenen Spielstand). In all diesen Fällen kann man das anwachsende Risiko, per Konter das entscheidende Gegentor zu kassieren, beobachten. Man möchte es nicht eingehen, aber man ist gezwungen, hier ist die fortschreitende Spieldauer hauptverantwortlich für das weitere Erhöhen des Risikos, vom Spielstand und der kürzer werdenden Restspielzeit vorgegeben. Wenn die 90. Minute näher rückt, dann gibt es die häufiger und/oder größer werdenden Konterchancen. In der Nachspielzeit sieht man oft ein Überzahlspiel in der gegnerischen Hälfte. Alle Abwehrspieler aufgerückt, keiner mehr da, eine Riesentorchance ergibt sich, häufig das entscheidende Tor die Folge.
Nun gibt es keinerlei Chance, dies mathematisch exakt zu berechnen. Selbst wenn nicht (exakt) möglich könnte man dennoch einen gewissen Verdacht äußern: die Gefahr ist größer, ein Tor zu kassieren als die gegenüberstehende Chance, eines zu erzielen, wenn man es unter allen Umständen darauf anlegt. Um es richtig plastisch zu machen: sollte man also – wie es in den Schlussminuten fast regelmäßig zu sehen ist – den Torhüter rausnehmen, bei einer eigenen offensiven Standardsituation, dann wird zwar diese Maßnahme selbst eine eigene Chancenerhöhung mit sich bringen, den Treffer erzwingen zu können, jedoch ist mehr als offensichtlich, dass, wenn der Ball verloren geht – und merke: der Torhüter wird nicht etwa durch einen Abwehrspieler ersetzt in der Position, nein, er ist der letzte Verteidiger – die Torsituation auf der anderen Seite deutlich gefährlicher wird. Dennoch bliebe es bei dem Verdacht, höchst allgemein gehalten: das Risiko müsste sich eigentlich lohnen. Die geforderte Wahrscheinlichkeitsverteilung von 1/3, ein Tor zu erzielen und zwei Punkte hinzuzugewinnen gegenüber der 2/3 Chance, eines zu kassieren, dürfte erfüllt sein. Falls zu einer Schätzung gezwungen: diese könnte beispielsweise bei 40/60 liegen. 40%, dass man ein Tor erzielt, 60%, dass man das Gegentor kassiert. Weder Spatz in der Hand NOCH Taube auf dem Dach in dem Fall. Schlussfolgerung bliebe aber: das Risiko lohnt sich. Man müsste eigentlich auf den Siegtreffer gehen.
An dieser Stelle wäre man also gezwungen, am Sachverstand der Trainer zu zweifeln, welche ihren Spielern trotzdem das vorsichtigere Verhalten diktieren zu scheinen, welches in der Praxis weiterhin das gängige ist?! Mitnichten. Zur Aufklärung müsste man jedoch erneut einen kleinen Ausflug in die Psychologie wagen, mit dann vermutlich angenommener zweifelhafter Verlässlichkeit, vor allem, da in der Regel so abgestritten. Sobald man einen Menschen nämlich konfrontiert mit einer Interpretation seiner Handlung auf das psychologische Gebiet verlagernd, so ist der Reflex ebenso fast sicher gestellt, dass er abstreitet, und zwar völlig unabhängig vom Wahrheitsgehalt, über welchen er ja, da „Reflex“, gar nicht erst nachgedacht haben kann. Dies wäre natürlich auch schon wieder erklärlich mit dem simplen Satz: „Du durchschaust mich nicht und selbst wenn du es tätest fehlt dir jegliche Nachweismöglichkeit. Ich bestreite – Widerspruch deinerseits nun zwecklos.“
Wobei hier durchaus erneut ein gewisses entlastendes Material angeboten wird, welches dann in seiner Erklärungsart zugleich diese vermutete Dummheit als das Gegenteil davon entlarvt.
Die angebotene Erklärung lautet mehrteilig und damit vielleicht vielschichtig so: es steht Unentschieden und die Mannschaften belauern sich in gewisser Weise. Beide hätten zwar mathematisch korrekt nachgerechnet, dass es sinnvoll und lohnend wäre, auf Angriff zu gehen, vielleicht sogar in Trainingsspielen oder Einheiten empirisch festgestellt, dass man es tun müsste. Dies würde jedoch zugleich den Gegner dazu zwingen, sich ebenso zu verhalten. Theoretisch müssten beide auf Sieg gehen – was sie dann aber tun, indem sie den Gegner den ersten Schritt machen lassen wollen. Absolut logisch: „ihr könnt ruhig kommen“. Passiert aber nicht. Erneuert die Aufforderung: „Ihr MÜSST doch nun endlich kommen. Habt ihr das etwa nicht ausgerechnet, ermittelt, was auch immer?“ Noch immer nichts. „Wenn ihr jetzt nicht endlich angreift, dann seid ihr aber dumm.“ Noch immer nichts. Denn: die Gegenseite hat exakt die gleichen Aussagen parat. Eine Art von Paradoxon, aber keiner verhält sich falsch. Die Chancenverteilung bleibt logischerweise erhalten. Wer sich anders verhielte und den Angriff einginge wäre dumm. Denn: auf diese kleine Chancenverschiebung zu den eigenen Gunsten hat der Gegenüber doch nur gewartet!
Es geht eben nicht auf – und genau dies „beweisen“ die Statistiken. Es hat nichts gebracht, kein anderer Schluss zulässig.
Da von Vielschichtigkeit die Rede war durchaus ein zweiter Punkt zu nennen: der Mensch ist vielleicht ein hochkomplexes Wesen und vermutet sich anderen Lebewesen überlegen, da er in der Lage ist, „vernünftig“ zu handeln. Nur hat er sich erst einmal diesen Begriff selbst ausgedacht, um seine Überlegenheit damit zu demonstrieren. In aller Regel bestünde jedoch der Verdacht, dass eine vom Verstand getroffene Entscheidung einer intuitiven gar nicht wirklich überlegen ist. Im Gegenteil, könnte man beinahe sagen, und den weiter gehenden Verdacht äußern: der Verstand steht einem teilweise im Wege. Sprich nämlich: man müsste eigentlich rasch eine gute Entscheidung treffen, wobei denn schon wieder gleichgültig wäre, wofür man sich entscheidet (als ein mögliches Beispiel). Der Verstand rät einem irgendwie zum Abwägen – und schon wäre das Ergebnis eine Art von „Unentscheidung“, welche der Situation gar nicht angemessen wäre.
Nun soll dies hier keineswegs eine tiefenpsychologische Abhandlung werden. Es sind einfach nur mal ein paar Randüberlegungen angestellt, die womöglich helfen können, dort einen besseren Einblick zu gewinnen. Das hier nun auftauchende Phänomen lautet: die Angst vorm Verlieren. Der Spatz in der Hand ist einem also immer irgendwie lieb(er) gegenüber der Taube auf dem Dach, zumal man davor vermutlich den Spatz zunächst einmal hergeben müsste. Um im Bild zu bleiben: man sagt dem Spatz: „Bleib mal einen Moment hier, ich versuche, die Taube da oben zu holen; wenn es klappt, bist du frei und kannst los, wenn nicht, dann nehme ich doch lieber dich – falls du bleibst.“ Genau dies aber der Knackpunkt: der Spatz bliebe vermutlich nicht.
Es liegt demnach ein sehr schlichter Grund vor, welchem der Trainer teils auch ausgeliefert ist, da auch für ihn gilt „verlieren verboten“, aber teils wäre er gar den Spielern ausgeliefert, da diese schlichtweg die Anweisung nicht befolgen. „Alle Mann nach vorne!!“ ruft der von der Seitenlinie und die Spieler tippen sich innerlich gegen die Stirn: „Hat der nicht mitgezählt? Es steht 1:1. Da rennen wir doch nicht einfach so vor, ein Punkt ist ein Punkt.“
Sie machen es einfach nicht mit. So oder so genügt dies jedoch durchaus als Grund, das Risiko zu meiden, selbst wenn es mathematisch gerechtfertigt wäre, sich darauf einzulassen. „Intuitiv“ entscheidet man sich für Vorsicht, so lange nicht alles verloren ist.
Und genau an dieser Stelle könnte man direkt zum dritten Punkt übergehen, welcher jedoch eher nur eine Art Beweis liefert. Wobei damit genau so Aufklärung geschaffen würde, zugleich aber die Unmöglichkeit, sich „logisch“, „rational“, „vernünftig“ oder vergleichbar zu verhalten.
Dieses „Beweismittel“ liefert im Grunde der Wettmarkt. Falls es jemand besser wüsste oder die Einschätzungen dort in Zweifel zöge, so wäre er herzlich eingeladen, sich dort zu bereichern, und zwar nicht unerheblich, denn diese Art der Beurteilung eines Spieles ist weltweit und einheitlich gegeben (nuanciert nur die kleinen Unterschiede).
Weit ausgeholt und Leser ermüdet? Mag sein, aber es ist halt ein wenig komplexer und eine geduldige Einführung teilerforderlich. Man nimmt sich ein beliebiges Spiel heraus und schaut auf die asiatische Form des Wettangebots am Markt, welches sowohl vor dem Spiel als auch während des Spiels dort zum Wetten angeboten wird.
Nehmen wir ruhig mal ein ausgeglichenes Spiel. Die asiatische line wäre dann eine „draw no bet“. „Bei Unentschieden Geld zurück“ könnte man übersetzen. Man kann die eine Seite auswählen oder die andere. Bei Unentschieden bekommen alle ihr Geld zurück, Gewinner gibt es nur, wenn es auch im Spiel einen Sieger gibt. Zugleich auch nur dann die Verlierer, die auf das falsche Pferd gesetzt haben.
Hier ist nun die Quotenentwicklung das spannende. Die Quoten werden ständig verändert und an das Spielgeschehen und Wettverhalten angepasst. Spielt also eine Mannschaft besser als man es hätte erwarten können, dann sinkt die Quote in der Regel auf diese Mannschaft. Alles nur unerhebliche kleine Details. Erheblich wird dieser gesamte Abschnitt nur dann, wenn ein Tor fällt. Falls nämlich sonst nichts passiert ist auf dem Feld (Beispiel: KEINE Rote Karte), dann wird die Quotenentwicklung dramatisch. Die führende Mannschaft wird ab diesem Zeitpunkt geringer geschätzt. Das Wettangebot geht weiter von dem aktuellen Spielstand aus, die Wetten werden ab dem Abschlusszeitpunkt gewertet. Also: die line bleibt draw no bet, als Beispiel, aber nun wäre das 1:0 (oder auch ein 2:1) das Ergebnis, bei welchem man sein Geld zurück bekäme. Denn: ab dem Zeitpunkt der Wette (beim Stande von 1:0) bliebe das Ergebnis Unentschieden. Es wird gewertet das Ergebnis aus der Spielzeit ab dem Zeitpunkt er Wette.
Details vom Wettmarkt. Wichtig daran: die Mannschaft, die das Tor erzielt hat, wird geringer geschätzt als vor dem Tor, wobei sie vor dem Tor durchaus auch die überlegene Mannschaft gewesen sein könnte (entgegen der Erwartung, die von einem ausgeglichenen Spiel ausging). Der Grund hier der wirklich relevante. Wiederholt, bevor der genannt wird: sofern man hier eine bessere Meinung hätte oder quasi die nun folgenden Aussagen in Zweifel zieht, hätte man einen guten Grund, sich am Wettmarkt zu beteiligen. Die Bilanzen werden gute Auskunft geben, wer mit seiner Einschätzung besser lag.
Die Aussagen lauten so: wer führt wird ein klein wenig gelassener, ruhiger, weniger energisch im Versuch, diesen Vorsprung auszubauen gegenüber dem Verhalten vor diesem Führungstreffer. Man wird genügsam. „Wir haben doch schon gewonnen, nun bräuchten wir nur noch den Schlusspfiff.“ Dieses Verhalten, Empfinden steht dem höchsten Leistungsvermögen etwas im Wege. „Genügsamkeit“ kein guter Ratgeber, und dennoch schleicht sie sich ungewollt ein. Nur einer der Aspekte.
Der andere lautet nämlich so: wer zurück liegt gerät ein klein wenig in den „Panikmodus“, welcher tatsächlich unmenschliche Kräfte freizusetzen im Stande ist, sofern mustergültig simuliert. Die induzierte Paniksituation aufgrund eines Rückstandes ist keine lebensbedrohliche und setzt von daher nicht unmenschliche Kräfte frei, dennoch sind diese der Gegenreaktion der anderen Seite (in Form von Genügsamkeit) weitaus überlegen. Es werden ein paar Prozent mehr aktiviert, welche da in etwa so tönen könnten: „Wenn wir jetzt nicht endlich etwas tun, dann verlieren wir das Spiel. Aufwachen, Männer!“
Genau dies sind also Vorüberlegungen, nur eben im Grunde nachweisbare. Man ist in der Lage, seine Chancen auf einen Treffer zu erhöhen, falls es der Spielstand erfordert. Gegeben ist dies jedoch fast ausschließlich bei Rückstand (alternativ natürlich „verfehlen eines vorgegebenen Ziels“; es steht 1:1 aber man würde damit absteigen, ausscheiden, den Champions League Platz verfehlen, was auch immer). Ein haushoher Favorit vielleicht mal, weil er sich bei Remis lächerlich machen würde, aber ansonsten ließe sich dieses Verhalten keineswegs auf einen unentschiedenen Spielstand übertragen. Der Trainer würde vielleicht wünschen, dass seine Spieler nun in den „Panikmodus“ umschalten, aber die Situation auf der Anzeigetafel gibt es nicht her. Vernunft hin oder her: es ist schlicht nicht möglich, ein derartiges Verhalten zu erzwingen, welches mit der nach dem Zufallsprinzip ersonnenen und eingeführten Dreipunkteregel im Einklang steht. Es wird weiterhin immer nur Fußball gespielt, Ziel ist es zwar, ein Tor mehr zu erzielen als der Gegner, aber Remis eine nicht auszuschließende Alternative, welche ausreichende Anziehungskraft besitzt, sich ihr zu entziehen. Unentschieden? So weit ok. Wieder nicht verloren.
Nur die Kommentatoren haben das Prinzip natürlich noch nicht verinnerlicht, verstanden, aber das Problem dahinter schon erkannt, nämlich die Ungerechtigkeit. Denn häufig genug hört man nach einem Unentschieden: „hilft keinem so recht weiter“. Absolut auf den Punkt richtig. Denn: beiden wurde unrechtmäßig ein halber Punkt entzogen. Das ist ungerecht UND hilft nicht recht weiter, genau deshalb nämlich.
Falls man sich nun dennoch dem erkennbaren Ziel verpflichtet fühlt, für mehr Spannung und Unterhaltung zu sorgen, so scheinen die Stellschrauben woanders zu finden zu sein. Das hier hat nichts gebracht. Erkennbar dennoch eine gute Absicht sowie der Beweis für die Grundlage: mehr Action erwünscht.