Dieses Buchprojekt stellte den Versuch dar, den Fußball mit einem derart „unverwüstlichen“ Ei zu vergleichen — und dabei deutlich zu machen, dass es zwar weder mit Hammer noch Axt noch Beil noch Säge gelänge, ein solches „hinzurichten“, dass man dies jedoch mit dem dem Ei verwandten Fußball immerhin den Versuch unternähme. Dies wäre zwar bis heute erfolglos geblieben — so, wie das so überaus robuste Ei vielleicht auch anderen Attacken gegenüber immun bliebe —, nur stellt sich im gleichen Atemzug fast zwangsläufig die Frage, was die Verantwortlichen in Bezug auf den Fußball überhaupt dazu veranlasste, derart tätliche Angriffe zu unternehmen — anstatt schlich und so überaus simpel Aufzucht und Hege des Eis zu betreiben, um zu sehen, wie eines Tages ein noch viel schöneres Junges dem Ei entschlüpft?!
Kapitel:
1. Ansichten über Fußball
2. Barca-Chelsea, EC 2009
3. Brainstorming Fußball
4. Der moderne Fußball
5. Deutschland bei großen Turnieren
6. DFB Pokal Frankfurt – Bayern
7. EM 1972
8. EM 1980
1. Ansichten über Fußball
Wie kriegt man ein Dinosaurier Ei kaputt?
1) Einleitung
Der Fußball ist wie ein Dinosaurier Ei. Und was zeichnet ein solches Ei aus? Es ist äußerst stabil, quasi nicht kaputt zu kriegen. Dennoch frage ich mich, warum man überhaupt versuchen sollte, es kaputt zu kriegen? Man könnte es doch stattdessen hegen und pflegen, so dass es wachsen kann, eines Tages ein wunderschöner Dinosaurier schlüpft?
Inwiefern in Zeiten des Fußballbooms überhaupt kritische Töne angeschlagen werden sollen, soll gerne in diesem Dokument erläutert werden. Es sind dabei die Medien, die Spielleiter, auch Schiedsrichter genannt, sowie die Spieler selber, aber natürlich auch die Zuschauer, die alle ihre Rolle dabei durchaus an dieser oder jener Stelle einmal kritisch überdenken könnten.
Ich persönlich war, bin und bleibe mein Leben lang jedenfalls Anhänger dieses Spieles. Ich habe es sowohl selber betrieben, als auch von frühester Kindheit an die Rolle des aktiven Zuschauers übernommen. Dabei war für mich schon immer ein jedes Spiel recht, um es anzuschauen. Fanatismus oder Anhängerschaft kenne ich fast überhaupt nicht. Ich schaue alles, was man nur schauen kann. Dabei sind mir Amateur- oder Jugendspiele genauso recht wie Championsleague- oder WM-Finales. Ebenso schaue ich mit Begeisterung exotische Ligen, wenn sich eine Gelegenheit bietet.
Darüber hinaus kann ich mit einigem Stolz, wie an anderer Stelle nachzulesen. sogar behaupten, dass Fußball mein Beruf ist. Ich lebe vom professionellen Wetten auf Fußballspiele. Insofern kann man vielleicht ein klein wenig Zutrauen in meine Beurteilung der Fußballspiele, nicht nur was die Chancenverteilung, sondern auch was das Spielverhalten, die Schiedsrichterrolle aber auch die eben von Medien und Zuschauern angeht, erwarten. Denn sie alle spielen bei der Gesamtbeurteilung eines Spieles eine Rolle.
2) Allgemeine Betrachtungen über den Fußball
Es gibt kein einfacheres Spiel als Fußball. Das macht ihn aus, das macht seinen weltweiten, nicht geringer werdenden, Verbreitungsgrad aus. Jedes Kind hat seinen Bewegungsdrang. Rumtollen und spielen, das ist das Kinderparadies. Wenn dann noch ein Ball ins Spiel kommt, wird die Freude noch größer. Also: ein Spielgerät, den Ball her und raus, gegentreten und hinterherrennen. Noch 4 Stöcke oder Jacken als Torpfosten und man spielt wie die Großen. Schöner und einfacher geht es eben nicht.
Wenn man es vergleicht mit Tennis, Eishockey, Volleyball oder Football, was auch immer, stellt man fest: bei den meisten anderen Sportarten benötigt man irgendeine Ausrüstung und eine geeignete Lage. Mal eine Halle, mal ein Stadion, mal ein Netz, mal einen Korb, mal einen Schläger. Zum Fußballspielen braucht man gerade mal einen Ball. Eine Wiese wird sich schon finden. Und los geht’s. Der Fußball lebt, er boomt förmlich. Warum man in Zeiten des Booms überhaupt kritische Töne anschlagen sollte? Lächerlich. Aber es gab auch vor mir schon Mahner, die auf anderen Gebieten negative Entwicklungen vorausgesagt haben und damit richtig lagen. Abgesehen davon: Wer weiß, wie groß der Boom noch sein könnte, wenn man ein paar Dinge ändert, verbessert? Vielleicht kann man die Fanschar vergrößern, und zwar in riesigen Ausmaßen? Aber wie gesagt: Der Fußball boomt und lebt auch so.
Insofern wird das Ei nicht kaputt zu kriegen sein. Für mein Verständnis wird es aber ziemlich schändlich behandelt. Es wird mit Füssen getreten, mit Hammer, Säge und Beil malträtiert. Noch ist es heil. Wer dabei zu welchen Mitteln greift, versuche ich im Folgenden zu erörtern. Natürlich tun es allesamt unbewusst. Meine Überlegungen könnten vielleicht hier und da dazu beitragen, dass es zunächst bewusst geschieht und dann in der Zukunft möglicherweise gar nicht mehr?!
Experte, Fußballfan, Stadiongänger oder Fernsehzuschauer, jeder hat seine Vorschläge zu machen, das ist mir schon klar. Die Medien geben uns wöchentlich vor, worüber in der Woche diskutiert wird, dann kommt der nächste Spieltag und das nächste Diskussionsthema. Die berühmten Stammtischdiskussionen: „Hast du gestern gesehen, die Schauspieleinlagen? Das wird immer schlimmer. Da müsste der DFB was machen.“ Die Woche danach: „Zehn, teilweise spielentscheidende Schiedsrichterfehler. So kann das doch nicht weitergehen. Da müssen sie was unternehmen.“ Noch eine Woche drauf. „Hast du gestern das Tor gesehen, was nicht gegeben wurde? Dabei war der Ball einen halben Meter hinter der Linie. Der Chip oder die Torkamera müssen her.“ Jeder hat eine Meinung, jeder tut sie kund, jeder hält sie für exklusiv und objektiv angeeignet. Dass aber nur die Medienvorgaben wiedergekäut werden, registrieren die meisten bedauerlicherweise dabei nicht.
In der Summe sind es allein in Deutschland ca. 40 Millionen Menschen, selbstverständlich alle mit der (selbst diagnostizierten) Eignung zum Bundestrainer. Das gilt natürlich auch für mich und meine Ansichten. Der einzige Unterschied zu den anderen: Meine stimmen wirklich, ist doch klar. Jetzt müsste ich nur noch zum FIFA- Präsidenten gewählt werden und schon in einem Jahr sind die Stadien weltweit gefüllt, die Umsätze verdoppeln sich, ach was red ich, verzehnfachen sich und eine neue Welle der Begeisterung schwappt über die gesamte Welt, nicht aufzuhalten, ein neues Zeitalter bricht an und wir gründen die intergalaktische Liga. Was, Sie glauben mir nicht? Na, dann lesen Sie mal…
3) Faszination Fußball?
Was fasziniert die Menschen wirklich am Fußball? Ja, Fußball ist Emotion, Leidenschaft, Spannung, Sport, Spiel. Und es ist ein einfacher Sport. Alles richtig. Aber die Tore sind das Salz in der Suppe. Und davon gibt es (zu) wenig. Ich stelle mir folgende Szene vor: Sie versuchen, einem Ami das Spiel schmackhaft zu machen. Sie gehen mit ihm ins Stadion, als echter Enthusiast. „Fußball kennst du nicht? Das musst du gesehen haben.“ Also gut, er geht einigermaßen interessiert mit ins Stadion. Nach 20 Minuten fragt er: „Sag mal, wozu stehen denn die beiden Kästen da am Ende vom Spielfeld?“ „Du hast ja gar keine Ahnung, Mensch, da muss der Ball rein, das sind die Tore!“ „Ja, aber da müsste ja wenigstens mal jemand den Ball in die Richtung schießen, damit es ein Tor werden kann. Wann passiert denn endlich mal was?“ Logisch, es steht ja 0:0 (laut meiner Datenbank ist es übrigens tatsächlich in 64 % der Spiele so, nach 25 Minuten).
Sie sagen immer „Gleich, schau doch hin“. Er droht Ihnen allmählich wegzunicken. Endlich, der Mann springt auf: Ein Spieler geht alleine aufs Tor zu. Er fängt schon beinahe an zu schreien, jubeln. Sie zupfen ihn auf seinen Stuhl zurück. „Hey, setz dich mal wieder. Das ist ja peinlich. Der war doch Abseits, der Mann.“
60. Minute. Immer noch 0:0. Er will endlich nach Hause. Sie sagen „Nein, jetzt wird’s ja erst richtig spannend, mal sehen ob doch noch ein Tor fällt“. Dann, tatsächlich, die 65. Minute, 1:0, auch noch für Ihre Mannschaft. Jetzt dürfen Sie jubeln. Er springt auch mit auf und sagt: „Wow, jetzt passiert aber doch endlich mal was.“ Sie müssen ihn bremsen: „Setz dich wieder. Nur noch 25 Minuten, das Ding haben wir im Sack“. Er „Wie, jetzt passiert nix mehr?“. „Nee, unsere stellen sich jetzt hinten rein, zwei, drei taktische Auswechslungen, ein bisschen Zeitspiel. Das Ding bringen sie locker über die Zeit, da brennt nix mehr an“. Recht haben Sie, das Spiel endet 1:0.
Das war sein erster und letzter Stadionbesuch. Es steht immer 0:0, wenn’s spannend wird ists Abseits und wenn tatsächlich doch ein Tor fällt, ists entschieden? Nee, danke.
4) Steigerung der Attraktivität durch mehr Tore:
Dann werfe ich jetzt die entscheidende Frage auf: Wäre der Fußball nicht schöner, interessanter, faszinierender, wenn es mehr Tore gäbe? Ich denke mal, die meisten würden diese Frage mit „Ja“ beantworten. Tore sind einfach das Salz in der Suppe. Ein schöner Trick, eine gelungene Flanke, ein Dribbling, eine tolle Torwartparade ist alles schön, man kann klatschen und begeistert sein. Auch eine Druckphase, eine Ecke, ein Foulspiel gefolgt vom Pfeifkonzert, eine (fragwürdige) Abseitsentscheidung, ein gelungenes Tackling, alles gehört zum Fußball dazu. Aber die Explosion, der absolute Höhepunkt, das Ein und Alles, das Nonplusultra, das ist, wenn der Ball einschlägt im Tor. Das reißt die Massen von den Sitzen.
Es gibt sicher ein paar Leute, die trauern, die Anhänger der Mannschaft, die das Tor kassieren. Aber die zählen ja kaum, die trauern halt stumm vor sich hin. Und die neutralen sind ja ohnehin dank des Fernsehens fast immer klar in der Überzahl. Und die wollen das Tor auch sehen.
Also das ist mein erstes Anliegen. Es gibt ja seit Jahren Diskussionen darüber, so dass ich in dieser Hinsicht garantiert nicht der einzige bin.
Aber mein Vorschlag zum Erreichen dieses Zieles ist der einfachste. Er ist so einfach, wie er nur sein kann. Ich möchte weder die Tore vergrößern noch das Abseits abschaffen. Ich möchte keine einzige Regel ändern! Mein Vorschlag lautet: Anwendung der bestehenden Regeln!
Na, die werden doch angewandt, sagen Sie? Dazu muss ich also offensichtlich ein paar Beispiele bringen, um zu beweisen, dass es tatsächlich nicht so ist bzw. das es eine Tendenz zur Auslegung der Regeln gibt. Diese Tendenz ist eindeutig gegen die angreifende Mannschaft.
Ich fange mal mit einer relativ einfachen und anschaulichen Situation an: Ein Foulspiel. Was entscheidet der Schiedsrichter? Ein jeder, sei er nun Schiedsrichter oder neutraler Zuschauer, wird sagen: Freistoss, was denn sonst? Dann sage ich, na gut, mag sein (zu Zweifeln diesbezüglich später mehr), aber was ist mit Foulspiel im Strafraum? Naja, der regelkundige wird selbstverständlich antworten: Foulspiel im Strafraum ist Elfmeter. Dann widerspreche ich doch einigermassen heftig. Es gibt nicht nur den Begriff „elfmeterreifes Foul“ sondern es gibt auch diese Tatsache. Ein Foul im Strafraum wird so kommentiert: „Dafür kann man keinen Elfmeter geben“ oder „das reicht nicht für einen Elfmeter“ oder „ja, es gab Körperkontakt, er hat ihn berührt, aber Elfmeter? Ich weiss nicht“ Und alle sind sich einig. Aber warum ist es so? Was ist eigentlich die Aussage?
Die eigentlich Aussage ist die, hier meine Interpretation, zu Erklärungen auch später mehr: Es war zwar ein Vergehen, aber die Schwere des Vergehens genügt nicht, um dafür einen Elfmeter zu rechtfertigen. Bitte schön, dann erkläre ich mich einverstanden. Wenn es so gewollt ist, dann soll es auch so entschieden werden. Nur würde ich dann auf eines bestehen: Schreibt es in die Regeln! Ein Foul zieht einen Freistoss nach sich. Im Strafraum gelten aber andere Gesetze. Da ist die Beurteilung des Foulspiels verändert. Elfmeter gibt es eben nur für ganz klare und eindeutige Fouls. Da würde ich natürlich trotzdem einhaken und nach dem Sinn fragen. Ich wollte zwar keine Regeln ändern, schlage hier aber trotzdem die sich aufdrängende, logische Regeländerung vor: Es gibt eine alternative Bestrafung für Foulspiele im Strafraum. Die Strafe Elfmeter ist ja nicht in Stein gemeißelt, oder etwa doch?
Außerdem würde ich mal den Ansatz zu Ende denken: Was würde eigentlich passieren, wenn jedes Foulspiel im Strafraum mit Elfmeter geahndet würde? Berti Vogts sagte mal (der Erste, den ich zu diesem Thema gehört habe): „Wenn man für so ein Foul Elfmeter geben würde, würde es im Spiel 20 Elfmeter geben „ . Jetzt ist es wieder an mir, zu widersprechen. Die Fussballer sind wie Kinder, allerdings Kindergartenkinder. Die tun, was man ihnen erlaubt. Wenn man es nicht schafft, einwandfreie, verständliche Regeln aufzustellen, dann tanzen sie im übertragenen Sinne auf dem Tisch. Sprich: Wenn ein Verteidiger merkt, dass es für einfaches Trikotzupfen im Strafraum keinen Elfmeter gibt, dann tut er es, wieder und wieder. Wenn er im Kopfballduell ebenfalls den Gegner behindern darf, ohne die Absicht, den Ball selber zu erreichen, dann tut er es auch. Stellt er allerdings fest, dass diese Vergehen mit Elfmeter bestraft werden, dann unterlässt er es. Was wäre die tragische Folge? Die Stürmer hätten plötzlich mehr Freiheiten. Sie wären in der Lage, ein Dribbling auch erfolgreich abzuschließen, ein Kopfballduell zu gewinnen und den Ball aufs Tor zu bekommen. Weitere Folge: Mehr Torsituationen, mehr Tore. Würden Sie dann gleich weglaufen?
Jetzt rede ich mal über eine weitere, ähnliche Situation: Das Handspiel im Strafraum. Ich als Kind im Jugendfußball habe noch gelernt: Arme an den Körper, vor allem im Strafraum. Denn: Sonst gibt es Elfmeter. Also habe wir versucht, den Ball NICHT an die Hand oder den Arm zu bekommen. Im Laufe der Jahre hat sich dieses Verhalten allmählich geändert. Heutzutage sieht es so aus: Die Verteidiger halten ihre Arme, wo sie wollen, möglichst aber nicht am Körper. Und wenn sie den Ball dann gegen die Hand oder den Arm bekommen, dann heißt es, „das war keine unnatürliche Handbewegung“ oder „aus der Entfernung bekommt er den Arm gar nicht mehr weg, da kann man keinen Elfmeter geben“ Das ist so ein unglaublicher Blödsinn. Wenn es keine Strafe dafür gibt, dann hält man die Arme einfach wie ein Handballtorwart. Wenn der Gegner dagegen schießt, ist er doch selber schuld, jedenfalls nicht ich. Mir soll nur keiner erzählen, dass die Spieler nicht wissen, was sie tun.
Jetzt komme ich noch auf ein wirklich leidiges Thema zu sprechen, dass jeden Fußballfan tagtäglich aufregt: Das Abseits. Meine Beobachtungen dazu:
Die Amis hatten zur WM 1994 den richtigen Ansatz: Sie wollten das Spiel in Amerika populär machen. Um es populär zu machen, müssen sie es attraktiv machen. Um es attraktiv zu machen, müssen Tore her. Von allen Vorschlägen (die übrigens in Amerika spielend leicht einfach umgesetzt würden), wurden nur zwei eingeführt: Die Rückpassregel und die Regel „im Zweifel für den Angreifer“ bei Abseitsentscheidungen. Denn die Erkenntnis war ganz einfach: Die Fahne geht immer hoch, oft zu Unrecht. Wenn man also nicht sicher ist, lässt man sie unten. Denn die Torsituation will man ja sehen. Hier sind fast alle Zuschauer neutral. Ein Spieler alleine vor dem Tor. Das ist spannend. Ein Abseitspfiff ist der so genannte Anti-Climax. Wie bei Hitchcock, wenn man schon wieder ein Geräusch hört, schon wieder einen Riesenschreck bekommt, und dann die Kamera umschwenkt und man sich den Schweiß abwischt: „Puh, ein Glück, war nur ne Katze“. Aber beim Fußball ist es ein permanenter Anti-climax. Bei der WM 2006 wurden mal zufällig ausgewählte Zuschauer gefragt, ob sie wüssten, was Abseits wäre und eine Frau antwortete, übrigens absolut korrekt „Abseits ist immer, wenn einer frei steht“. Und so wird es heutzutage entschieden.
Ich habe sogar mal mit einem Schiedsrichter gesprochen, was er glaubt, wie viel Prozent der AbseitsFEHLentscheidungen zu Ungunsten der angreifenden Mannschaft ausfallen. Er gab zwar eine gute Antwort aber nicht ganz die korrekte. Er sagte 80% sind zu Ungunsten der angreifenden Mannschaft. Er irrt sich nur insofern, als es tatsächlich über 90% sind, aber trotzdem darf doch die Frage erlaubt sein, warum sind es mehr als 50%, die ja statistisch gesehen herauskommen müssten, wenn man nur rein zufällig Fehler begehen würde? Seine Antwort war für mich überaus interessant und ich fürchte, dass ein derartiger Unsinn tatsächlich in der Schiriausbildung verbreitet wird. Er sagt, das liege daran, dass der Assistent das Abseits HÖRT und nicht SIEHT. Also er schaut immer auf die Angreifer/Verteidigerlinie, der Ball wird abgespielt, das Abspiel verursacht ein Geräusch, der Schall braucht zwischen 0,1 und 0,3 Sekunden, um an sein Ohr zu dringen (das Abspiel geschieht im Schnitt in 20-60 Metern Entfernung vom Assistenten und dafür braucht der Schall so lange) und innerhalb dieser Zeitspanne steht der Spieler tatsächlich im Abseits: Licht schneller als Schall.
In Meter umgerechnet: Ein schneller Spieler läuft die 100 Meter in 11 Sekunden. Also 9 Meter in einer Sekunde, 90 Zentimeter pro Zehntelsekunde. Dazu die Gegenbewegung der Abwehrspieler, die gleichzeitig herauslaufen, die sind aber langsamer, also sagen wir 60 Zentimeter, macht zusammen 1,50 Meter, und das ist noch der pessimistische Fall, dass das Abspiel in der Nähe des Linienrichters erfolgte. Wenn der Assistent sich also regelmäßig um 1,50m vertut, dann wären die Fehlentscheidungen eine logische Folge, und zwar die gegen die Angreifer. Denn die Angreifer bewegen sich ja tatsächlich immer im kritischen Bereich. Sie wollen ja gerne den kleine Vorsprung haben, starten also oft vorzeitig, aber dennoch nicht zu früh! Diese Erklärung klingt zwar in gewisser Weise einleuchtend, wäre aber deswegen nicht weniger verheerend.
Wenn es sich tatsächlich so verhielte und den Schiedsrichterausbildern dieses bewusst wäre, dann würde ich natürlich vorrangig die Aufgabe darin sehen, das in der Ausbildung zu vermitteln, dass man also bei der Frage abseits oder nicht seine Entscheidung um diese ca. 1.50m korrigieren müsste. Denn Ungerechtigkeiten sind ja hoffentlich unerwünscht, darf ich annehmen?
Dennoch habe ich im Laufe der Jahre eine andere Beobachtung gemacht, die eine wesentlich einsichtigere Erklärung liefert. Dazu muss man sich allerdings nach Möglichkeit von ein paar Vorurteilen frei machen. Wenn Sie dann so weit wären?Ich behaupte also, dass die Erklärung im psychologischen Bereich zu suchen ist. Der Assistent schaut, wie jeder andere auch, selbstverständlich auf den Ball, der wird nach vorne gespielt, der Mann schaut hinterher, der Ball kommt an und er sieht einen Angreifer alleine auf den Torwart zulaufen. Dann denkt er, wie jeder andere auch, „Ui, ist der frei“. Dann geschehen ein paar Dinge im Gehirn und in den Gliedmaßen, die man eigentlich auch dem Oberbegriff „Intuition“ zuschreiben könnte und die in der Summe ein Ergebnis liefern: Er reißt die Fahne hoch. Die Intuition ist wirklich ein sehr treuer und im Prinzip auch zuverlässiger Ratgeber. Ich nutze auch meine Intuition tagtäglich. Man nutzt sie ohnehin allgegenwärtig in Situationen, wo die Zeit zum Nachdenken zu knapp ist. Und das ist eine typische solche Situation. Nun darf ich aber an die ursprüngliche Frage erinnern: Wie viel Prozent der AbseitsFEHLentscheidungen fallen zu Ungunsten der Angreifer aus? Ich hoffe, dass das nicht bestritten wird (bitte, ich bin begierig danach, zu erfahren, was die berühmte Sat1 Datenbank enthüllt). Und ich hoffe, es ist auch unbestritten, dass eine solche Entscheidung intuitiv, da innerhalb von Zehntelsekunden, getroffen werden muss. Also wäre jetzt die Frage zu klären, warum die Entscheidung zu weit mehr als 50% in eine bestimmte Richtung ausfallen.
5) Einführung in die Psychologie
Prinzipiell gibt es eine Tendenz zugunsten von einfachen Entscheidungen. Ein Jeder sucht sich Entscheidungshilfen, in allen Lebenslagen. Man möchte nicht in jeder Situation sämtliche Erwägungen erörtern (müssen) bevor man handlungsfähig ist. Also hat man in meist eine grobe Orientierung. Und der Satz „man wählt den Weg des geringsten Widerstandes“ ist auch mehr als nur eine Floskel, es ist beinahe für die meisten Menschen eine Lebensregel.
Auf die Schiedsrichterassistenten bezogen bedeutet das: Man entscheidet in erster Linie so, dass einem dafür nicht der Kopf abgerissen wird. Und ich kann Ihnen etliche Beispiele liefern, wo Schiedsrichtern oder -Assistenten im übertragenen Sinne der Kopf abgerissen wurde. Das geschieht immer dann, wenn eine Fehlentscheidung zu einem Tor führt. Denn das ist ein so offensichtlicher Fehler, und dieser hat das Spiel entschieden. Das Spiel endete 1:0 (wie meistens) und das Tor hätte nicht zählen dürfen. Wer ist schuld? Der/Die Schiedsrichter.
Mir ist schon klar, dass das nicht ohne Weiters glaubwürdig ist. Aber ich hatte ja geraten: Vorurteile über Bord bitte! Ich schildere Ihnen nämlich jetzt ein weiteres Beispiel, wie eine andere Art von Fehlentscheidung beurteilt wird. Und das geht so:
Ein Spiel endet 0:0. Einer der beiden Trainer merkt nach dem Spiel an, dass seiner Mannschaft ein klares Abseitstor nicht anerkannt wurde und das es mindestens eine weitere Situation im Strafraum zu einem Elfmeter hätte führen müssen, es gab zumindest ein klares Handspiel. Das Fernsehteam arbeitet gut, die entsprechenden Bilder zu den Spielsituationen werden eingeblendet. Sie bestätigen die Aussagen des Trainers. Wissen Sie aber, was die nächste Reporterfrage ist? „Hätten Sie nicht dennoch einfach mehr tun müssen, um die drei Punkte einzufahren?“
Der Schiedsrichter wird nicht weiter erwähnt, vor allem kommt er in keine Erklärungsnot. „Das waren Tatsachenentscheidungen.“ „Er hätte zwar Elfer geben müssen, aber er hat die Situation wohl anders beurteilt.“ „Die Abseitssituation war wirklich schwer zu sehen. Da kann schon mal ein Fehler passieren.“ Die Schiedsrichter werden in Schutz genommen, der Trainer ist der Dumme. Er will von den Fehlleistungen seiner Mannschaft ablenken, verschafft sich und seinen Spielern ein Alibi und so weiter.
Also der erst Teil der Psychologie gibt einem Entlastung, falls man sich vertut. Und zwar dann, wenn man gegen das Tor entscheidet. Wenn man hingegen sich für das Laufen lassen, für den Elfmeter entscheidet, dann riskiert man wirklich etwas. Dann könnte man daneben liegen, mit schlimmen Folgen. Aber es gibt noch eine weitere Erklärung. Diese folgt hier:
6) Psychologie Teil 2
Fußball ist ein Spiel mit wenigen Toren. Meine Datenbank enthüllt, dass in den von mir erfassten Ligen in den letzten 10 Jahren der Schnitt bei 2.5 Toren pro Spiel lag. Das hat eine ganz offensichtliche Folge: Jedes Tor hat einen gigantischen Wert, was die Chancenverteilung für das ganze Spiel angeht. In etwa sieht das so aus: Wenn man vor dem Spiel vielleicht 50% auf Sieg hat, dann hat man nach einem Tor in der ersten Halbzeit ca. 80% auf Sieg. Wenn man dagegen ein Tor kassiert in der ersten Halbzeit, verschlechtern sich die Chancen sofort auf 20% oder weniger. Wann wird schon mal ein Spiel gedreht?
Der Einfluss eines Tores auf den Ausgang des Spieles ist also sehr erheblich. Das heißt, man scheut wenig davor, eine Entscheidung zu treffen, die zugleich das Spiel quasi (häufig genug endgültig) entscheiden kann. Und es gibt ja nicht nur Tore in der ersten Halbzeit (da sogar erkennbar weniger). Man denke mal an die letzte Spielminute. Das Spiel steht Unentschieden, 0:0. Beide Mannschaften haben sich einen erbitterten, dennoch fairen Kampf geliefert. Aber plötzlich läuft ein Spieler allein auf das Tor zu. „Hilfe, halt, stehen geblieben“ denkt der Assistent in dem Moment. Doch jetzt kein Tor mehr, das wäre die sofortige Entscheidung. Also die Entscheidung, man beachte das Wortspiel, ist eine Unentscheidung. Man entscheidet sich für das Unentschieden. Zur Sicherheit. Geschweige denn, man würde jetzt daneben liegen und den Mann zu Unrecht laufen lassen. Gott bewahre! Also: Fahne hoch, dann bist du aus allem raus. Sollen sie ruhig hinterher sagen: „War doch kein Abseits.“
Natürlich gilt das genauso für die Elfmeterentscheidungen. Sie müssten mal die Kehrseite der Medaille, wie die Schiedsrichter ihr Gewissen beruhigen, sehen: Beim Stande von 4:0, da machen sie alles wieder gut. Da kann ein kleiner Schubser im Strafraum ausreichen für den Elfer. Da wird der Stürmer schon mal laufen gelassen, jetzt kann ja nix mehr passieren, und diskutiert wird’s garantiert auch nicht, wenn ich mich vertan haben sollte.
Das gleiche gilt natürlich auch für Platzverweise. Man möchte es einfach nicht. Man würde das Spiel ja auch quasi entscheiden. Also entscheidet man sich auch lieber gegen den Platzverweis.
7) Die (Un-)Gerechtigkeit
Könnte jemand etwas einwenden, wenn man sagt, dass man eine Form von Gerechtigkeit anstrebt? Ich habe auch etliche Spiele der NBA, der amerikanische Basketballliga verfolgt. Und habe dabei eine Feststellung gemacht: Da wird praktisch nie eine Schiedsrichterentscheidung kritisiert. Man weiß zwar manchmal, dass eine Entscheidung falsch war, auch als Spieler. Aber man akzeptiert sie, weil man weiß, dass es kein System dahinter gibt, keine erkennbare Tendenz. Es ist eben nur ein Fehler.
Wenn ich vom Fußball mal ein paar Beispiele bringen darf, Standardszenen, die in jedem Spiel vorkommen: Ein Stürmer luchst einem Verteidiger den Ball ab. Der Verteidiger merkt, dass er einen Fehler gemacht hat, aber der Ball ist weg. Dann fällt er einfach hin, das machen alle Verteidiger. Und was macht der Schiedsrichter? Er pfeift nicht etwa in 99 von 100 Fällen Freistoß für den Verteidiger. Nein, er pfeift in 100 Fällen für den Verteidiger. Es ist gar nichts passiert, kaum eine Berührung. Aber es gibt einen Freistoß. Auf der anderen Seite des Spielfelds. Ein Stürmer dringt in den Strafraum ein, er wird auch klar behindert. Jetzt hat er zwei Möglichkeiten, Situations bedingt: Versuchen, weiter zu laufen, zu spielen, oder den Ball verloren geben. Aber eines darf er unter gar keinen Umständen tun, und das ist Hinfallen. Denn, bei der heutigen, lächerlichen Form der Regelauslegung, würde einem der Sprecher garantiert erklären: „Der Schiri gibt zu Recht keinen Elfmeter. Aber wenn er keinen Elfer gibt, muss er zwingend eine gelbe Karte zeigen.“ Man bekommt also garantiert keinen Elfmeter. Wenn man sich ausgesprochen geschickt verhält, und das schaffen nur die Spieler, die sich nach einem Rempler auf den Beinen halten können, kann es einem gelingen, keine Gelbe Karte zu bekommen.
Wenn Sie jetzt diese zwei Szenen gegeneinander halten, merkt man wohl die Ungerechtigkeit: Der eine Mann fällt immer, auch, wenn es kein Foul weit und breit gab. Der andere Mann bekommt, wenn er fällt, Gelb, selbst wenn er tatsächlich gefoult wurde. Das ist eine so Himmel schreiende Ungerechtigkeit.
Ich sehe auch immer wieder die Angreifer, die nach einer solchen Balleroberung und dem erfolgten Schiedsrichterpfiff die Hände vors Gesicht schlagen und verzweifelt den Kopf schütteln, weil sie diese Ungerechtigkeit natürlich auch verspüren, aber dagegen machtlos sind. Auf der anderen Seite des Spielfelds, bei der alternativ beschriebenen Szene, sieht man den Verteidiger immer nach dem tatsächlichen Vergehen die Arme zur Unschuldsbeteuerung hochreißen, er habe nichts gemacht. Als der Schiedsrichter dann tatsächlich dem Stürmer die Gelbe Karte zeigt, klatscht der Verteidiger Beifall, alles richtig gesehen, Schiri.
Nun müssten ja diese beiden unterschiedlichen Reaktionen der partizipierenden Personen gedeutet werden: Handelt es sich jeweils um glänzende Schauspieler, der eine, der eine üble Straftat begeht und dann Kopfschüttelnd, mit vors Gesicht geschlagenen Händen, wegläuft (nur nicht beschweren, dann bekommt auch er Gelb), der andere, der tatsächlich unschuldig ist, dies aber nur dadurch zu erkenne geben kann, dass er zur Beteuerung die Arme hochreißt?
Die Spieler wissen genau, was Foulspiel ist. Das sind intuitive Reaktionen, die Ausdruck für die erfahrenen (Un-)gerechtigkeiten sind. Der eine hat nicht gefoult, das ist Fakt. Und er reagiert intuitiv so, dass er den Kopf schüttelt. Das ist nie und nimmer Schauspielerei. Wenn er etwas, auch nur die kleinste Kleinigkeit getan hätte, könnte er gar nicht so reagieren. Der andere ist tatsächlich Täter, reißt aber, ebenfalls intuitiv, die Arme hoch, um sofort zu suggerieren, dass es doch nichts gewesen wäre. Das ist ebenfalls unmöglich Schauspielerei.
8) Beweisführung
Zum Beweis, dass meine Beobachtungen insgesamt stimmen, habe ich folgenden Vorschlag zu machen: Eine Anzahl von Schiedsrichtern, sagen wir 10, stellen sich zur Verfügung, mit mir ein paar Entscheidungen zu untersuchen. Sie dürfen auch ganz frei einen Spieltag der Bundesliga auswählen, ich hingegen wähle die Szenen aus. Eine kleine Erschwernis, um ihr Urteilsvermögen auf Herz und Nieren zu prüfen, muss ich allerdings einbauen: Sämtliche Tore und Linien werden vorher wegretouchiert. Man sieht also die Aktion vollständig, weiß allerdings nicht, wo die Aktion stattgefunden hat. Dann möchte ich mal die Beurteilung hören, was ein Foulspiel war und was keines. Ich sage, dass die Herren dann günstigstenfalls ein 50/50 Verhältnis bekommen, was die Richtigkeit der Entscheidungen angeht. Also in etwa so: Die Herren dürfen sich abstimmen, ob ein Foulspiel vorlag oder nicht und wir vergleichen ihr Urteil mit der Entscheidung im Spiel. Noch besser wäre es, wenn jeder der Herren seine Entscheidung unabhängig von der der anderen treffen müsste. Dann tippe ich auch auf 50/50. Und 50/50 schaffe ich auch mit Würfeln, da brauchen wir keine Schiedsrichter.
Bitte, alle Schiedsrichter, die bereit sind zu dem Experiment, bei mir melden. Seien Sie mutig, Ihre Entscheidungen sind doch unantastbar, oder?
9) Ursachenforschung
Ich unterstelle keinem Schiedsrichter Böswilligkeit. Sie versuchen, so gut wie möglich zu entscheiden, auch neutral. Um meine Beobachtung anschaulich zu machen, erinnere ich an Herrn Merk, der vor kurzem ein Tor für Werder Bremen anerkannte (im Spiel gegen Borussia Dortmund), welches im Nachhinein allgemein als irregulär angesehen wurde. Das wäre nicht so schlimm, wenn er nicht hinterher von seinem „schlimmsten Fehler der letzten 10 Jahre“ gesprochen hätte. Was drückt das aus? Ein nicht gegebenes Tor, was aber die Anerkennung verdient hätte, ist kein schlimmer Fehler. Ein Tor, was zu Unrecht gegeben wird, ist ein katastrophaler, unverzeihlicher Fehler. Die Folge ist: Immer sicherheitshalber aberkennen. Im Zweifel ist es eben Abseits. Im Zweifel war es kein Foulspiel, kein Handspiel, eben kein Elfmeter. Eine weitere Ursache ist die: Ein Tor bringt eine gigantische Verschiebung der Chancenverteilung, was den Spielausgang angeht. Sprich: „Wenn ich das Tor anerkenne, steht ja der Sieger quasi fest, also lieber nicht“. Ein Nicht Tor ändert ja nichts an der Chancenverteilung, ein Tor schon. Die Ursache ist also im psychologischen Bereich zu suchen. Das klingt unglaublich und ich höre quasi den Aufschrei, der jetzt erfolgt, vor allem von den Spielleitern selbst.
Jeder Mensch handelt nach dem Prinzip, den Weg des geringsten Widerstands zu wählen. Das gilt natürlich nur bei Routinetätigkeiten, Dingen, die wir jeden Tag tun. Und der geringste Widerstand für einen Schiedsrichter ergibt sich, wenn er Torsituationen unterbindet. Man hat regelrecht Angst vor der Torsituation, weil man jetzt gefordert ist und einen schweren Fehler machen kann. Also wird das Spiel häufig lieber schon vorher unterbrochen.
Man müsste ja auch mal den Begriff „mutige Entscheidung“ analysieren. Was ist also eine „mutige Entscheidung“? Normalerweise müssten die Entscheidungen doch nur in „richtig“ oder „falsch“ unterteilt werden. Mutig ist es zum Beispiel, bei einem wichtigen Spiel in der ersten Minute einen Elfmeter zu geben. Und das ist tatsächlich die Wahrheit. Beweisen kann ich es mal wieder anhand einer Szene im Championsleague Halbfinale Barcelona – Chelsea vor kurzem. Da hat ein Spieler der Heimmannschaft ein wirklich klar erkennbares Handspiel im Strafraum begangen, nach 7 Minuten. Der Schiedsrichter hat auch wirklich Elfmeter gegeben. Aber bei der Entscheidung zuckte er Richtung Barca Spieler mit den Schultern. Das heißt eben folgendes: „Alles wäre mir recht gewesen, um keinen Elfmeter geben zu müssen. Aber hier war es leider so klar und eindeutig, dass mir nichts anderes übrig blieb“.
10) Die Umsetzung
Wenn man es schafft, die Schiedsrichter/Assistenten dazu zu bewegen, dass sie Angst vor der Fehlentscheidung haben, die GEGEN ein Tor, GEGEN den Angreifer erfolgt, wäre mein persönliches Ziel erreicht.
Herr Merk müsste sagen: Oh, da haben wir einen Stürmer, der alleine aufs Tor zulief, zu Unrecht zurückgepfiffen, DAS war der schlimmste Fehler der letzen 10 Jahre.
Objektiv ist es natürlich auch wahr, dass ein nicht gegebenes Tor die Chancen genauso beeinflusst (falls es korrekt war, „klaut“ man einer Mannschaft den Zugewinn an Prozenten in der gleichen Grösse wie man ihn der anderen schenkt). Tatsache ist auch, dass es bei einer grösseren Anzahl von Toren ja zwangsläufig die Wichtigkeit eines einzelnen Tores abschwächt. Also: Eine Entscheidung für ein Tor entscheidet eben viel seltener ein Spiel.
Die schwierigsten Entscheidungen sind natürlich dann zu fällen, wenn ein Spiel Unentschieden steht. Also bei 4:0 gibt man gerne mal einen Elfmeter oder eine Rote Karte, die Entscheidung verändert ja nichts mehr. Aber bei 0:0 oder 1:1? Die Sprecher sagen ja dann auch gerne mal: „Wer hier das nächste Tor schiesst, gewinnt auch“ und Recht haben sie auch noch. Also bei Unentschieden in einem wichtigen Spiel eine grosse Entscheidung richtig zu fällen? Dann lieber kein Tor. Ich nenne das auch gerne die „Unentscheidung“. Der Schiri entscheidet auf Unentschieden, er „unentscheidet“ das Spiel.
Die Hauptaufgabe kommt dabei den Medien zu, also das Umdenken muss hier zuerst erfolgen. Sie müssten eben die (Fehl-)Entscheidung gegen ein Tor herausstellen, die als „spielentscheidenden Fehler“ darstellen. Wenn ein Trainer heutzutage zum Beispiel nach einem Spiel sagt: „Uns wurde ein klares Tor aberkannt“ dann wird er ausgelachter sucht die Schuld bei den Schiedsrichtern, anstatt die Schwächen im Team zu erkennen und zu verbessern.
Wenn ich heute den kicker aufschlage, dann lese ich garantiert bei 10 Spielberichten eine der folgenden Meldungen: „Allerdings wurde ihnen auch ein klares Tor aberkannt“ oder: „sie hatten allerdings Glück, als der Schiedsrichter einen klaren Elfmeter nicht gab“ oder einfach nur : „Der Schiri hätte in zwei Situationen auf Elfmeter entscheiden können“. Nur scheint das eben kein Aufsehen zu erregen. Das sind Randnotizen.
Christoph Daum sagte vor Kurzem mal einen guten Satz: „Die Spielleiter werden immer mehr zu Spielentscheidern“. Er hat Recht, das ist schon mal klar. Aber er hätte es nicht sagen dürfen, denn er sagte es ja, nachdem seiner Mannschaft das absolut korrekte Ausgleichstor aberkannt wurde. Dann wird er eher von den Medien zerrissen für die dumme Aussage.
In England gab es übrigens auch mal eine interessante Situation am Saisonanfang. Bei dem Spiel Liverpool – Chelsea gab der Schiri einen Elfmeter, der unberechtigt war, zugunsten von Chelsea. Das war der Ausgleich zum 1:1, Endergebnis 1:1. Schiri wurde für 2 Monate gesperrt. Was glauben Sie, was ab der nächsten Woche die Schiris auf den Plätzen tun? Alles kann ich machen, aber bloss ja keinen unberechtigten Elfmeter geben. Aber in einer anderes Situation, bei einem Spiel ManU-Tottenham hat Tottenham ein Tor erzielt, wo der Ball ohne Übertreibung einen ganzen Meter hinter der Torlinie war. Jeder Zuschauer bis 2,6 Promille im Oberring konnte sehen, dass der Ball drin war. Aber weder Schiri noch Assistent haben es „gesehen“? Wer mag das glauben? Sie WOLLEN das Tor nicht geben, sie WOLLEN ein Haar in der Suppe finden. Jedes Mittel ist recht, um ein Tor abzuerkennen. Wenn ich nicht ganz 100%ig sicher bin, dass alles regelrecht war und ich irgendeine Möglichkeit sehe, ein Tor abzuerkennen, dann tue ich es. Bei der WM 2006 gab es ein Spiel Kroatien – Japan. Schauen Sie sich das Spiel noch mal an. Kroatien hatte eine einfache Taktik, das Spiel zu gewinnen: Hohe Bälle in den Strafraum, Kopfball, Tor. Denn die Angreifer (erst recht die Verteidiger, die bei Standards vorne waren), waren im Schnitt 12-15cm grösser. Nur: Bei 22 Flanken, die in den Strafraum kamen, kam 21 Mal ein Kroate an den Kopfball, weil er höher sprang als der Gegenspieler. Aber 20 Mal hat der Schiri, wohl wegen „Chancenungleichheit“, abgepfiffen. Es war Kroatien auf diese Art einfach nicht möglich, ein Tor zu erzielen. Es sah vielleicht für den Schiri so aus, als ob sich die Kroaten aufgestützt hätten? Also noch mal: Der Schiri hatte keine böse Absicht. Und, wie man weiß, wurden ihm die Entscheidungen auch niemals nachgetragen. Obwohl sie zu einem sehr hohen Prozentsatz falsch waren. Es ist eben kein Problem, gegen die Angreifer zu entscheiden. Da kann einem nichts passieren.
11) Die Rolle der Medien
Während bei der Regelauslegung mit dem Hammer auf das Dinsosaurier Ei eingeschlagen wurde (keine Sorge, es blieb heil, Hammer hilft nicht), versucht man es bei der Berichterstattung mit der Säge.
Und wenn einer der Hauptverantwortlichen (am beliebtesten hierbei die Trainer) über die Berichterstattung schimpft, dann schlägt ihm die geballte Kraft der Medien entgegen: Erstens mit dem Argument, ja ja, klar, die Medien sind wieder mal an allem schuld und zweitens wird ihm gleich mal Dünnhäutigkeit unterstellt und er versuche, von den tatsächlichen Problemen abzulenken.
Nun, ich kann ja glücklicherweise als halbwegs neutral gelten und muss es einfach so deutlich ausdrücken: Die Berichterstattung ist katastrophal. Und selbst das ist noch geschmeichelt. Ich kann ja auch, wie vor Gericht üblich, „alles, was Sie sagen, kann gegen Sie verwendet werden“ selbiges mir hier nutzbar machen und mich eines beliebten Kommentatorenspruchs bedienen: Sie ist unterirdisch.
Mittlerweile habe ich auch Einschätzungen eines beinahe repräsentativen Bevölkerungsschnitts eingeholt. Das ging von meinen Fußballkameraden über den Schachverein bis hin zu Journalisten oder Hausfrauen, neutralen und Fans. Alle sagten das Gleiche und das macht mich wirklich stutzig: Sie fänden es grauenhaft, sie schalteten immer den Ton ab, man kann es nicht anhören. Dazu auch mal eine weitere, hoffentlich als neutral anerkannte, Stimme: Ich bekomme gelegentlich Anrufe von Premiere, die mir irgendwelche neune Abonnements oder Tarife anbieten wollen. Ich bin dann heilfroh, jemanden persönlich von dem Sender sprechen zu können. Ich frage dann in aller Regel, ob ich auch etwas über Ihr Sendeangebot sagen dürfte? Ich darf. Dann sage ich auch gerne, was mir wirklich am Herzen liegt. Nämlich die Unerträglichkeit der Berichterstattung. Die meist weiblichen Angestellten nicken dann erkennbar, wenn auch nur verbal, und sagen, dass sie das öfter hören würden. Ich frage dann zurück: „Gibt es denn sonst noch andere Beschwerden?“ und bekomme zu hören: „Nein, eigentlich alle richten sich gegen die Berichterstattung.“
Und das nenne ich mal repräsentativ. Wenn ich es erwähnen dürfte: Es ist den Premiere Programmverantwortlichen also offensichtlich gleichgültig. Zuschauerwünsche scheinen keine Bedeutung zu haben. Oder gibt es nicht einen einzigen Kommentator, den man finden könnte, dem es gelänge, etwas Gutes über ein Spiel zu sagen?
Also, ganz ehrlich, und ich weiß, dass ich als Deutscher zum Volke der Meckerer gehöre und das eben letztendlich über alles gemeckert wird, auch ich grad jetzt und hier, aber irgendwo müsste doch mal jemand zu finden sein, der sagt, er höre das gerne, das war auf den Punkt richtig, mein Lieblingsreporter ist … und dem kann man wirklich gut zu hören. Aber es kommt nicht, nicht ein einziges Mal. Ich weiß jetzt nicht, wie es Ihnen geht, aber ich habe meine Schlussfolgerungen gezogen: Es IST TATSÄCHLICH so schlimm. Ich bilde es mir nicht ein.
Bevor ich konkreter werde möchte ich zumindest einmal auf einen Umstand aufmerksam machen: Ich sehe fast täglich Spiele mit englischem Kommentar.
Und die sind einfach eine Wohltat. Oberstes Gebot für den Sprecher: Spannung erzeugen, Spannung erhalten. Mir scheint, die haben Journalismus studiert und unsere Borniertheit? Was macht einen denn zum Journalisten und was macht einen Journalisten aus, den Journalismus im Allgemeinen? Man möchte der Öffentlichkeit etwas verkaufen, möglichst vielen Leuten, eine Story anbieten, hier, diesen hier, meinen Bericht den müsst ihr hören und lesen, Ich hab die Story. Also man kann selbst langweilige Nachrichten gut verpacken.
Aber auch mein italienisch ist halbwegs ordentlich und ich sehe gelegentlich Spiele „con la voce italiana“, mit italienischem Ton. Aber selbst wenn ich diese nicht verstehen würde, würde mir zumindest auffallen, dass diese Sprecher gespannt sind, was passieren wird und darum bemüht, dem Zuschauer diese Spannung zu vermitteln. Aber dazu später mehr.
Jetzt wird es Zeit, konkret zu werden. Ich bringe ein paar Beispiele: 10 Flankenbälle kommen in den Strafraum. 10 Mal kommen die Verteidiger an den Ball (dazu auch: siehe oben), der Angriff ist abgewehrt. Reporterkommentar: „Stereotyp, immer die gleichen Bälle, dabei müssten sie doch wissen, dass bei den grossen Innenverteidigern… „. Die 11. Flanke kommt in den Strafraum, ein Stürmer kommt an den Ball und tatsächlich, ein Tor. Kommentar: „Katastrophaler Stellungsfehler… alle schauen zu… da steht er sträflich frei … völlig unbehelligt kommt er da zum Kopfball … selbst der Torwart trägt eine Mitschuld … zögert beim Herauslaufen… den hatte gar keiner auf der Rechnung“ oder irgend ein ähnlicher Unsinn. Zunächst mal: Die Verteidiger sind meist in der Überzahl. Kein Wunder, dass sie häufiger an den Ball kommen. Die Innenverteidiger werden sehr häufig nach körperlicher Robustheit ausgesucht, ein Stürmer eher nach Vielseitigkeit oder Beweglichkeit, Technik oder Torriecher. Wen wunderts, dass der Verteidiger auch da überwiegend siegreich bleibt? Drittens hat der Verteidiger jede beliebige Richtung zum Klären zur Verfügung. Der Stürmer nur eine einzige: Die Richtung Tor. Also es nützt ihm nichts, ein Kopfballduell zu gewinnen was gelegentlich gelingt, wonach es dann heißt, „er bekommt keinen Druck hinter den Ball“, er muss den Ball aufs Tor bekommen UND den Torwart noch überwinden.
Es ist aber übrigens prinzipiell nicht leicht, eine Aktion zu finden, die dem gestrengen Berichterstatter zusagt. Ein gelungenes Dribbling wird automatisch kommentiert mit: „Das geht aber viel zu einfach“, ein misslungenes mit „er rennt sich immer wieder fest“. Sollte jemand den Torabschluss suchen, erfolglos, dann heißt es „da hat er den besser postierten … übersehen“, „Verzweiflung“ oder „zu egoistisch“. Am einfachsten sagt man als Reporter nach einem Angriff, der nicht zum Torerfolg führt „da hätte er aber …“. Im laufenden Angriff erklärt man auch immer am besten gleich mit „jetzt wäre mal Platz“ um gleich hinterher zu sagen „da muss er früher spielen“ oder „das muss schneller gehen“, denn man muss ja nicht gleich befürchten, dass der Angriff zum Tor führt. Man kann sich damit auch gratis als absoluten Experten auszeichnen. Denn: Der Angriff wird mit größter Wahrscheinlichkeit kein Tor werden, das geschieht nämlich äußerst selten. Und wenn es dann, wie zu erwarten, kein Tor wird, bestätigt man seine vorher getätigten Aussagen „Es hätte schneller gehen müssen“ o.ä. Wenn es aber doch geschehen sollte, dass es ein Tor wird, dann redet man sich so wieder raus „eigentlich hatte er den richtigen Zeitpunkt zum Abspiel schon verpasst, aber der Ball kommt doch noch an“ oder, am einfachsten, hackt man dann auf den Verteidigern rum „zu weit weg von den Gegenspielern“, „das war ja eine Einladung, … dankend angenommen“ oder so etwas.
Die Ursache ist die folgende, und dem ist aus Reportersicht dringend vorzubeugen. Ein Laie sagt vielleicht „Toll, toller Trick, schönes Tor“, der wahre Experte sagt „ja, eine Kette von Fehlern hat zu dem Gegentor geführt. Erst der leichtsinnige Ballverlust im Aufbauspiel, dann stehen sie zu weit weg von den Gegenspielern und der Torwart macht auch noch eine unglückliche Figur“. Und dann soll mal einer widersprechen. Es gibt übrigens Legenden, die einfach so entstehen. Eine davon ist diese: Tore fallen durch Fehler. Denn das hat Kaiser Franz mal gesagt. Jetzt ist es unumstößlich. Jeder zitiert das, ohne den Ursprung zu kennen und den Wahrheitsgehalt zu prüfen. Es ist aber totaler Unsinn, sorry, Herr Beckenbauer. Es gibt die Möglichkeit, ein Tor herauszuspielen, jaaa. Es gibt auch physiologische Unterschiede zwischen den Spielern. Es gibt schnellere und langsamere, es gibt größere und kleinere, wendige, bewegliche und weniger bewegliche. Dazu gibt es Robustheit oder auch Durchsetzungsvermögen. Dann gibt es Spielzüge, Spielerbewegungen, Passpräzision, Flankenpräzision und Torschusspräzision, alles individuell verschieden. Und dann gibt es da auch noch den Faktor Zufall, Glück oder Pech.
Der Kaiser hat leider auch noch einen weiteres verhängnisvollen Satz gesagt: „Lossts den Fußball, wie er ist“. Das hat dazu geführt, dass über Regeländerungen gar nicht mehr nachgedacht wird. Oder auch darüber, ob man den Fußball attraktiver gestalten kann. Das Kaiserwort gilt ewiglich, hier und immerdar.
Ich schildere mal eine Möglichkeit, wie man ein Tor herausspielen kann:
Der Ball führende Spieler (einer wird es schon sein, es kann ja zum Beispiel nach dem Anstoß sein, dann war es hoffentlich kein Fehler, wie er in Ballbesitz gekommen ist, Herr Reif? Mein Idol unter den Miesmachern übrigens, und scheinbar nicht nur meines) spielt einen Pass, auf den nächsten freien Mitspieler. Dieser spielt den Ball weiter zum nächsten, und dieser dann wieder zum nächsten, ein Duell Eins gegen Eins gewinnen, selbst das soll möglich sein, durch individuelle Befähigung, enge Ballführung, Trickreichtum. Eine Flanke, und zwar eine präzise, auf den 1.92 großen Angreifer, der das richtige Timing hat, der Kopfball, das Tor. Alles ohne Fehler. Präzise Anspiele, Mitspieler laufen in Position, im richtigen Augenblick, einer ist gar schneller als sein Gegenspieler und hat die entscheidenden Zentimeter Vorsprung. Ich bin ein Träumer, stimmts? Ein Tor ohne Fehler, pah!
Wer im Ballbesitz ist, hat doch die Möglichkeit, nach einem freien Mitspieler Ausschau zu halten, so lernt es jeder, schon in der Jugend. Stoppen, schauen, spielen. Noch besser: Schauen, nicht stoppen, trotzdem spielen, nennt man auch Direktpass, neudeutsch „No-look-pass“, der meister dieser Anspiele: Ronaldinho.
Sicher, je mehr Ballsicherheit, umso leichter fällt das vorher Schauen, oder auch, da lob ich den Kaiser mal ausdrücklich, er schaute durchgehend, wenn er den Ball am Fuß hatte, das war sein Markenzeichen: Der Kopf war oben, immer, stets und ständig. Der Ball war sowieso da.
Wenn man nach dem Überwinden des Gegenspielers oder durch ein präzises Anspiel möglicherweise eine Schussposition hat, seien es auch 25 Meter Torentfernung, dann hat man die Möglichkeit zu schießen. Und je nach eigenen Fähigkeiten und den Torwartfähigkeiten und den Zufälligkeiten (Platzbeschaffenheit? Regennasser Ball?) wird der Ball gelegentlich auch ins Tor gehen, alles ohne Fehler. Noch darüber hinaus sind es die Aktionen, die der Zuschauer sehen will. Ich will dann wenigstens mal auch die Begeisterung über die gelungene und noch dazu schöne Aktion hören, und nicht nur ein lapidares „das 1:0, aber jetzt mal zur Fehleranalyse“.
Es ist ein Spiel von Wahrscheinlichkeiten. Die Aktionen haben eine gewisse Wahrscheinlichkeit, im Torerfolg zu münden. Je höher die Fähigkeiten, individuell und teammässig, umso höher die Wahrscheinlichkeit. Aber selbst wenn eine Mannschaft 10 Mal im Spiel eine 20 %ige Torchance erspielt und die andere nur 5 Mal eine 10 %ige kann die unterlegene Mannschaft gewinnen. Und das war lediglich eine Folge von Zufälligkeiten.
Hier jetzt noch mal eine kurze Zusammenfassung, was ich erreichen will und wie ich es erreichen will:
Attraktivität des Spiels steigern durch mehr Tore. Mehr Tore durch Anwendung der bestehenden Regeln, Auslegung der Regeln zugunsten der angreifenden Mannschaft. Dazu psychologisches Umdenken aller, insbesondere der Schiedsrichter erforderlich: Wir wollen die Toraktion, wir wollen das Tor. Man muss bei der Entscheidung lediglich berücksichtigen, dass, wenn man sie unterbindet, man im Prinzip die Zuschauer vergrault, vertreibt. Wir wollen und brauchen Toraktionen und Tore. Mehr Tore garantieren auch Spannung (heute: was, es steht 0:2? Das Ding ist gelaufen, ich schalt aus oder geh nach Hause. Später: Was, es steht 0:2? Da kann noch alles passieren, spannend, ich schau mirs an). Und eine Berichterstattung, die dem besten was es an Fußball gibt, gerecht wird. Positiv. Stellen Sie das Positive heraus. Hierbei geht es auch nur um die Aufwertung des Fußballs. Denn die Fanschar mag zwar gewaltig groß sein, aber wer weiß, wie groß sie noch sein könnte. Warum versuchen, das Dinosaurierei zu zerstören anstatt es zu hegen und zu pflegen und wachsen zu lassen?
12) Die Interviews
Ein Interview heutzutage, und ich betone ausdrücklich hier in Deutschland, ist eine Zumutung. Deshalb stelle ich voran, wie es sein müsste und in England auch praktiziert wird: Der Frager hat die Ehre, einen wahren Experten am Mikrofon zu haben. Seine Aufgabe besteht darin, durch geschickte Fragen eine möglichst große Menge an Weisheiten und Wissenswertem aus dem Gesprächspartner herauszubekommen. Dazu darf und sollte er sich durchaus auch als Mann vom Fach erweisen, was er in seinem Fragegeschick auch zeigen kann. Aber eines muss doch feststehen und erkennbar bleiben: Er ist lediglich der Experte für Fragen, der Befragte ist der wahre Experte.
Ein Interview hier verdreht leider diese Ausgangslage. Der Frager weiß bereits alles. Er lässt aber den Befragten noch eine Weile im Dunkeln tappen, um anschließend den Zuschauer über dessen Motivation bei der Beantwortung seiner Fragen aufzuklären. Konkret sieht das so aus: „Warum hat Ihre Mannschaft heute verloren?“ Antwort: „Wir haben nicht so schlecht gespielt. Die Leistung war in Ordnung, das Ergebnis nicht.“ Nächste Frage: „Machen Sie es sich da nicht zu einfach?“ „Wenn wir weiter so spielen, dann werden irgendwann auch die Ergebnisse kommen. Wir haben unsere Chancen nicht genutzt. Sorgen müsste ich mir machen, wenn wir keine Chancen gehabt hätten.“ Nächste Frage: „Ist es denn nicht ein Qualitätsproblem, wenn so viele Chance vergeben werden?“. Der Mann ist gut, er hat die Tore mitgezählt und kennt noch eine Weisheit: Im Fußball zählen die Tore!
Im Folgenden nur ein paar Stichpunkte, über die ich später noch schreiben will:
Weitere negative highlights der Berichterstattung: „unterirdisch“, „kollektiver Tiefschlaf“, „Zuschauer klatschen zu Recht Beifall“, „der Trainer lobte seine Spieler zu Recht“, „glücklich aber verdient“, „da haben sie alle gepennt“, „sie geben freundlichen Geleitschutz“.
Alles, was die Berichterstatter können, ist die Tore zählen und die Tabelle lesen, dann ist jede dumme Frage gerechtfertigt. Mein Vorschlag wäre, dass ein Reporter ein Spiel kommentieren muss, ohne zu sehen, ob eine Aktion mit einem Tor oder nicht mit einem Tor abgeschlossen wurde. Dann kann er seine schlauen Erklärungen abgeben, wer gut war und wer schlecht, wer die katastrophalen Fehler gemacht hat und wer am Ende nach seiner Meinung „verdient gewonnen hat“.
Nehmen wir noch folgendes Beispiel, zur Veranschaulichung. Eine Mannschaft führt mit 1:0, die andere greift an. Natürlich ist nicht zu erwarten, dass der Angriff zu einem Tor führt, welcher ist das schon? Einer von 100? „Nee, so wird das nix“. Umgekehrt, die führende Mannschaft greift an, die gleiche Aktion. Diesmal aber der Sprecher: „Da brennt es schon wieder lichterloh.„ merken Sie etwas? Die Kommentierung richtet sich ausschließlich nach dem Spielstand.
13) Kommentierung: Zwei Reporter (Ausland)
Noch ein Vorschlag zur Verbesserung der Berichterstattung. Und in diesem Zusammenhang frage ich mal wieder ganz gerne, ob die deutschen Medien, Berichterstatter, Programmverantwortliche schon mal den Begriff „Über den Tellerrand schauen“ gehört haben? Das hat man in Deutschland doch nicht nötig! Wir haben schließlich die Welt erfunden. Und überhaupt: Wer war schon drei Mal Weltmeister und hätte es noch weitere 10 Mal verdient gehabt?
Also wenn ein Deutscher Sprecher spricht, ist es in etwa so, wie ich mir den Ton fall vorstelle, wenn Queen Mum Berlin besucht. Kein Mensch will das sehen. Ich hab auch noch nie zugeschaut bei so einem „Großereignis“. Aber den Tonfall kann ich mir gut vorstellen. So in etwa eben wie bei einem Fußballspiel. Er hat offensichtlich auch nicht die Absicht, Spannung zu erzeugen. Er selber hat ja eh schon alles zwischen Himmel und Erde gesehen. Gute Leistungen gibt es schon mal gar nicht für so Jemanden. Und wie sollte er Spannung empfinden, wenn diese kleine hilflosen, lächerlichen Persönchen da unten versuchen, einen Angriff aufzubauen und die anderen, die Gegenspieler, in ebenso hilflosen Versuchen sich bemühen, diesen Aufbau zu verhindern? Also gut, so ist es offensichtlich, wenn Gott mit einem spricht. Aber nach meiner Vorstellung war Gott doch immer gnädig bisher?
Nun kommt noch dazu Gottes Beurteilung einer Spielsituation. Es gibt ein Vergehen im Strafraum. Der Sprecher (Ja, Gott, ich gelobe Besserung): „Nie und nimmer Foulspiel.“ Das Spiel läuft weiter. Die Zeitlupenwiederholung, aus sechs verschiedenen Perspektiven, bestätigen meinen ersten Eindruck: „Klarer Elfmeter.“ Der Sprecher: „Da sehen Sie es, er hat ihn nicht berührt. Es war kein Elfer.“ sieht sich in seiner Einschätzung ebenso bestätigt (sicher, Gott, nur du kennst die Wahrheit). Aber ich, als bescheidener Erdenbürger würde trotzdem gerne einen Fürsprecher für meine Einschätzung finden. Warum postuliert der Mann (schon wieder Lästerung; Gott selber) sofort die Wahrheit und lässt mir gar keinen Spielraum für eigene Entscheidungsfindung? Ich schreie dann regelmäßig meinen Fernseher an. Ich formuliere Tausende von Leserbriefen. Ich kapituliere. Es ist nichts zu machen. Es war kein Elfmeter. Gott hat es gesehen, Gott hat zu mir gesprochen. Danke, oh Gott, du Allmächtiger, Allwissender.
Ich hatte übrigens mal bei e-bay eine Versteigerung von folgendem Highlight gefunden: „Ersteigern Sie einen Tag mit Marcel Reif. Begleiten Sie ihn ins Stadion, lauschen Sie ihm, beobachten Sie ihn bei der Arbeit.“ Ich habe 4000 Euro geboten und glaubte schon, dass ich Gewinner wäre. Aber als ich zum Ablauf der Zeit wieder raufblickte, hatte jemand 4001 Euro geboten, Ich war draußen. Aber Sie ahnen, wie ich den Tag genutzt hätte? Da hätte ich für den Augenblick jegliche Diplomatie über Bord geworfen.
Aber das wollte ich ja hier gar nicht erzählen. Hier ging es um das Vorbild Ausland: Bei allen englischen Spielen gibt es zwei Kommentatoren. Das hat folgenden Vorteil: Wenn einer offensichtlichen Unsinn redet, gibt es wenigstens eine Instanz, die dazu direkt Stellung nehmen kann. Führt übrigens, als Begleiterscheinung, dazu, dass einfach gar kein Unsinn mehr geredet wird. Man hat jemanden an der Seite, der einen beim Unsinn quaken direkt ertappt (ertappen würde), also unterlässt man es. In Italien ist es übrigens genau so.
Das hört sich, beispielsweise, dann so an: „For me, thats a penalty. What do you think, Gary?“ Oder: „He must have been offside. What is your opinion?“ „No, he may have been onside. Lets see the Replay.“
Wie hoch ist ein deutscher Tellerrand? Die Deutschen haben jedenfalls den Joker gezogen zum Dämlichquatschen. Und die Geringschätzung der Deutschen im Ausland kann ich ohne weiteres nachvollziehen. Deutsche Großkotzigkeit legt das einfach als „Neid“ aus.
Übrigens gibt es noch einen Grund, warum die Reporter stets und ständig, durchgehend negativ über ein Spiel reden: Da man über Fußball spricht, ist jedem bewusst, dass man so viel Schlechtes sagen kann, wie man will. Das Ei ist nicht kaputt zu kriegen. Wenn ich mir einen jungen Nachwuchsreporter vorstelle, der die Gelegenheit bekommt, bei seinem ersten öffentlichen Auftritt beispielsweise eine Schwimmveranstaltung oder ein Volleyball Spiel zu kommentieren, dann würde er garantiert nicht anfangen damit, dass Spiel, die Leistungen der Teilnehmer, irgendwie madig zu machen. Er würde sicherlich, seiner Journalistenehre folgend, versuchen, es so spannend wie möglich und noch dazu als Leistungen auf dem höchsten Niveau darzustellen. Das ist oberste Reporterpflicht. Beim Fußball kann man die schon mal vergessen, und das ganze für 90 Minuten. Der Fußball ist so groß und mächtig, einfach nicht klein zu kriegen. Wie ein Dinosaurier-Ei…
14) Die Spieler selber
Die Spieler sind natürlich, und ich hoffe, dass keiner persönlich beleidigt ist, zwar die Einzigen wirklich Aktiven, aber dennoch nur Marionetten. Sie agieren nur nach den Vorgaben sämtlicher anderer Beteiligter. Die Manager entscheiden, wer ge- und wer verkauft wird. Die Trainer stellen auf und geben die Positionen vor. Die Medien wählen die zu übertragenden Spiele nach Wertigkeit und Attraktivität aus. Die Reporter „beurteilen“ die Leistungen der Spieler, die Zuschauer pfeifen oder applaudieren, jubeln oder trauern. Und sie entscheiden auch, welcher Trainer gehen muss und welcher Manager bleiben darf, welcher Spieler zum Publikumsliebling gewählt wird, und welcher „reiner Söldner“ ist. Und am Ende wählen sie auch noch die Mannschaft, den Trainer, den Manager und den Spieler der Saison.
Die Spieler dürfen gerade mal gegen den Ball treten und ihn im Tor versenken oder die Chance versieben. Den Gegner mit fairen oder mit unfairen Mitteln von seinem Vorhaben abbringen. Sie sind die Hauptdarsteller. Aber dennoch die mit dem geringsten Einfluss.
Trotzdem kann man auch diese Rolle „interpretieren“. Wenn die Medien mal wieder vorgeben, was der Trainer aber auch nur unter deren Druck geäußert hat, dass „heute ein Sieg her muss, egal wie.“ dann sind die Spieler zur Umsetzung aufgefordert, beinahe verdonnert. Dennoch hätten sie aus meiner Sicht das Recht, die Regeln der Fairness einzuhalten. Bedauerlicherweise geschieht auch das in zunehmenden Maße weniger. Für Fair-Play ist einfach kein Platz mehr. Erinnern Sie sich bitte an die Szene mit Alpay und Vlaovic bei der EM 1996, Türkei-Kroatien. Alpay war in dem Sinne „fair“, dass er nicht die Notbremse gezogen hat. Wenn das schon als Fair-Play durchgeht?
Ich verlagere meine Vorwürfe selbstverständlich zurück auf die Medien. Sie hätten die Chance, auch einen Verlierer zu loben, wenn die Leistung stimmte. Sie haben die Möglichkeit, den Beteiligten für ein tolles Spiel zu danken, für eine tolle Saison (Stepanovic nach dem tragischen Titelverlust der Frankfurter Eintracht 1992: Er hatte zunächst den Reporter, der gleich mit einer so üblen Frage auf ihn losging, zunächst noch geantwortet: Ich erwarte erst mal Glückwünsche zu einer tollen Saison. Bevor er später den legendären Satz sprach: „Läbbe geht weiter.“) Sie können auch, anstatt vorzugeben: „Der Sieg muss her, egal wie.“ vorgeben „Dabei sein ist alles. Wir freuen uns auf ein tolles Spiel heute Abend. Und wenn es noch dazu zu unseren Gunsten ausgeht…“ –
2. Barca – Chelsea, EC 2009
Das Champions-League Halbfinale 2009, Barca – Chelsea
Ich möchte heute mal das Halbfinale der Championsleague zwischen Barca und Chelsea untersuchen. Und das aus Sicht eines Fußballfans, aber auch eines Profiwetters, der sein Geld mit Fußballwetten verdienen will/muss. Ich habe beide Mannschaften x Mal in dieser Saison gesehen. Auf keinen Fall zweifle ich die Vormachtstellung der englischen Teams in Europa an. Nicht nur, dass ich die Ergebnisse kenne und dass diese Resultate viel zu eindeutig sind: ich sehe auch aus diesen Ligen und aus dem Europapokal ausreichend viele Spiele der Mannschaften, so dass man das Urteil einfach nicht mehr anzweifeln kann (gut ich schränke ein: Juve hatte Chelsea im Rückspiel beim Stande von 2:1 und mit 10 gegen 11 am Rande einer Niederlage, als del Piero alleine frei vorm Tor auftauchte; das 3:1 hätte genügt für Juve; AS Rom, war im Rückspiel gegen Arsenal kurz davor, es wäre auch nach meinem Empfinden ganz knapp für die Roma verdient gewesen; und im anschließenden Elfmeterschiessen auszuscheiden war schon sehr bitter und vor allem aus meiner Sicht nichts außer „Pech beim Münzwurf“). Dennoch: der englische Fußball ist der beste weltweit.
Aber es gibt die eine Ausnahmemannschaft des FC Barcelona. Sie ist für mich ganz klar und eindeutig die Nummer 1, noch vor allen englischen Mannschaften. Ich bin auch überzeugt davon, dass es noch niemals zuvor eine solch starke Mannschaft gegeben hat (sicher, in ihrer Zeit schon, aber nicht absolut; vergleichbar, wenn man heute Nadal gegen Sampras spielen lassen würde, Sampras aus seiner Zeit; aber auch dann hätte er keine Chance). Sie müssen es einfach schaffen gegen Chelsea, so meine Überzeugung. Natürlich habe ich auch hier Zahlen und mein Computer ist sowieso gegen jede Form der Euphorie gewappnet. Aber dennoch kam er zu dem ziemlich eindeutigen Ergebnis, dass Barca zu rund 70% weiterkäme. Der Wettmarkt widersprach meiner Einschätzung, was neben „nicht ungewöhnlich“ und „erfreulich“ auch noch für mich Voraussetzung für mein Geschäft ist: meine Meinungen, Einschätzungen mögen zwar in vielen Fällen mit dem Markt übereinstimmen, aber es muss die Unterschiede geben, sonst würde sich ja niemals eine Wette lohnen. Ich brauche also diese Abweichungen und habe sie dankend in Kauf genommen, mich, wetttechnisch gesehen, auf Barca gestürzt, voller Überzeugung eine exzellente Wette zu haben.
Im Hinspiel waren die Quoten bei einem Handicap von –0.75 Toren (das bedeutet: Sieg Barca mit einem Tor: halber Gewinn; bei zwei oder mehr Toren ganzer Gewinn, sonst Verlust der Wette) ca. 1.97 zum Anpfiff (vorher mal 2.17, insofern hat mir der Markt Recht gegeben; der Kurs 2.17 wurde vom Markt als zu hoch eingeschätzt und gespielt, und zwar mehr als die andere Seite). Ich bin bei meinen Wetten selten optimistisch (schon, dass sie „gut“ sind, aber nicht, dass sie auch kommen; die Erfahrung lehrt einen, dass ein solches Gebaren sinnlos ist). Aber an diesem Abend war ich doch einigermaßen vorfreudig. Das konnte doch gar nicht schief gehen, so mein Empfinden.
In diesem Spiel war Barca längst nicht so überlegen, wie ich es erwartet habe. Dennoch waren auch da die Zahlen total eindeutig: 20:3 Torschüsse, Ballbesitz hoch in den 60ern. Und auch wenn meinetwegen die größte Chance des Spiels an Chelsea ging, so kam diese nur durch den einen unfassbaren Rückpass-Fehler von Marquez zustande. Dennoch gebe ich zu: Die Chelsea-Defensive war die beste, mit der Barca in der ganzen Saison konfrontiert wurde. Und Czech hat (nicht nur in diesem Spiel, aber da dennoch ganz besonders) überragend gehalten. Es konnte aber, nach Gerechtigkeit, trotzdem eigentlich nur einen Sieger geben (mein Geld war natürlich komplett weg, bei -0.75), aber das Ergebnis war ein 0:0.
Vor dem Rückspiel nun hat der Markt sich ein wenig Richtung Chelsea geneigt. Das Handicap war aber „draw no bet“, also 0 Tore, kein Favorit wurde erkannt, was ja so gesehen klar für Bacra spricht als „die bessere Mannschaft“, da sie im Hinspiel als –0.75 Favorit gehandelt wurden. Aber was hilft mir das? Dennoch stiegen die Kurse auf Barca leicht an, so dass man, trotz des draw no bet, als Favorit für das Spiel allmählich Chelsea ausmachte (sagen wir: der Markt).
Der Grund dafür lag natürlich vor allem in den Aufstellungssorgen bei Barca. Die Innenverteidigung hat gerade in Auswärtsspielen eine besondere Bedeutung. Und zuerst Etoo und später Iniesta über links, das sind nicht unbedingt ihre Lieblingspositionen, und das alles statt des zuletzt phantastischen Henry.
Trotzdem hat für mich Barca das Spiel dominiert. Dieses unglaubliche Tor für Chelsea ganz am Anfang, was ja weder etwas mit „herausgespielt“ noch etwa mit „toll gemacht“ zu tun hat, sondern einfach nur mit Riesensuppe (beinahe vergleichbar mit dem Karlsruhe Tor durch Langkamp aus über 80 Metern; ok, etwas weit hergeholt), aber „kontrolliert“ schießen kann er so einen zufälligen Abpraller doch nicht. Er fällt ihm rein zufällig, dafür aber ziemlich perfekt auf den Schlappen. Das ist die eine Hälfte des Glücks, die in Prozent schwer auszudrücken ist. Aber selbst dann und, bei aller Klasse von Essien, kommt er niemals auch nur ansatzweise auf 5% für ein Tor aus dieser Situation.
Selbstverständlich „spielt das Chelsea in die Karten“. Es wird eine Euphorie ausgelöst, nicht nur bei den Spielern sondern auch bei den Zuschauern. Alles geht auf einmal ganz einfach. Die Zuschauer sind bei jeder halbwegs gelungenen Aktion schon aus dem Häuschen. Ein abgewehrter Barca Angriff wird bejubelt, was nicht bei 0:0 geschehen würde. Hier ist immer das Motto: „Wieso, wir haben doch schon gewonnen.“ Zustandekommen gleichgültig. So viele Prozente, wie Chelsea dazubekommt, gehen dem Gegner verloren. Man hat plötzlich eine „uphill battle“, und das auf diesem allerhöchsten Niveau. Die 67% Ballbesitz Barca sprechen dennoch eine eindeutige Sprache. Und auch bei Ecken waren sie bis zum Schluss in der Statistik vorne.
Aber, ganz klar, die Angriffsmaschine lief nicht wie gewohnt. Das hatte diesmal nichts mit Pech zu tun (höchstens der Teil, dass sie überhaupt in Rückstand geraten waren). Chelsea war unglaublich kompakt. Ich habe fast alle Barca Spiele gesehen diese Saison. Und es gab keinen einzigen Gegner, der ihnen so zugesetzt hat. Die körperliche Robustheit war allenthalben zu spüren. Das war nicht nur körperliche Robustheit sondern auch physische Stärke in Form von „Kraftausdauer“. Chelsea brachte nach jedem Ballverlust blitzschnell wieder alle Spieler hinter den Ball. Tolle Fitness ist dafür Voraussetzung. Nicht nur, dass sie nach Ballverlust hinter den Ball kamen, sie waren auch bei Ballbesitz sofort bereit, nach vorne zu marschieren und es brannte etliche Male lichterloh bei Barca in der Abwehr. Auch wenn ich platte Reportersprüche abgrundtief verachte. Einer ist hier anwendbar: die fehlende Abstimmung in der neu formierten Innenverteidigung war spürbar. Touré ist kein Innenverteidiger, selbst wenn ein toller Spieler.
Barca hat dennoch in der zweiten Halbzeit das Tempo noch einmal merklich angezogen, aber es gab wirklich kein Durchkommen. Viele Aktionen sahen sehr entschlossen aus, es wurde wieder blitzschnell nach vorne kombiniert. Aber die physische Präsenz der Verteidiger war schier undurchdringlich. Weder von dem wirklich später zu Höchstform auflaufenden Iniesta, noch von Messi. Man sah es richtig, dass beide, immer, wenn sie zu einem ihrer sonst unwiderstehlichen Dribblings ansetzten, regelrecht „abprallten“ an einer Wand von Spielern. Wie gesagt, die physische Präsenz war spürbar, aber selbstverständlich war diese gepaart mit einem hohen Maß an Klasse. Die Verteidiger waren wirklich allesamt hellwach und stets rechtzeitig zur Stelle, so dass auch die Körpertäuschungen und die unfassbar enge Ballführung der beiden Topakteure der Abwehr „nichts anhaben“ konnte. Trotzdem verweise ich spaßeshalber mal auf die Torschussbilanz: kurz vor Schluss war sie 13:10 pro Barca, dann kam noch das Tor, aber auch zumindest zwei Torschüsse von Chelsea, also gehe ich mal von 14:12 pro Barca, aus. Auch der Ballbesitz hat sich, trotz längerer Unterzahl, nicht drastisch verschoben, blieb bei über 60% Barca.
Man muss ihnen zumindest ein großes Kompliment dafür machen, dass die numerische Überlegenheit von Chelsea nicht zum Tragen kam; Barca war nach dem Platzverweis ähnlich gut wie davor, auch das bitte ich zu beachten.
Dennoch, alles in allem wäre bei so einem Spielverlauf nur Chelsea der verdiente Sieger gewesen. Entscheidend dafür aber vor allem die Elfmetersituationen. Es gab mindestens drei, die man definitiv mit Elfmeter ahnden musste. Deshalb hatte ich persönlich auch zu meinem Gesprächspartner während des Spiels gesagt, dass „der Schiedsrichter den Ausgleich nicht zulassen würde.“ Also selbst wenn der Ball irgendwann im Netz landen würde, würde er irgendeinen Haken an der Sache finden und das Tor einfach aberkennen.
Als dann Barca tatsächlich zum Ausgleich kam, konnte er einfach nichts machen. Das Tor war klar und eindeutig. Dennoch kann ich mich kein bisschen über so ein Ergebnis freuen. Ich habe zwar Geld gewonnen, aber das ist unter solchen Umständen für mich untergeordnet. Man muss es einfach so deutlich sagen: es war ein Skandal. Die drei bis vier abgelehnten Elfmeterforderungen von Chelsea könnte man alle noch verkraften, da sie zu diesem Zeitpunkt noch führten. Aber dass es in der Nachspielzeit noch zu einer weiteren Aktion kam, wo ein Torschuss, der tatsächlich sehr gut angesetzt war, sich auf dem Weg Richtung Tor befand, der Schiri direkt daneben stand, als der Ball dem im Weg befindlichen Etoo an die Hand ging (sei es der Arm; jedenfalls war die Flugrichtung des Balles eindeutig das Tor und es wurde eine klare Chance vereitelt), kann er einfach nicht durchgehen lassen, sofern er das geringste Gespür für Gerechtigkeit hat (wollte er das überhaupt haben?). Die vier Situationen vorher sind teilweise schon wirklich ein Witz. Für mich herausstechend dabei das Handspiel von Pique, der den glänzend um ihn herum gespielten Ball einfach mit der Hand abfängt; wer kann da von „unabsichtlich“ sprechen? Ein Hohn; abgesehen davon, dass es mich absolut nicht interessieren würde, weder als Schiri noch als Regelmacher, ob ein Tor „versehentlich mit der Hand verhindert wurde“ oder ob es „absichtlich verhindert wurde“. Es wäre ein Tor, die Hand ist ein unzulässiges Körperteil, um den Ball damit zu spielen, also Elfmeter, so oder so; abgesehen davon, wie ich schon vielfach betont habe: die Spieler wissen schon, was sie mit ihren Händen und Armen tun. Man kann sie aus dem Weg bewegen, sofern man Angst hat vor Elfmetern, oder man bewegt sie, so wie für mich total offensichtlich Etoo in der letzten Szene, in den Weg, weil man „nichts zu fürchten hat“; die Schiris und auch die Sprecher lassen stets Milde walten; „Nein, für mich unabsichtlich. Kein Elfmeter“.
Dass dann Ottmar Hitzfeld mit seiner Bemerkung anschließend dafür sorgt, dass die Schiris auch in Zukunft keinerlei Bedenken haben werden, keine Elfmeter zu geben, indem er sagte „Nein, er steht ja mit dem Rücken zum Schützen, Da kann er nichts dafür.“, bestätigt nur wieder eine meiner Grundthesen (die Schiris wollen keine Elfer geben, da es eine zu große Chancenverschiebung bewirkt, während ein nicht gegebener ja zunächst das Chancenverhältnis für den Spielausgang gleich hält). Aber in diesem Fall muss man von einem Skandal sprechen. Den letzten muss er geben, wegen der Vorgeschichte und wegen der sportlichen Gerechtigkeit. Die Chance war da, es wieder gut zu machen. Wenn er es jetzt nicht macht, dann muss man das Schlimmste befürchten. Ich sagte übrigens zu meinem Gesprächspartner schon lange vorher während des Spiels: „Barca kann nicht weiterkommen. Das kann der Schiri nicht machen, sonst kommt er nicht heil aus dem Stadion.“ Allerdings schränkte ich selber gleich ein, dass er es sich in Chelsea vielleicht als einzigem englischen Team oder Stadion noch leisten könnte, weil es dort ein gesittetes Publikum gibt.
Auffällig für mich, bereits über die ganze Saison, dass regelmäßig Dani Alves ein Totalausfall ist. Er darf immer spielen, na gut. Aber dass er immer wieder die Standards ausführen darf, das ist einfach grotesk. Von 100 seiner Standards bringt nicht einmal eine einzige Torgefahr. Außerdem landen von drei Flanken zwei hinterm Tor, die dritte kann man nicht bekommen (er hat ausgerechnet in diesem Spiel aber ausnahmsweise mal zwei halbwegs gute Flanken geschlagen). Aber das genügt noch nicht: Die Bemerkung „er ist ins Kombinationsspiel nicht eingebunden“ wäre total verfehlt. Es ist leider anders: „Jede Kombination, in welcher der Ball bei Alves landet ist abrupt beendet.“ Er schlägt den Ball ständig unkontrolliert quer übers Feld, in der Hoffnung, dass sich irgendwo da ein Mitspieler befinden könnte. Leider gibt es dabei zwei Probleme: falls er eine Richtung planen sollte, wo er einen Mitspieler sieht, so setzen die Füße den Gedanken nicht um. Zumeist ist er aber zu sehr mit der Ballkontrolle beschäftigt und sieht gar nicht mal, wo er hinspielt, Die Auswirkung ist leider in beiden Fällen dieselbe: der Ball ist weg. Für mich sowohl unfassbar, dass die Mitspieler ihm den Ball noch geben, als auch, dass der Trainer ihn immer wieder durchspielen lässt. Und mit den Standards, das muss wohl in seinem Vertrag stehen. Denn selbst Viktor Valdez, der Torwart, würde einen besseren Freistoss spielen können als er.
Kurios dabei übrigens auch noch: Alves Leistung selber wird nie beurteilt. Weder von den Spanischen Kommentatoren (die ich natürlich stets wegen Unerträglichkeit der Deutschen einschalte bei allen Barca Spielen auf Premiere), noch von den, natürlich absolut unwissenden, deutschen Kommentatoren. Er ist am Ball, der Ball ist weg. Es heißt nur „Alves, Alves…“ und dann wird der Gegenangriff kommentiert. Dass es eventuell gerade eben der 17. Ballverlust war, scheint niemandem aufzufallen. Ich würde sofort und mit jedem (Alves-Fan meinetwegen) ein beliebiges Barca Spiel herauspicken und alle Situationen durchgehen, um mir meiner eigenen Verblendung bewusst zu werden.
Abschließend gesagt: ich habe mich vertan, meine Einschätzung der Überlegenheit von Barca war, trotz gewisser Ansätze einer Bestätigung, was Gesamttorschüsse und Ballbesitz, Eckenverhältnis über beide Spiele angeht, aber dennoch, rein gefühlsmäßig, zu hoch, um meine Wetten wirklich und nachweislich gut zu machen. Bei der Qualität von Chelsea sind 70% Weiterkommen Barca zu viel. Auch dabei schränke ich ein: es kann auch im Hinspiel passieren, dass Barca ein frühes Tor macht (es genügt auch die 44. oder so), dass einer, so wie Essien, einen Ball mal zufällig ganz perfekt trifft, er einfach mal einschlägt (und wenn eine Mannschaft wenig Glück für so ein Ereignis braucht, dann ist es Barcelona). Und dann möchte ich mal die zweite Hälfte oder auch das Rückspiel sehen. So hatte Chelsea praktisch vom Spielstand her immer ihr Wunschergebnis und musste nie etwas machen. Auch das Rückspiel würde ich gerne noch einmal sehen ohne diesen Sonntagsschuss.
Da kann das ganze Spiel total anders verlaufen. Wie Christoph Daum einmal völlig richtig bemerkte, und dennoch dafür jede Menge Hohn und Spott erntete: „Tore sind für den Spielverlauf sehr wichtig.“ Es stimmt einfach. Der ganze Charakter eines Spiels wird durch ein Tor, und das nicht nur in der Champions League, verändert.
3. Brainstorming Fußball
Brainstorming Fußball
Allgemein
– Die „Rettung“ des Fußballs
– Fußball ist reiner Fansport. Verlust der neutralen Zuschauer
– Mehr Tore – mehr Attraktivität
– Wo fängt man an? Großkonzept: Medien, Fans, Regeln, Schiedsrichter, Spieler
– Gerechtigkeit muss groß geschrieben werden
– Folge von Ungerechtigkeiten: Ausschreitungen, Aggressionen
– Die Rolle der Medien
– Die Mentalität „Fußball ist ein reiner Ergebnissport“ ist zu überdenken
– Fußball als Spektakel, Vergleich mit amerikanischen Sportarten
– Die Fußball Regeln
– Die Anwendung der Regeln
– Die Auslegung der Regeln
– Die Schiedsrichter
– Umdenkprozess: Jeder, außer ein paar Fans der betroffenen Mannschaft, möchte die Toraktion sehen und keinen Pfiff hören
– Die Berichterstattung speziell in Deutschland
– Vergleich mit ausländischer Berichterstattung
– spezielle Regeländerungsvorschläge
Fußball und Wetten
– Ist der Fußball berechenbar?
– Ja, und zwar so berechenbar. Eine mathematische Zahl als Maß der Berechenbarkeit
– Wie wird gewettet, wie entsteht eine Quote, eine Einschätzung
– Basis: Wahrscheinlichkeiten. Für alle möglichen Spielausgänge, alle Spiel relevanten Parameter
– Der Wettmarkt
– Umsetzung in ein Computer Programm
– Der Einsatz der Software am Wettmarkt, Beweisführung, finanziell und mathematisch
– Prüfung der Qualität von Vorhersagen
– Tipmaster
– Wettforen
Sportsendung über Fußball und Wetten
Paulis heile Fußballwelt
– Nachbetrachtung eines Spieltages
– Die Spiele auf die tatsächlich gezeigten Leistungen hin analysieren
– „Verdient, weil das Tor erzielt“ ist wertlos, nicht nur für Wetter
– Schiedsrichterentscheidungen, in Tiefe anschauen, viel Psychologie
– Vorschau auf den kommenden Spieltag
– Was „denkt“ der Wettmarkt, wie reagiert er?
– Was sagt der Computer?
– Wo könnten die guten Tipps sein?
– Langzeitwettenanalyse: Chancenverteilung aller Mannschaften
– Aufsteig-Abstieg-Meisterschaft-Europapokaleinzug
Historischer Rückblick
Deutschland bei den großen Turnieren
– alle großen Turniere von 1966 bis 2008 im Rückblick
– spezielle Sicht von Deutschlands Auftritten, Glücksaspekte, Auslandssicht
– spezielle Sicht des professionellen Spielers
– ganz besondere Spiele/Erinnerungen
– hohe Gewinne/Verluste
– Objektivität des professionellen Spielers
Die Berechnung der Weltmeisterschaft 2010
– Spielstärkeeinschätzungen
– Anpassung der vorhandenen durch Spieleranalyse
– Jeder Aktive wird mit der Spielstärke seiner Vereinsmannschaft eingestuft
– Erklärung der Programmierung, Regeln und Vorgaben
– Simulation als Basis für Wahrscheinlichkeitseinschätzungen
– Vergleich mit dem Wettmarkt
– Des Computers Wettvorschläge, gut erläutert
4. Der moderne Fußball
Der moderne Fußball
Es gibt zwei Dinge, die für bemerkenswert oder auch verbesserungswürdig erachtet werden am heutigen Fußball, die hier zur Diskussion gestellt werden sollen. Das eine ist ein weltweites Problem, das anders ist ein speziell deutsches Problem. Das erste Problem hat etwas mit den Regeln des Fußballs beziehungsweise deren aktueller Anwendung und Auslegung, das andere, das rein deutsche, etwas mit der Art der Berichterstattung zu tun.
Beide Probleme sollen hier einmal ganz kurz und prägnant zusammengefasst werden. Detaillierte Ausführungen darüber sind anderen Abschnitten zu entnehmen. Einer Diskussion darüber würde man jederzeit mit Freude entgegensehen und sich ihr stellen.
1) Die Regeln, deren Anwendung und deren Auslegung
a. Die Grundthese
Zunächst mal die sicher gewagte Grundthese. Die aufkeimende Ablehnung, bereits von Leserseite spürbar, kann dieser nur auf eine Art „überwinden“: Weiterlesen. Das ist klar und dieselbe steht dem Erkennen der Problematik im Wege. Dennoch hier die Bitte darum. Zuerst kurz Freimachen von „Vorurteilen“ und einfach lauschen.
Die Grundthese ist die, dass die Schiedsrichter ihre Entscheidungen nicht anhand des vorliegenden Regelwerks treffen, welches ihnen im Prinzip eine Einschätzung der einzelnen Szene liefern müsste, welche Aktion ahndungswürdig, verboten, gelbwürdig, platzverweisverdächtig oder unfair und anderweitig strafbar ist, und welche nicht ahndungswürdig ist, korrekt, den Regeln entsprechend, selbst wenn die Betroffenen, die auf dem Platz stehenden, permanent etwas fordern, natürlich meist zu ihren Gunsten. Dazu gibt es eine Ausbildung, den Fußballverstand und die Regeln selber. Dennoch sieht es in der Praxis anders aus: Die Behauptung lautet: Der Ort auf dem Spielfeld, wo die Szene stattfindet, ist für die Beurteilung, ob Vergehen oder nicht und wenn, für welche Partei, Ausschlag gebend. Das hört sich vielleicht kompliziert an, ist es aber nicht wirklich, wie im Folgenden erläutert.
Die weiterhin oder „jetzt erst recht“ bestehenden Zweifel an dieser These können nur zunächst argumentativ bekämpft werden. Es gibt dafür zwei Ansätze: der eine ist der, der ein praktisches Experiment zur Verifizierung anbietet, der andere ist der, einfach gewisse Spielsituationen zu schildern, bei denen das Verhalten offensichtlich wird, und man fordert dazu auf, sich diese vor Augen zu halten. Zusätzlich kann man, sowohl nach dem Verständnis, aber auch schon zuvor, nach den Ursachen für dieses beobachtet Verhalten, für diese Art der Schiedsrichterentscheidungsfindung forschen. Der Vorteil, wenn man zunächst die Ursachen erkennt besteht darin, dass es anschließend bei der Beurteilung, ob die These „wahr“ oder „falsch“ ist wesentlich leichter fällt, sie als „wahr“ einzustufen, sowie einem das Verhalten erklärbar ist. Falls es einen Sinn ergäbe, wäre man eh fein raus – das gilt natürlich auch für den Autoren.
An dieser Stelle ist man gefordert, einen Weg zu wählen, der den Leser bei der Stange hält und der das Beobachtete, zu Beweisende dennoch logisch aufbereitet. Man kann nicht beide Wege gleichzeitig gehen. Also soll zunächst mal das Experiment vorgestellt werden, mit dem man den Schiedsrichtern „auf die Schliche“ kommen kann, welches sie eindeutig entlarvt, dass die These Gültigkeit besitzt.
Das praktische Experiment sieht so aus: man schneidet ein paar beliebige Szenen zusammen. Damit es nicht nach „Manipulation“ aussieht, wird von den Teilnehmern am Experiment – welche am besten Schiedsrichter zu sein hätten — ein bestimmter Spieltag vorausgewählt. Dann isoliert man einige kritische Spielsituationen, indem die Linien, Zuschauer, anderen Mitspieler „wegretouchiert“ werden – man soll also nur die Aktion sehen, nicht die Position auf dem Spielfeld, keine Mitspielerreaktionen, keine Linien, keine Zuschauer, keine Tore, nur die reine Spielszene, in welcher eine Entscheidung zu treffen wäre oder eine getroffen wurde (es können sowohl geahndete „Vergehen“ als auch ungeahndete, aber diskussionswürdige darunter sein). Anschließend spielt man diese so erstellten Szenen den Teilnehmern am Experiment vor, die dann jeweils diese Aktion als „Foul oder Nicht-Foul“ beurteilen mögen, auch Handspiel oder Nicht-Handspiel könnte man dabei aufnehmen.
Das Ergebnis würde dann bereits nach einigen Szenen ziemlich eindeutig ausfallen und zwar in der Form: In einer Szene würden die Spielleiter — sicherlich um Objektivität bemüht — eine Szene sehen, die sie allesamt klar als „Foulspiel“ beurteilten. Bei Betrachtung der Gesamtszene würden sie dann aber feststellen dass a) der Schiri in dem Spiel nicht gepfiffen hat und b) dass sie, einmal für das Urteil „Foul“ ausgesprochen, damit eindeutig auf „Elfmeter“ entscheiden müssten, da sich diese spezielle Szene im Strafraum in der Form „Abwehrspieler an Angreifer“ ereignete.
In der zweiten Szene würden die Männer in Schwarz dann einhellig für „Nicht-Foul“ votieren. Bedauerlicherweise aber bei Ansicht der gesamten Szene feststellen, dass der Pfeifenmann in dem Spiel doch auf „Foulspiel“ entschieden hat, und zwar diesmal in der umgekehrten Version „Angreifer an Abwehrspieler“. Dazu noch hat der angeblich Foulende die gelbe Karte, nach einhelliger Ansicht – in der gerade stattfindenden Nachbetrachtung — aber für nichts, erhalten.
Also nach zwei Szenen würden die Spielleiter flüchten, einstimmig auf „ich kann es nur bei Ansicht der Gesamtsituation beurteilen“ (und damit der These entsprechend die Lokalität mit einbeziehen müssten) oder eventuell doch wirklich die einzige logische Schlussfolgerung ziehen: die These ist berechtigt. Das Urteil über Foul oder nicht Foul wird anhand des Ortes, wo sie stattfindet, beurteilt, nicht aber anhand des tatsächlichen Vergehens.
Natürlich kann man sich die gleiche Aussage über Handspiel erlauben: Ein Angreifer, der den Ball mit der Brust oder Schulter herunternimmt und in Schussposition gelangt wird sehr gerne mal zurückgepfiffen und ihm ein „Handspiel“ unterstellt. Ein Verteidiger kann, auch die gefährlichsten Flanken oder Schüsse, insbesondere das Ganze mitten im Strafraum, klar und für Jedermann erkennbar mit der Hand aufhalten, abfangen, klären und stets wird das Urteil lauten: Kein Handspiel, unabsichtlich, angeschossen, was auch immer, aber vor allem: weiterspielen.
An anschaulichen Szenen, zur weiteren beziehungsweise alternativen Annäherung an das Verständnis des Problems, wäre noch jede Menge mehr anzubieten. Beispiele gefällig? Gut, hier, aber wirklich nur zwei:
Der Torhüterschutz im Fünfmeterraum.
Ein Torhüter stürzt sich sehr häufig durch den reichlich „besetzten“ Fünfmeterraum, in der Absicht, einen Flankenball abzufangen. Der Fünfer ist aber für gewöhnlich nicht ausschließlich mit gegnerischen Spielern bevölkert, sondern es befinden sich, zumeist sogar noch mehr, eigene Spieler „im Wege“. Der Torhüter räumt diese, eigene und fremde, kompromisslos ab. Sollte ihm aber das Missgeschick unterlaufen, dass er den Ball am Ende nicht in den Händen hält – er lässt ihn fallen – so wird stets und ausschließlich auf „Freistoß“ und zwar zugunsten des Torhüters entschieden. Selbst wenn, wie man im Anschluss oft genug gesichert erkennen kann, für das Fallenlassen des Ballen. falls überhaupt irgendein Spieler, so sehr oft auch ein eigener verantwortlich war. Und nicht genug damit: dieser weitaus übertriebene Torhüterschutz gilt längst auch beliebig weit außerhalb des Fünfers. So ist die Praxis. Der Ball fällt dem Torhüter herunter, der Schiedsrichter pfeift ab – zu seinen Gunsten.
Als weiters Beispiel könnte man schlicht und einfach auf die Abseitsentscheidungen verweisen, die, laut Regel, angeblich „im Zweifel für den Angreifer“ ausfallen sollen. Praktisch sieht aber fast jede kritische Abseitssituation so aus, dass zunächst mal die Fahne gehoben wird. Somit wird auf Abseits entschieden. Dann wird intensiv die Zeitlupe studiert. Angesichts dieser Bilder stellt man zu 50% fest, dass der Assistent die Fahne zu Unrecht gehoben hat. In den anderen Fällen aber heißt es: „Ganz knapp, aber wohl richtig. Da hat der Mann aber ein gutes Auge gehabt.“ Nur: es hat definitiv nichts mit der Qualität der Augen zu tun. Die Fahne ist immer oben, anschließend könnt ihr ja diskutieren, ob zu Recht oder zu Unrecht. Für mich erübrigt sich da jede Diskussion. Sowohl die über „Augenqualität“ als auch die über die Regeln selber und nicht zuletzt jene über „Regelauslegung“. Denn diese ist eindeutig: bei oben beschriebener These sowie hier jetzt auch, es gilt generell: es wird generell zu Ungunsten der Angreifer ausgelegt.
5. Deutschland bei großen Turnieren
Deutschlands Geschichte bei den großen Turnieren
Früher oder später muss ich dieses Beobachten und Erleben ohnehin einmal loswerden. Warum also nicht jetzt und hier?
Dabei ist diese Betrachtung hier, wie ich hoffen darf, eine sehr individuelle und fördert auf diese Art Erkenntnisse zutage, die so noch nicht gewonnen wurden. Es geht dabei auch eine ganze Menge um Glück und Pech. Es ist sowohl eine historische Betrachtung als auch eine philosophische, weiterhin aber eine biographische. Ich lasse nichts aus und füge nichts hinzu. Dabei möchte ich nur aus der Erinnerung plaudern. Falls sich dabei Verfälschungen ergeben, bitte ich, großzügig darüber hinwegzusehen. Die einzige Alternative, richtige Ergebnisse nachzulesen könnte dazu führen, dass die Authentizität leidet. Man schreibt etwas hin, weil man es nachgelesen hat und nicht, weil man sich daran erinnert. Das ist hier nicht erwünscht. Es soll ein Erlebnisbericht sein, sagen wir, ein Erlebniskettenbericht…
1) Die Fußball Weltmeisterschaft 1966
Ich war bei diesem Turnier 7 Jahre alt. Und es war mit Sicherheit prägend für meinen weiteren Lebenslauf. Diese Faszination, die allein schon von dem Begriff „Weltmeisterschaft“ ausgelöst wurde! Spieler aus allen Ländern der Welt, aber dazu noch die besten. Dennoch habe ich mich am Fußballvirus bereits ein paar Wochen vorher infiziert.
München 1860 war Deutscher Meister durch einen 1. Platz in der Bundesliga geworden. Ich hatte mit meinem Vater in der Sportschau das entscheidende Spiel Borussia Dortmund gegen München 60 verfolgt. Er wollte mir weismachen, dass der Sieger zwar Deutscher Meister wäre, es aber dennoch kein Endspiel wäre. Und obwohl 1860 das Spiel mit 2:0 gewann und tatsächlich die Meisterschaft eingefahren hatte, bin ich heute geneigt, meinem Vater zu glauben…
Danach hatte ich das große Vergnügen, das Endspiel um den Europapokal der Pokalsieger mitzuverfolgen, welches Borussia Dortmund tatsächlich in der Verlängerung durch das legendäre Tor von Stan Libuda aus 40 Metern mit 2:1 gewann. Als ich meinem Vater viele Jahre später genau dieses Spiel auf Video mitbrachte und wir es gemeinsam anschauten, mussten wir feststellen, dass es dort nur einen Sieger hätte geben sollen: FC Liverpool. Sie waren die gesamte Spielzeit über die bessere Mannschaft. Der Sieg der Dortmunder war überaus glücklich. Nur: Als Deutscher gewöhnt man sich recht bald daran, dass man sich darauf auch verlassen kann, wie mir scheint…
Dann habe ich das Buch von dem legendären Torwart der Münchener Löwen, Petar Radenkovic, geschenkt bekommen. „Bin i Radi, bin i König.“ Er hat das sogar als Lied vorgetragen. Und Sepp Maier, den Torhüter der allmählich übermächtig werdenden lokalen Konkurrenz des FC Bayern München, die in diesem Jahr 1966 als Aufsteiger hinter 60 und Dortmund einen sensationellen 3. Platz belegt hatten, eines Tages zu dem Konter eingeladen: „Bin i Radi, bin i Depp. König ist der Maier Sepp.“ Ich wollte jedenfalls Torwart werden und auch solche Paraden und solche Ausflüge wie Radi machen, welcher, laut diesem Buch damals, in der Saison über 140 davon gemacht haben soll, bei denen er seinen Strafraum verließ. Er war eigentlich Stürmer im damals noch traditionell schwarzen Schafspelz der Torhüter, wenn man so will.
Das WM-Turnier begann wie üblich im Sommer. Und wie immer hatten wir eine Sommerreise geplant. Es sollte wieder nach Dänemark, Schweden Norwegen gehen. Die Sommer im Süden waren einfach zu heiß. Nun gut, als Kind freut man sich auf eine solche Reise, das ist klar. Dennoch gab es schon kleinere Bedenken meinerseits. So viel Fußball und nicht schauen können?
Das Eröffnungsspiel lautete England – Uruguay. England war Ausrichter. Noch nie zuvor hatte ich mit solcher Spannung ein Spiel erwartet. Und obwohl die Eröffnungsfeierlichkeiten damals noch recht schlicht abgehalten wurden, wurde ich allmählich unruhig. Wann geht es nun endlich los? Dann kam auch noch eine ewige Aufwärmphase, wo ich zwar all die großen Kicker sehen durfte, aber sie spielten sich den Ball nur so zum Spaß ein wenig zu. Das hätte ich auch noch hinbekommen. Und das Torwart-Aufwärmen sah so aus: Er bekam bestimmt 50 Bälle aus nächster Nähe, aber allesamt direkt auf ihn gezielt, noch dazu in fangsicherer Höhe, zugespielt. Ich wollte richtige Flugparaden sehen, wo der Ball aus dem Winkel gekratzt wird. So wie Radi eben.
Endlich ging das Spiel los. Ich erinnere mich noch gut, aber dennoch schemenhaft. Das liegt aber nicht an meinem mangelhaften Erinnerungsvermögen, sondern vielmehr daran, dass es nur schwarz-weiße Bilder mit der ständig zu justierenden Zimmerantenne auf einem müden alten Fernseher eingefangen gab. Im Spiel passierte nichts. Es war total langweilig. Nicht mal ein Torschuss, eine Parade. Das Spiel endete mit 0:0. Gut, dachte ich mir, Deutschland spielt ja auch noch nicht. Die werden denen schon zeigen…
Am nächsten Tag die Abfahrt. Da wir Verwandte in Hamburg und auch eher noch ein schmales Budget hatten, ging die Fahrt dort vorbei, inklusive zwei oder drei Übernachtungen, was für uns Kinder (drei je Familie) immer ein besonderes Highlight war. Schlafen auf dem Dachboden und von dort oben Blick auf die Elbe mit den ständig passierenden riesigen Dampfern, welche am Willkomm Höft hörbar (sie wohnten in Wedel) begrüßt wurden. Ein Genuss für Seemänner wie uns.
Am späten Nachmittag dann das erste Spiel der Deutschen. Der Gegner war die Schweiz, eher ein Aufbaugegner. Mein Vater erkannte meine Leidenschaft und machte sich mit mir auf den Weg, um einen bei der Familie noch nicht vorhandenen Fernseher in einer Kneipe zu finden. Bestens kann ich mich noch erinnern, wie ich mich als Kind gewundert habe, warum wir in Hamburg eine Kneipe fanden, in der dab, also Bier der Dortmunder Aktienbrauerei verkauft wurde? Damit musste und konnte ich aber gut leben. Bier schmeckte eh nicht…
Wir fanden einen guten Platz und durften erstmals die Deutsche Mannschaft bewundern. Beste Erinnerung habe ich noch an Helmut Haller und Siggi Held in dem Spiel. Waren sie die ersten beiden Torschützen? Jedenfalls hat Helmut Haller den der deutschen Mannschaft zugesprochenen Elfmeter irregulär lange verzögert und gewartet, bis der Schweizer Torhüter Elsner sich für eine Ecke entschied und den Ball dann locker in die andere geschoben. Das Spiel endete 5:0. Irgendwie ging mir das beinahe zu einfach. Deutschland als Weltmacht? Natürlich befragte ich meinen Vater auch nach dem legendären Triumph der Deutschen 12 Jahre zuvor und wie er ihn erlebt hatte.
Wir konnten dort noch ein paar Tage später das unsägliche Spiel Deutschland – Argentinien verfolgen. was, durch die rosarote Brille der Deutschen betrachtet aufgrund der Unfairness des Gegners auch nur einen Sieger verdient hätte. Der Platzverweis von Rattin ist mir so gut in Erinnerung wie die späteren Spielverzögerungen. Aber „uns Uwe“, Uwe Seeler, war auch wirklich ein feiner Sportsmann. Man hatte gute Gründe, auch so den Deutschen „viel Glück“ zu wünschen. Das Spiel endete mit einem 0:0.
Das letzte Gruppenspiel gegen Spanien stand an. Wir befanden uns auf einem Zeltplatz, nach meiner Erinnerung in Bergen, Norwegen. Irgendwo in einem Nachbarzelt gab es etwas so exklusives wie ein Radio. Alle paar Minuten ging ich hin, um zumindest den Spielstand zu erfragen. Deutschland lag früh zurück. Das könnte das Aus bedeuten! Aber alsbald erzielte Lothar Emmerich das sagenhafte Tor aus spitzem Winkel, als der den Ball unter die Latte hämmerte. Und als Uwe Seeler dann in der 81. Minute das 2:1 erzielte, stand dem Weiterkommen, sogar als Gruppensieger, nichts mehr im Wege.
Ein Schockereignis traf mich noch wirklich tief und ich wusste zu der Zeit noch nichts von dem berühmten „Bild-Zeitungs Niveau“. Wir erhielten im Ausland die Bild-Zeitung, wenn auch mit einem Tag Verzögerung. Und man musste nicht einmal aufschlagen, um die folgenden Horrormeldung zu lesen. Man muss dazu noch wissen, dass es eine wirkliche Legende gab, die in aller Munde war und sogar den berühmten Sammelalben damals eine Extra Mannschaft einbrachte. Den FC Santos mit dem göttlichen Pele. Hier die Meldung: „PELE IST TOT“.
Ich war geschockt, als ich das las. Er wurde auf dem Bild auch vom Platz getragen. Mein Vater beruhigte mich sofort und meinte, er wäre nur verletzt worden. Aber so schwer, dass er nicht mehr weiter spielen konnte. Dadurch hat Brasilien, bei der damals noch angewandten Regel, dass keine Spieler ausgewechselt werden durften, das zweite und dritte Gruppenspiel mit 1:3 verloren (Portugal und Ungarn) und war ausgeschieden. Der amtierende Weltmeister! Über die Größe der von mir damals empfundenen Ungerechtigkeit (ich sah in spätern Bildern sogar den schwer verletzten Pele noch in dem Spiel über den Platz humpeln) muss ich nicht weiter sprechen. Gigantisch!
Deutschland war weiter, Brasilien raus. Sollte das etwa eine besondere Bedeutung für die Zukunft haben? Immer wieder Deutschland, Deutschland, über alles. Auch über Brasilien. Und wer wagt schon zu behaupten, dass Deutschland damals besser war als Brasilien? Es war nur eine Ungerechtigkeit. Zur Freude der Deutschen, zum Schaden der Brasilianer.
Das Viertelfinale stand an. Wir waren irgendwo in Dänemark oder Schweden denke ich. Man bekam keinerlei aktuelle Informationen. Wie mein Vater das als bekennender Fußballfan ausgehalten hat? Für mich bis heute ein Rätsel. Wir erfuhren nur, dass Deutschland Uruguay mit 4:0 besiegt hatte. Ein scheinbar einfacher Sieg, zumal die Urus zwei Spieler durch Platzverweis verloren. Wie ich viel später erfuhr, war auch dieser Sieg wesentlich weniger eindeutig, als es das Ergebnis vermuten lässt.
Übertrieben auffällig an den Viertelfinalspielen war nicht einmal die Paarung Deutschland – Uruguay, höchstens hierzulande. Das besondere Spiel war die Paarung Portugal – Nordkorea. Portugal hatte einen zu der Zeit überragenden Eusebio in seinen Reihen, welcher auch Torschützenkönig bei dieser WM wurde. Nun, wie immer man gedacht haben mag über einen Sieg von Nordkorea gegen Italien und die Größe dieser Sensation – es war ein 1:0, was bei den torarmen Spielen der Italiener „schon mal passieren kann“. Aber eine 3:0 Führung in der ersten Halbzeit gegen Portugal – das wäre sicher ins Reich der Fabel verwiesen worden, falls sich nicht die Realität zu Wort gemeldet hätte. Dass die Portugiesen dann aber dieses Spiel noch drehen konnten und mit 5:3 ins Halbfinale gelangten, erscheint beinahe noch unwahrscheinlicher, oder nimmt man das dann einfach so hin? Italien braucht gegen Nordkorea einen Punkt, dafür ein Tor nach Rückstand, zum Weiterkommen und schafft das nicht. Portugal braucht in etwas mehr als einer Halbzeit mindestens vier Tore gegen den gleichen Gegner. Es war der Verdienst von Eusebio, der vor allem dank seiner Tore in diesem Spiel Torschützenkönig wurde und zugleich in seinem Land Heldenstatus erlangte.
Auch das Halbfinale gegen die Sowjetunion konnten wir nicht live verfolgen. Wieder einmal hieß der Sieger Deutschland. Mit einem 2:1. Hätte man das Spiel auch verlieren können? Für mich damals keine Frage: Nein! Aber wie weiter oben schon erwähnt: Als Deutscher ist es relativ einfach, sich an diese kleinen und auch größeren Portionen des Glücks zu gewöhnen. Deutschland gewinnt eben. Ob sie besser sind oder waren oder nicht, spielt keine entscheidende Rolle. Ich nahm das hin, war begeistert. Deutschland im WM-Finale!
Zum Finale musste es jetzt eine Lösung geben. Das Spiel musste ich einfach Live verfolgen können. Und mein Vater fand sie. Wir waren mittlerweile auf Hamburg Ö, einer winzigen Insel in den schwedischen Schären. Es gab aber dort einen Zeltplatz und einen Verkaufsstand mit einem Lokal daran. Und einer der Anwohner schleppte zu dem Großereignis einen Fernseher an, der tatsächlich Empfang hatte! Nun standen wir etwa in 22. Reihe und starrten auf einen winzigen Monitor mit Schwarz-Weiß Bildern in damaliger Bildqualität. Nebenbei musste die Antenne immer wieder, wie damals üblich, justiert werden, wenn das Bild auszufallen drohte. Ein Hochgenuss also für jeden Fußballfan! Ich war schon wieder begeistert.
Die Deutschen gingen sogar in Führung. 1:0, durch Haller, 11. Minute, schätze ich. Doch dann kamen Peters und Hurst, und drehten das Spiel zugunsten der Engländer. 2:1. Die Euphorie war verflogen und durch Hoffen, Zittern und Bangen ersetzt worden. Die letzte Minute lief. Wolfgang Weber, Verteidiger, schaltete sich mit in den Angriff ein. Und tatsächlich kam er mit dem langen Bein am langen Pfosten an den Ball und drückte ihn über die Linie. Der Ausgleich in letzter Sekunde! War das schon wieder selbstverständlich? Wie wären die nachfolgenden Diskussionen über das legendäre Wembley-Tor verlaufen, wenn einfach nur dieser letzte Angriff abgewehrt worden wäre? England wäre Weltmeister gewesen. Und das verdient.
So kam es zur Verlängerung. Und zu dem noch berühmteren Schuss, der bis heute sowohl die englischen als auch die deutschen Gemüter, wenn nicht gar weltweite, bewegt. Hurst aus der Drehung, an die Unterlatte, auf, vor, hinter, die Torlinie und Wolfgang Weber köpft ihn ins Aus. Schiedsrichter Dienst befand sofort: Kein Tor. Aber der Linienrichter, zu dessen besonderen Ehren sogar ein Stadion in Aserbaidschan oder wo das ist benannt wurde, Tofik Bakhramov, winkte wild an der Seitenlinie. Schiedsrichter Dienst eilte zu ihm. Der Verräter behauptete einfach, der Ball wäre drin gewesen. Der Schiedsrichter korrigierte seine Entscheidung und befand auf Tor. Das 3:2. Als in der letzten Minute der Verlängerung bereits ein Haufen von Zuschauern das Feld stürmten und so einfach England zum Weltmeister bestimmen wollten, lief wieder Hurst alleine durch und erzielte noch das 4.2. Sicher, inkorrekt, irregulär, aber es spielte jetzt keine Rolle mehr, Den Ausgleich hätten die Deutschen nicht mehr geschafft. Oder?
Uwe Seeler verließ den Platz unter Tränen, musste gestützt und getröstet werden. Aber auch ich konnte mich nicht zurückhalten. Tja, ein Mal, dieses Mal, ging nicht ALLES zugunsten der Deutschen aus. Aber das hier, anstelle der Deutschen, auch Brasilien, Italien (die in der Vorrunde mit 0:1 gegen Nordkorea durch Pak Do Ik {alles Quizfragenwissen} ausschieden), Uruguay, die Sowjetunion, Spanien oder Portugal hätte stehen können, die für den Moment sicher gerne mit den Deutschen getauscht hätten, dass Deutschland das Ausgleichstor in der letzten Minute auch NICHT hätte erzielen können, dass, wenn das Tor zum 3:2 (wohl berechtigterweise) nicht gegeben worden wäre, der Sieger noch lange nicht Deutschland geheißen hätte, wie die Aussage „wir wurden verpfiffen“ vermuten lassen würde, all das wird hierzulande gerne vergessen. Ein tragischer Verlust durch eine Himmel schreiende Ungerechtigkeit. So das Empfinden eines jeden Deutschen. Ich selber brauchte auch beinahe Jahrzehnte, um das zu verstehen. Was? Dass irgendwo Glücksgene verteilt werden. Und diese nicht unbedingt ganz gerecht…
2) Die Fußballweltmeisterschaft 1970 in Mexico
Möglicherweise war genau mit meinen damals 11 Jahren der Höhepunkt meiner Fußballleidenschaft erreicht. Ich selber spielte jeden Tag, draußen bei uns im Hundepark. Und wenn alle Kinder im Schwimmbad waren oder winters zu Hause hinter dem warmen Ofen saßen (sei es auch davor gewesen): Klein Pauli war im Park. Alleine hatte ich die Übung „wie oft kann ich den Ball hochhalten?“ im Dauerprogramm. Und immerhin bescherte mir das den inoffiziellen Titel des Jongliermeisters im Fußballverein. Dass ich später im Alter von 38 Jahren noch einen persönlichen Rekord, diesen auch noch auf der kleinen Badewiese in Kladow, zwischen zahlreichen Handtüchern und kreischenden Kindern hindurch, auf unebenem Untergrund und dazu noch bergauf und bergab von 1463 Mal erzielte, muss ich hier einfach mal in einem beispiellosen Akt der Selbstbeweihräucherung loswerden. Dazu hatte ich die komplette „Fußballliteratur“ aus der Stadtbücherei mindestens zwei Mal durch, die Sammelalben waren gefüllt, die Fußball-Woche wurde nicht nur nach dem Wochenende gelesen, sondern jahrgangsweise gesammelt und später immer wieder durchgelesen, man könnte auch sagen „studiert“. Der Spitzname „das wandelnde Fußballlexikon“ war ein beinahe zwangsläufig mir angedichtetes Nebenprodukt.
So war ich also gespannt wie der berühmte Flitzebogen, als diese WM ins Haus stand. Es gab zwar zahlreiche positive Aspekte, jedoch auch einen besonderen Nachteil: Viele Spiele fanden aufgrund der Zeitverschiebung nachts statt. Glücklicherweise nicht die der Deutschen, das aber nur bis…
So hatte ich das große Glück, den ersten Auftritt der deutschen Mannschaft in den angenehm kühlen Abendstunden anschauen zu dürfen, während die deutschen Spieler (allerdings zugegebenermaßen auch deren Gegner) in der mexikanischen Mittagshitze schwitzen mussten. Das erste Spiel gegen Marokko begann. Und die Deutschen gerieten in Rückstand. 0:1. Dass sie das Spiel dann noch zum 2:1 drehten und nicht etwa wie Italien vier Jahre zuvor einfach mal so ein Spiel verlieren und ausscheiden, würde jeder Deutsche wie selbstverständlich mit „die Deutschen sind eine Turniermannschaft“ oder „immer, wenn’s drauf ankommt, sind sie da“ oder auch mit „Deutschland über alles“ aber jedenfalls niemals mit „da haben sie aber Glück gehabt“ quittieren. Es bleibt dabei: Selbst wenn sie vor dem Spiel 80% Favorit waren, dann haben sie immer noch für die verbleibenden 20%, die sie zum Sieger gemacht haben, Glück gehabt. Dass der Gegner zur Realisierung seiner Chancen 80% Glück gebraucht hätte, und damit wesentlich seltener seine Chance realisiert, verändert nichts. 20% Glück waren erforderlich. Nur glaube ich nicht einmal, dass sie auf 80% kamen. Als 11-jähriger macht man sich aber noch nicht derartige Gedanken. Deutschland hat gewonnen, auch wenn man spürte, dass es knapp war.
Das nächste Spiel war ein Hochgenuss. Deutschland bekam es mit Bulgarien zu tun. Obwohl Reinhard Libuda ebenfalls nur das Plagiat des berühmten Stanley Matthews war, dem ehemaligen Rechtsaußen von Manchester United, welcher nicht nur den Trick kreierte – nach innen antäuschen, außen vorbeigehen – und zur Perfektion umsetzte, und der sogar ob seiner Verdienste in England zum Ritter geschlagen wurde und sich fortan einen „Sir“ vor den Namen schreiben durfte, so hatte Libuda doch zumindest für dieses Turnier den Spitznamen „Stan“ verdient. Und die gerade in diesen Jahren zahlreich aufgehängten Plakate mit der Aufschrift „An Gott kommt keiner vorbei“ wurden teilweise, und das nicht einmal ketzerisch, ergänzt durch ein „…außer Stan Libuda“. Er erzielte in dem Spiel zwei Tore und bereitete zwei weitere vor. Ein 5:2 ließ wenig Zweifel an der Berechtigung des Resultats aufkommen.
Das dritte Spiel war sehr entspannt, da es nur noch um den Gruppensieg ging. Aber Deutschland ging auch das Spiel gegen Peru mit dem erforderlichen Ernst an und siegte durch einen echten Hattrick von Gerd Müller in der ersten Halbzeit mit 3:1. Mitursache sicher, dass man doch lieber England als Brasilien haben wollte. Brasilien hatte nicht nur ohnehin die Anerkennung, nach den Titelgewinnen von 58 und 62 und dem unrühmlichen Ausscheiden 1966 durch die Verletzung von Pele auch noch den Vorteil, mit dem Klima besser zurechtzukommen. Dass man sich auch gerne für 66 an den Engländern revanchieren wollte, gehört für mich ins Reich der Fabel. Hier ging es um Turnierchancen.
Das Viertelfinalspiel gegen England war dennoch an Brisanz nicht zu überbieten. Die Teams waren zwar auf einigen Positionen verändert, aber es waren auch noch zahlreiche Spieler des Finales von 66 dabei. Aber auch sonst: Das Spiel England gegen Deutschland ist und bleibt einer der großen Klassiker. Und dieses Spiel hatte besonderen Erinnerungswert.
England ging in Führung. 1:0. Nun gut, das lässt sich noch korrigieren, so auch meine Ansicht. Nach dem später erfolgten 2:0 überwog doch eindeutig die Skepsis. Ein jähes Ende aller Träume stand bevor. Nicht nur meiner, sondern der ganzen Nation. Welcher der aktiven Zuschauer würde aber den unwiderstehlichen Sololauf von Franz Beckenbauer über das halbe Feld mit dem Torabschluss zum 1:2 jemals vergessen können? Sicher einer der Momente, die ihn unsterblich machen. Dass dem englischen Trainer später von aller Welt attestiert wurde, die Auswechslung zumindest von Bobby Charlton zu früh, in der 65. Minute schätze ich, durchgeführt zu haben, ist für mich nicht schlüssig. Bobby Charlton war ein offensiver Spieler, der noch dazu schon ein gewisses Alter erreicht hatte und in der Hitze und Höhenluft von Mexiko durchaus entkräftet gewesen sein konnte. Dazu könnte ein defensiverer Spieler die Chancen für das Halten des Ergebnisses erhöhen.
Nach diesem Anschlusstreffer hatte die deutsche Nation wieder Hoffnung. Die Spieler auf dem Platz taten alles dafür. Und in der 81. Minute war es soweit. Der weite Flankenball segelte in den Strafraum. Uwe Seeler, jener Uwe Seeler, der vor der WM schon aussortiert wurde, aus Altersgründen und deshalb, da er angeblich mit Gerd Müller nicht zusammenpassen würde, der aber fast alle Spiele komplett durchspielte mit grandiosen Leistungen, stand mit dem Rücken zum Tor. Und er erreichte den Ball nur mit dem Hinterkopf, und das auch noch bei recht beträchtlicher Torentfernung. Dieses Tor hat sich sicher noch mehr eingeprägt als das von Franz Beckenbauer: Der Ball senkte sich als Bogenlampe hinter dem völlig verdutzt hinterher schauenden englischen Torhüter ins Netz. Der Ausgleich und die Verlängerung waren die spielerische Folge. Der Aufschrei der Begeisterung durchs ganze Land die akustische.
Dass Deutschland dank der Aufmerksamkeit von Gerd Müller noch das 3:2 nachlegte war dann beinahe schon eine jener Selbstverständlichkeiten, welche sich wie ein roter Faden durch die gesamte Historie der Turniere hindurch ziehen. Selbst wenn es speziell in diesem Spiel als Revanche aufzufassen war: Die deutschen Siege wurden zur Gewohnheit, und gerade jene gegen England.
Das Halbfinale gegen Italien hatte für mich aus völlig anderen Gründen traurigen Erinnerungswert: Es war nämlich so, dass ich das Spiel nur unter der Voraussetzung schauen durfte, dass ich vorher schlafen würde. Ich musste widerwillig zustimmen. Offensichtlich schlief ich tatsächlich irgendwann ein. Als ich dann mitten in der Nacht aufwachte, war irgendetwas komisch. Graute der Morgen bereits? Ich rannte ins Schlafzimmer meiner Eltern, rüttelte meinen Vater wach. Er murmelte im Halbschlaf etwas wie „4:3 für Italien nach Verlängerung“. Man kann sich letztendlich nicht vorstellen, was bei diesem Wortlaut durch meinen Kopf ging. Und es war weit mehr als der Kopf, der betroffen war. Es war ein regelrechter Schockzustand, in den ich geriet. Das konnte einfach nicht wahr sein. Wie sollte es möglich sein, dass ich das Spiel, was mich seit Tagen schon so sehr beschäftigte, worauf ich mich mehr als auf Weihnachten gefreut hatte, verschlafen habe? Noch dazu: Wie sollte es möglich sein, dass Deutschland ausschied? Aber auch: Sollte es ein derart dramatisches Spiel gewesen sein, was ich verpasst hatte?
Ich konnte nicht mehr schlafen. Ich redete mir die ganze Zeit ein, dass ich mich verhört haben musste. Ich wollte mir unbedingt einreden, dass mein Vater im Delirium ein paar Worte gemurmelt hat, er hatte vielleicht selber geträumt.
Ich hatte am frühen Morgen einen Arzttermin, da ich eine üble Verletzung am Finger hatte, die ich mir in einem Akt der Selbstverstümmelung zugefügt hatte, als ich unser Luftgewehr unfachgemäß bediente – im Beisein meines größeren Bruders, der aber das Unglück nicht verhindern konnte.
Meine Eltern gingen beide zur Arbeit an jenem dem Halbfinalspiel folgenden Morgen. Ich ließ die Schule ausfallen, war aber in einem merkwürdigen Trancezustand. Ich schaute das Spiel ab 9 Uhr in der Wiederholung. Ich schaute auch auf keine Zeitung und hörte keinen Bericht, kein Radio, wollte auch beim Arzt schon mit Niemandem reden, in der Sorge, derjenige könnte das Ergebnis ausplaudern. Ich bildete mir einfach ein, dass ich nicht wüsste, wie das Spiel war. Nur gelang es mir nicht. Immer wieder dachte ich über die Worte meines Vaters nach.
Die Wiederholung lief. Ob es nun daran lag, dass ich eine ziemlich gesicherte Vorahnung hatte, was passieren würde, oder ob es an den Spielszenen lag: Das Spiel erschien mir total langweilig. Italien hatte früh (7.) das 1:0 erzielt und Deutschland kam kaum zu Torchancen. Es änderte zwar nicht all zu viel, aber je länger die Spielzeit dauerte, umso sicherer wurde ich, dass mein Vater wirklich nur Unsinn gelallt hatte. Das konnte nie und nimmer 4:3 ausgehen. Obwohl es mir auch keine besondere Befriedigung verschafft hätte, so war ich doch in der 90. Minute allmählich erleichtert, dass das, was mich die ganze Zeit beschäftigt hatte, das, was ich zu hören geglaubt hatte, einfach nicht stimmen konnte. Deutschland war raus, keine Frage. Und Spannung habe ich auch nicht empfunden. Alles war dumpf. Aber eine Gewissheit hatte ich doch… da, was ist das denn? Schnellinger, der war doch noch nie vorne, das lange Bein, die Grätsche, der Ball war drin. 1:1, 90.!
Verlängerung. Meine Empfindungen besserten sich trotzdem nicht merklich. Immerhin konnte es ja jetzt doch noch stimmen. Aber es konnte doch nicht…äh, noch 5 Tore, in einer so kurzen Verlängerung, nach so einem schwachen Spiel? Das ging doch nicht. Dann ging es Schlag auf Schlag. 2:1, Gerd Müller, mit einem Kullerball, wo man nicht einmal sicher sein kann, dass er den Ball zuletzt oder überhaupt berührt hatte. Das Tor zählte, und zwar für ihn. Sollte etwa…? Nein, das 2:2, das 3:2 für Italien. Allmählich wurde es zur Gewissheit… Müller, noch einmal Müller, ja, das 3:3. Sollte ich mich jetzt freuen oder was? Nein, ich wusste doch, was passieren würde: Riva oder Rivera oder wie sie alle hießen, Sepp Maier am Boden, warf sich verzweifelt auf den Boden, der Ball war drin, das 3:4, ja, es stimmte alles, es war nur deprimierend, zu keinem Zeitpunkt konnte ich eine Form von dieser unsäglichen Spannung empfinden, die dieses „Spiel des Jahrhunderts“ verdient gehabt hätte.
Aber halt, auf einmal erwachte der Philosoph in mir. Ich hing dieser Theorie lange Zeit aber nur in meinen Gedanken nach. Dennoch war es, so darf ich heute sagen, die Geburtsstunde meiner persönlichen „Chaostheorie“. Ich überlegte allen Ernstes, ob eventuell, wenn ich das Spiel mit angeschaut hätte, das Ergebnis nicht ein völlig anderes hätte gewesen sein können? Es ist ja nicht nur so, dass man sich dadurch beruhigen kann, dass man etwas Großartiges verpasst hat (was in meinen jungen Jahren definitiv der Fall war), sondern es ist eine sehr ernst gemeinte Überlegung, die in allen Lebenslagen helfen kann. Man wüsste niemals, was passieren würde oder was passiert wäre, wenn man nur einen einzigen Schritt im Leben anders getan hätte.
Eine Folge: Man muss niemals etwas bereuen. Denn so lange man da ist und lebt kann man für dieses Leben dankbar sein und kann den nächsten Schritt so ausführen, wie man es gerne täte, die Vorerfahrungen nutzend aus dem gesamten Leben. Wenn man irgendwo etwas anders gemacht hätte, wäre noch nicht einmal gesichert, dass man in diesem Moment überhaupt leben würde.
Die kindlichen Gedanken, auf welche Art der Einfluss übertragen worden wäre, kann ich hier gerne auch schildern: Ich dachte, dass es doch möglich gewesen wäre, dass mich jemand in der Nachbarwohnung am Fenster stehen sieht. Deshalb das gerade geführte Telefonat auch nur eine einzige Sekunde länger dauern würde. Deshalb der am anderen Ende der Leitung etwas anderes tun würde und schon nähme das Chaos seinen Lauf. Hier etwas anders, dort etwas anders, dann pflanzt es sich fort. Also im Prinzip, so meine heutige Sicht, gab es „das Spiel des Jahrhunderts“ nur durch mein (passives) Eingreifen.
Deutschland war raus. Sie gewannen das Spiel um Platz 3 mit 1:0 gegen Uruguay. Brasilien wurde verdienter Weltmeister mit 4:1 gegen Italien. Ein Hochgenuss, noch einmal Pele auf seinem Spitzenniveau spielen sehen zu dürfen.
Dennoch darf ich im Zusammenhang mit dem trotz „nur Platz 3“ erfolgreichen Turniers mal ein paar Fragen stellen: Eine Vorrundengruppe mit Bulgarien, Marokko und Peru kann unmöglich überdurchschnittlich schwer sein. Sie war „leicht“. Dann das unglaubliche Spiel gegen England. Sicher empfand man es damals noch als Revanche für 66 und damals hatte England ja sooo glücklich gewonnen. Trotzdem kann es doch nicht sicher sein, dass man ein solches Spiel gewinnt? Man benötigt immer etwas Glück, und das hatte Deutschland in diesem Spiel. Im Spiel gegen Italien nicht, das stimmt schon. Aber der Ausgleich in der letzten Minute – bemerkenswert übrigens an den beiden Last-Minute-Treffern der Deutschen 66 und 70 noch, dass sie nicht nur beide von Abwehrspielern erzielt wurden, sondern dass das die einzigen beiden Länderspieltore dieser Spieler waren.
Und abschließend noch die Frage. Selbst wenn Deutschland in diesen Jahren sicher zu den stärksten Nationen der Welt gehörte: Ist ein dritter Platz unter oder über den Erwartungen? Würde man also vor dem Turnier einen dritten Platz im Turnier der besten Mannschaften unterschreiben? Für mich ist die Antwort klar: Ja. Man müsste.
6. DFB Pokal Frankfurt – Bayern
DFB Pokal Eintracht Frankfurt – Bayern München vom 28.10.2009
Nachdem die Bayern am vorigen Samstag das Bundesliga Heimspiel gegen Eintracht Frankfurt, nach Kommentatorenansicht „mühevoll“ mit 2:1 gewonnen hatten, stand nun die gleiche Paarung noch einmal an im DFB-Pokal, mit vertauschtem Heimrecht. Das bringt immer ein wenig Spannung und Brisanz mit sich, so dass hier einmal, per beinahe-Zufalls-Auswahl, diese beiden Spiele ein wenig kommentiert werden sollen, natürlich unter Einbeziehung der Reportereinsichten im Vergleich zu viel eher angemessenen.
Das Spiel vom Samstag ist im Prinzip relativ schnell zusammen gefasst. Am besten geeignet ein im Anschluss an das Spiel mit dem Trainer der Bayern, Louis van Gaal, geführtes Interview. Der mal wieder durch höchst komplexe Erstklässlerlehrerfahrung der Differenzbildung zwischen 1 und 2 überschlaue Berichterstatter wollte Louis van Gaal, heute mal „richtig auf den Zahn fühlen“. Das machte er mit der folgenden Frage deutlich: „Würden Sie heute von einem glücklichen Sieg der Bayern sprechen?“ Louis van Gaal hat zwar mittlerweile auch schon seine ersten Erfahrungen mit den deutschen Medien gemacht – übrigens ein Märthyrium, welches schon mehr als nur einen holländische Trainer den Job gekostet hat –, jedoch antwortete er, erkennbar um Sachlichkeit bemüht:
„Ich finde nicht, dass der Sieg glücklich war. Wir hatten eine Menge von Großchancen, alleine sechs in der ersten Halbzeit, und auch sonst haben wir genügend Chancen kreiert, der Gegner nur zwei. Wir hatten mehr Ballbesitz, mehr Ecken, mehr Torchancen. Ich glaubte nicht, dass man da von einem glücklichen Sieg sprechen kann. Wir haben das Glück auch erzwungen.“
Wenn man wollte, so dürfte man eigenmündig ergänzen: „Der Zeitpunkt des Siegtores in der 88. Minute mag es für Sie glücklich erscheinen lassen. Das ist aber auch das einzige Kriterium. Der Sieg war verdient, nach Spielanteilen und Leistungsdaten, und zwar recht deutlich.“
Nun gut, die Worte „Berichterstatter“ und „klein bei geben“ passen im Sky-Reporter-deutschen Sprachgebrauch einfach nicht zusammen. Also „setzte er energisch nach“. Das sah so aus: „Wenn Sie von einer Vielzahl von Großchancen sprechen, dann muss man doch zwangsläufig von Abschlussschwäche reden?“ Es gibt mal wieder kein Entrinnen. Louis van Gaal versuchte es dennoch: „Ich finde, meine Mannschaft hat heute ein gutes Spiel gezeigt. Wir haben eine große Zahl von Chancen erspielt. Der Ball geht manchmal rein, manchmal nicht. Ich sehe nicht, was wir falsch gemacht haben. Sorgen müsste ich mir machen, wenn wir keine Chancen gehabt hätten.“ Auch dieses Statement könnte man getrost in Gedanken ergänzen mit „wenn ich vor dem Spiel einen 2:1 Sieg hätte nehmen können, hätte ich sofort zugegriffen.“ Denn, laut der eigens angelegten Datenbank, stand immerhin die Chance von 24.2% gegen einen Sieg der Bayern, wie üblich vom Wettmarkt bestätigt. Ein Sieg ist ein Sieg, jeder Sieger sollte zufrieden sein. Es hätte also auch anders kommen können.
Die Dummdreistigkeit der Fragen dennoch bemerkenswert. Zuerst soll man dem Dummbatz erklären, dass man ausreichend viele Chancen hatte – was ihm demnach (bei den Lieblingsbeschäftigungen Däumchen drehen und Tore zählen, was ihn intellektuell allerdings komplett auslastet) während des Spiels entgangen ist – und, nachdem er darüber aufgeklärt scheint schwenkt er um und prangert einfach die „mangelnde Chancenverwertung“ an. Irgendwas wird sich schon finden lassen, was schlecht war.
Gestern Abend nun die „Revanche“. Der DFB-Pokal zieht sowieso, aber auch durch das samstägliche Ergebnis gab es sicher eine Vielzahl Frankfurter Fans, aber auch deutschlandweit, die der Eintracht für diese Paarung eine Überraschung zutrauen konnten. Und welcher neutrale Beobachter sieht denn nicht gerne mal eine Überraschung? Vor allem, wenn’s die Bayern trifft… Wobei die positive Frankfurter Erwartungshaltung auch zum Teil aus dem nur scheinbar glücklichen Sieg, jedoch einem weniger aufmerksamen Beobachter aufgrund der vorher beschriebenen “Analysen”, vom Samstag abgeleitet sein mag. So oder so würde man jedoch annehmen: neues Spiel, neues Glück und eine Chance gibt es immer.
Jedoch haben die Bayern das ganze Jahr über dagegen an zu kämpfen, dass sie mit maximalem Einsatz und Ehrgeiz bekämpft werden. Jeder andere Gegner könnte mal auf ein kleines Nachlassen hoffen, nein, gegen Bayern wird man immer 100% geben (jedoch keineswegs mehr, wie einem ab und an mal symbolisch aufgeschwatzt wird; 120% für heute?). In allen Stadien wird ihnen mit einer, sei es auch nur temporären – nämlich bis zum nächsten Europapokalabend –, Abneigung begegnet. Das kann sogar für ein solches Spiel, gerade nach ein paar Wochen der etwas ungünstigeren Ergebnisse, eine kleine zusätzliche Motivationsspritze sein.
Jedenfalls geschah nicht viel anderes als am Samstag auch schon. Die Bayern waren die bessere Mannschaft und sie kamen zu Torchancen. Kleiner Unterschied zum Samstag: Diesmal ging schon eine der ersten Chancen rein. Das 1:0 für Bayern. Und jeder, der etwas von Fußball versteht – in aller Regel also alle Zuschauer außer dem hinter dem Mikrofon befindlichen –, der weiß, dass das vielfache Vorteile mit sich bringt. Die Spieler der führenden Mannschaft fühlen sich sicherer, die der gegnerischen Mannschaft angeknackst. Man muss weder hinterherlaufen noch erst mal etwas beweisen. Man führt. Und bei einem Schnitt von unter drei Toren pro Spiel weltweit im Profifußball kann man sofort ermessen, wie wertvoll ein solches Tor ist. Aus den 59.2%, die der Computer vor dem Spiel für den Sieg der Bayern veranschlagt hat, werden im Nu 82%, um es in Wahrscheinlichkeiten auszudrücken, in Abstimmung mit dem Wettmarkt.
Es spielt sich leichter für Bayern, für den Gegner schwerer. Dennoch kam es weiterhin eher zufällig zu einer weiteren Chance (Rückpassfehler Franz), und auch diese Chance wurde verwertet. Das 2:0. Nun sei hier die Bedeutung für die Chancenentwicklung auf den Spielausgang ausgespart und auch die weitere Motivation der Mannschaften. Die Bayern, teilweise dank ihrer überlegenen Klasse, teilweise wegen der Erleichterung der frühen Tore, aber auch wegen eines kleinen Defizits in den vorangegangenen Spielen erzielten auch noch das dritte. Ein 3:0. „Das Ding ist gelaufen“ hört man zwar nicht gerne, und man darf vielleicht raten, dass noch immer ein Promille dagegen stehen mag, aber es würde keinen Spaß machen, auf dieses Wunder zu warten. Der Satz ist zutreffend. Wenn man aber gezwungen wird, weiter zu kommentieren, dann sollte man in der Folge den Fokus auf die einzelnen Aktionen legen und nicht auf die Chancenverteilung über den Spielausgang. Also für den Zuschauer den Zwischenstand quasi „ausblenden“. Was wäre der Sinn, es bei jeder Szene zu erwähnen? Die ganze Zeit so zu tun, als ob es total spannend wäre, weil man den Sieger nicht wüsste? Oder das Spiel hörbar “abpfeifen“, mit desinteressierten Kommentaren, da es um nichts mehr geht? Obwohl bei Sky dies der Standard : Nein, das sollte nicht sein. Ab jetzt gäbe es die Chance, einfach nur noch Fußball kommentiert. Und das muss kein Nachteil sein.
Das wäre generell ein Vorschlag: Sich einfach mal bei den Spielszenen aufzuhalten. Keine Allgemeinplätze („sie versuchen es immer wieder mit…“), keine Häme („ein Fehlpassfestival“), kein Zwischenkommentieren während einer Aktion mit Bewertung („gar nicht mal so schlecht, die Flanke“; raubt die Spannung). Einfach die einzelnen Spielszenen wegen der Schönheit und Attraktivität der Sportart selber kommentieren, wegen der Spannung eines sich anbahnenden einzelnen Torerfolges, unabhängig vom letztendlichen Ausgang des Spiels, welcher vorgezeichnet ist. Nun gut, unvorstellbar, zugegeben, das gilt aber nur für Deutschland.
Aber was tat der so heiß geliebte und hoch geschätzte Sprecher? Bei jeder Einblendung, in der er zuhören war in der Konferenz (nur klare Ergebnisse an dem Abend; Schalke gewann bei 1860 mit 3:0, Werder besiegte Kaiserslautern mit 3:0 und Hoffenheim gegen TuS Koblenz mit 4:0) hackte er noch ein bisschen bösartiger auf der Frankfurter Eintracht herum. Er wollte wohl wie üblich sich selber feiern und auch die letzten Zuschauer noch zum Ausschalten bewegen. Sicher mit gutem Erfolg.
So konnten die sehr wenigen Zuschauer, die der indirekten Aufforderung des „Abschaltens“ nicht nachgekommen sind, seine genialen, komödiantischen Redewendungen bezeugen.
Beispiel: Angriff der Bayern, sie kommen in den Strafraum, aber ohne Abschluss: „Das ist nicht so einfach wie im Training. Das ist viel einfacher.“ Schlaukopf. Man möchte ihm zurufen: „Hättest du den gleichen Kommentar auch abgegeben, wenn du den Zwischenstand nicht gewusst hättest?“ Oder war die Einfachheit ausschließlich der eingeblendeten Ergebnistafel entnommen?
Wenn er es nicht gewusst hätte, oder, was der schlaue Mann gesagt hätte, beispielsweise beim Stand von 0:1 gegen Bayern, kann man zur identischen Szene in etwa so extrapolieren: “So kommen sie nie durch. Da fehlt die Präzision, der Blick für den Mitspieler, die Bewegung, die letzte Konsequenz, das letzte Zuspiel.“ und was nicht alles…
Dann überbot er auch diesen Auftritt noch bei der nächsten Einblendung: „Das ist kein Klassenunterschied.“ Nein, denn das war früher. Der „Gag“, der ihm das Millionenpublikum (von Milben) sichert: „Das sind zwei Klassen Unterschied.“ Ein echter Schenkelklopfer. Da sind sogar die Milben geflüchtet. Und das ist wahrhaft eine Kunst… Vielleicht sollte er zum Kammerjäger umsatteln?
Nun gut, was solls, man kann nicht immer treffen. Auch hier bitte: Entzieht dem Mann doch ein einziges Mal sein sicheres Fangnetz und lasst ihn eine einzige Szene ohne Kenntnis des Ergebnisses kommentieren. Dann bliebe — außer dem Stottern — nur noch die schlechte Grammatik. Aber man ahnt, was übrig bleiben würde: Er würde einfach schweigen. Wegen der Unfähigkeit, irgendetwas zu erkennen. Nach hinten würde er raunen: „Menno. Ihr müsst mir wenigstens sagen, wie es steht, Sonst weiß ich doch nicht, auf wem ich rumhacken soll?“
Tore zählen und Hacken ist das einzige, was er kann. Ohne Fangnetz des Ergebnisses bliebe nur das Schweigen. Das hingegen wäre nun wirklich mal der Sache dienlich. Austauschen des Reporters hülfe nicht. Denn der Ersatzmann laberte den gleichen Unsinn.
Zusammengefasst: Das Spiel am Sonnabend war irgendwie nicht recht, weil die Chancen nicht verwertet wurden. Da fehlte etwas, da war etwas falsch, das Ergebnis und das Zustandekommen deckte sich anscheinend nicht mit den Erwartungen. Der Trainer erklärt ihnen ganz ruhig, dass Fußball eben so funktioniert. Man versucht, Chancen zu bekommen. Wenn man sie hat, ist Teil 1 erfüllt. Dann versucht man, möglichst viele davon zu verwerten. Teil 2. Gelingt, mal mehr, mal weniger. Am Samstag eher weniger, aber noch immer ausreichend oft. Denn: ein Tor mehr als der Gegner reicht zum Siegen, das Spiel dauert 90 Minuten, mehr als drei Punkte bekommt man auch für ein 4:0 nicht. Höchstens, dass der Siegtreffer zum 2:1 am Samstag spät fiel und, entgegen einer völlig albernen und an sich falschen Erwartung (“Abschlussschwäche, wenn die Chancen nicht genutzt werden?”) war es dem Frager wohl nicht hoch genug.
Andernfalls: Wenn es dann gelingt, wie am Dienstag, dass ein paar dieser Chancen verwertet werden, dann ist, anstatt die gewonnene Erkenntnis, dass die Chancen mal rein- und mal nicht reingehen zu nutzen – von van Gaal als Erklärung geliefert und hier bestätigt –, stattdessen die „unterirdische“ Leistung des Gegners dafür verantwortlich. Und das musste man sich dann wirklich 65 Minuten lang, also ab dem 0:3, anhören. „Kollektives Versagen..“, „das gleich alle auf einmal eine solche Katastrophenleistung abliefern…“ und so weiter. Fußballverstand? Sehr, sehr knapp oberhalb der Grasnarbe, so etwa im Milbenbereich..
Recht ist ihm ein 0:3, 0:4 auch nicht. Es geht einfach nicht, den Herren Berichterstattern überhaupt einen Spielverlauf zu präsentieren, nein, nicht einmal einen einzigen Spielzug, der ihren — natürlich berechtigterweise, nach eigenen Ansichten — hohen Ansprüchen genügt. Wenn ein Dribbling gelingt heißt es, „das geht viel zu einfach“, wenn der Angreifer hängen bleibt „rennt er sich immer wieder fest.“ Wenn eine Flanke bei der Verteidigung landet, war die Flanke schlecht. Wenn der Stürmer sie erreicht und einköpft, handelte es sich um „kollektiven Tiefschlaf.“ Eine “gelungene Aktion” gibt es nicht. Eine solche könnte nach Auffassung der Kommentatoren nur ein blutiger Laie erkennen. “Schön gespielt”, denkt jener. “Ach, du Anfänger. Das könnte doch jeder, wenn er so viel Platz bekäme, vom Gegenspieler durch den Stellungsfehler eingeräumt.” Nix zu machen: gut geht nicht und gibts nicht.
7. EM 1972
Die Fußball Europameisterschaft 1972
Da ich mir von Anfang an vorgenommen habe, alles, was ich schreibe nur aus der Erinnerung zu tun, so werde ich diesem Vorsatz auch bei diesem Text treu bleiben. Damit stelle ich die Behauptung auf, dass mir schon das im Gedächtnis geblieben ist, was Erinnerungswert hat. Und die Europameisterschaften waren zu jener Zeit nicht von vergleichbarer Bedeutung mit den Weltmeisterschaften. Selbst wenn diese Aussage bis heute gilt, so ist doch heute ein viel größerer Fokus auf das Endturnier gelegt und man darf dieses auch getrost als „Großereignis“ einstufen. Dass es im Jahre 1972 auf keinen Fall so sein konnte, lag unter anderem am Austragungsmodus. Die EM 1968 habe ich gar nicht mehr in Erinnerung – zugegeben sicher dem Umstand geschuldet, dass Deutschland keine Rolle gespielt hat –, von der 72er muss man sich einfach an ein besonderes Ereignis erinnern.
Es muss an einem Samstagabend gewesen sein, denn ich war nicht nur bei Freunden zur Übernachtung untergebracht sondern erinnere mich auch sehr genau daran, dass ich am nächsten Morgen selber zu einem Spiel ins Stadion Lichterfelde musste. Es stand an jenem Abend mal wieder das so bedeutungsvolle Spiel England – Deutschland an. Und das auch noch im altehrwürdigen Wembley-Stadion, wo Deutschland 6 Jahre zuvor das Finale trotz heldenhafter Gegenwehr durch das berühmte Wembley-Tor in der Verlängerung verloren hatte. Die Revanche für ´66 war dann in Mexiko gelungen, als die Deutschen einen 0:2 Rückstand noch drehen konnten und ebenfalls nach Verlängerung ins Halbfinale einzogen. Das Spiel von jenem Abend im Jahre ´72 aber stand doch unter anderen Vorzeichen. Die Welt schaute nicht komplett auf dieses Spiel, auf dieses Stadion. Es war ein echtes Heimspiel. Und an dieser Stelle lässt es sich doch ganz gut mal über diesen gefühlten und auch irgendwie anerkannten Vorteil ein wenig nachdenken:
Mich hat der so genannte Heimvorteil nicht nur von klein auf beschäftigt sondern ich habe ihn später als messbaren Parameter in mein Fußball Programm zur Berechnung der Spiele aufgenommen. Bei großen Turnieren ist er kleiner, da die Welt darauf schaut und wohl entweder zu viele neutrale Zuschauer im Stadion sind oder auch der Schiri angesichts der Aufmerksamkeit der Weltöffentlichkeit nicht so „parteiisch“ pfeifen kann, selbst wenn nach meiner Theorie oftmals ungewollt, nur von den pfeifenden oder grölenden Massen beeinflusst. Früher geschah es doch viel häufiger, gerade bei kleineren Spielen im Europapokal, die gar nicht erst von Fernsehbildern erfasst wurden, dass mal hier oder da eine Abseitsposition großzügig übersehen wurde, sofern die Heimmannschaft im Angriff war und auf der anderen Seite etwas kleinlich zurückgepfiffen wurde, wenn es sich möglicherweise nicht um Abseits handelte. Genauso bei der Auslegung der Foulsituationen im Strafraum. Hier Elfmeter, dort nicht.
Selbst auf diese Phänomene gibt meine Datenbank Auskunft: Der Heimvorteil war wirklich größer in jenen früheren Jahren. Sogar ein 0:2 wurde im Hinspiel nicht mal als sehr schlechtes Ergebnis erachtet. „Das kann man noch drehen.“ Heute wäre schon ein 1:0 mehr wert als damals ein 2:0 oder 3:1. Heute müsste man den Heimvorteil also den gewöhnlichen Größen wie „hier kenne ich mich aus, hier bin ICH zu Hause“, „das ist mein Territorium, was es zu verteidigen gilt“ oder auch „die hatten eine lange Anfahrt“ oder einfach nur „wir müssen die Zuschauer hinter uns bringen, die peitschen uns nach vorne“ zuschreiben.
Dass dennoch der Ausrichter, damals von mir erkannt, immer die Vorrunde überstehen würde konnte ich in der Partie Belgien – Mexiko erstmals live erleben. Den Mexikanern wurde ein Elfmeter zugesprochen in einer Szene, als der Angreifer bei dem angeblichen Foul ca. einen Meter vom Gegenspieler entfernt war und dennoch ohne jegliche Berührung theatralisch stürzte. Es musste ein Sieg her. Und er gelang auf diese Art. Elfmeter und 1:0 für Mexiko. Die Szene kann ich seitdem nicht aus meinem Gedächtnis streichen, weil sich damals schon der Gerechtigkeitssinn in den Vordergrund drängte und mir so etwas die Freude an dem ganzen Turnier verderben konnte. Mein Vater beruhigte mich damit, dass es doch nur um den Ausrichter ginge. Aber ungerecht bleibt ungerecht. Diese Theorie, dass der Gastgeber immer weiter kommt, bewahrheitete sich übrigens bis zu den großen Turnieren, die von zwei Nationen ausgetragen wurden. Dort schied einmal Belgien aus, später einmal Japan und danach noch Österreich bei einer EM, die allesamt nur Co-Ausrichter waren.
Ich war also bei Freunden der Familie. Und ich konnte dieses Spiel live verfolgen. Einmal ohne meinen Vater zu schauen war schon ungewöhnlich. Sehr viel meines (zweifelhaften) Fußballverstandes habe ich von ihm ererbt, angeeignet. Es wurde intensiv geschaut und intensiv analysiert. Im Alter von 13 Jahren ist man dann als Fußballverrückter schon in der Lage, selber Einschätzungen abzugeben, sich sein eigenes Bild zu machen. Wir hatten unsere Diskussionen und – mein Vater hatte Recht. So war es halt. Aber ich dachte mit.
Unfassbar also für mich, dass sowohl die Gasteltern als auch deren verglichen mit mir etwas jüngeren Kinder nicht in der erwarteten Form am Geschehen teilnahmen. Mag sein, dass sie geschaut haben. Aber andere Dinge hatten Vorrang. Gespräche über das Tagesgeschehen oder das zeitgleich angefertigte Abendbrot gingen meinen Gastgebern vor. Das war doch nicht möglich? Nicht nur, dass heute Fußball war. Da hat man keinen Hunger und da interessiert sowieso nichts anderes. Aber das Spiel, dieses Spiel, das musste doch einfach jeder schauen. Von den Vorberichten bis zu den „Leichenreden“ (Originalton Vater Edzard Paulsen).
Ich war also auch mit den Analysen auf mich und meine Gedanken angewiesen. Was ich sah, hat mich aber jedenfalls sehr beeindruckt. Und ist auch bis heute als „eines der großen Spiele der Deutschen Mannschaft“ in die Länderspielgeschichte eingegangen. Eines der großen Spiele des Günter Netzer, dessen Nationalelfkarriere bei Weitem nicht seinen überragenden Fähigkeiten entsprach, die er in den 36 teilweise schwächeren Auftritten im Trikot der deutschen Elf ablieferte. Und Günter Netzer war tatsächlich mein Idol. Nicht nur hatte ich in einem frühen Fußballbuch seine überragende Technik bei Schüssen versucht zu erlernen und nachzuahmen, auch seine wehende Mähne hatte es mir in jenen Jahren angetan und zur Nachahmung aufgefordert. Dass mir später eher eine Ähnlichkeit mit Ewald Lienen angedichtet wurde, konnte ich dann aber auch gerade noch verkraften…
Die Deutschen gewannen mit 3:1, „Kleines dickes Müller“ traf vorne, Günter Netzer durfte in Abwesenheit seines auf der Position gerade im Nationaltrikot einfach dauerhaft besseren Wolfgang Overath, insgesamt 81 Länderspiele, alleine Regie führen und Katsche Schwarzenbeck räumte gewohnt zuverlässig hinten auf. Das ganz Besondere an diesem Spiel war aber wieder mal meine eigene Geschichte. Und die ist noch nicht vollständig erzählt.
Denn: Ich hatte ein Ticket für das Rückspiel im Berliner Olympiastadion. Nur eines von zwei Länderspielen der Deutschen, die ich jemals live im Stadion verfolgt habe. Außer, dass wir gelegentlich zu Schulzeiten Karten für die Jugendländerspiele Deutschland gegen England hatten. Mag sein, dass ich also nach dem Hinspiel mit größeren Erwartungen hinging ob der überragenden Qualität der deutschen Mannschaft, mag aber auch sein, dass mir bereits klar war, dass ein 3:1 Sieg im Auswärtsspiel ziemlich sicher die Fahrkarte in die nächste Runde bedeutete und man kein besonderes Spiel erwarten konnte. England hätte drei Tore erzielen müssen, um weiter zu kommen. Und das war doch nicht denkbar?
Die Erinnerungen sind jedenfalls ziemlich trübe. Kein Glanz, kein Gloria, kein Tor. Ein 0:0. Eine echte Enttäuschung. Ein grausames Spiel. Ich weiß auch nicht genau warum ich mich eigentlich so besonders gut an eine einzige Szene in dem Spiel erinnern kann: Ein Torschuss von Siggi Held, der in etwa 20 Meter über das Tor ging. Die beste Torgelegenheit?
Die „Endrunde“ wurde dann mit vier Mannschaften in Belgien ausgetragen. Deutschland gewann das Halbfinale mit 2:1 gegen Belgien und das Finale mit 3:0 gegen die Sowjetunion. Alles irgendwie selbstverständlich. Die Mannschaft war gut, keine Frage. Man gewöhnte sich an die Siege. Aber besonderen Erinnerungswert haben diese Spiele nicht für mich gehabt.
8. EM 1980
Die Europameisterschaft 1980
Meine Schachleidenschaft – und mit ihr sowohl Befähigungen, als auch Illusionen – hatte in diesem Jahr ihren Höhepunkt erreicht. Ich hatte zwar zum zweiten Mal die Berliner Meisterschaft unter ungewöhnlichen — man könnte auch sagen tragischen — Umständen verpasst, dennoch gab es an den besonderen Befähigungen nur noch geringe, und wenn, dann umsetzungstechnische Zweifel. So hatte ich meinen nicht für die 1. Bundesliga qualifizierten Heimatverein Lasker-Steglitz großzügig um „Freistellung“ gebeten, um mir einen zahlungswilligen Verein zu suchen, der mir einen Platz in dieser neu gegründeten Eliteklasse zu verschaffen würde. Meine Mannschaftskameraden legten mir keine Steine in den Weg und so zog ich aus in die große weite (Schach-)Welt.
Im Sommer „landete“ ich in Bochum, wo mir die dortige SG Bochum 31 nicht nur derartige Träume erfüllte, sondern sogar der Mannschaftsleiter ein Zimmer für mich in seinem Haus in der Velsstraße 102 hatte, was dauerhaft zu meiner Verfügung stand. Als die Schachwelt davon erfuhr, brachte es mir die Bild-Schlagzeile „Pauli geht nach Bochum“ ein. Das war aber nur in meiner Phantasie. Denn es war der Tagesspiegel und die dortige Schachspalte, in der erklärt wurde, dass ich nach Bochum ginge, um dort Schach zu spielen und mein Studium fortzuführen. Nun ja, ich habe nicht auf eine Gegendarstellung bestanden. Denn der Teil mit dem Schach stimmte ja immerhin…
Ich war also in Bochum in meinem winzigen Zimmer im Dachgeschoß und spielte ein Turnier in Dortmund. Der Mannschaftsleiter samt Frau und Kind war verreist, so dass er mir großzügig Zugang zu seiner Wohnung gewährte, welche ich in der Form nutzte, dass ich die Europameisterschaft live im Fernsehen verfolgen konnte. Und schon bin ich beim Thema, Und damit auch schon so gut wie fertig. Das Turnier in Dortmund habe ich gewonnen, was mir mit 2000 DM vergütet wurde, und Deutschland wurde Europameister. Na bitte, es läuft doch.
Nur war ich längst darüber hinaus, den Deutschen diese Formen und Mengen des Glücks zu wünschen oder zu gönnen. Es reichte langsam. Es ärgerte mich ja nicht einmal, dass die Kicker sich wieder und wieder durchsetzen konnten. Die mochte ich vielleicht sogar, da ich sicher war, dass sie eigentlich auch wussten, dass sie immer wieder nur „primus inter pares“ waren, dass sie nicht wirklich besser als der Rest der Welt waren und das jedes Spiel eine neue Herausforderung darstellte, bei der auch ein paar glückliche Umstände zusammenkommen müssen, damit man es letztendlich gewinnt. Es war mehr die öffentliche Haltung, die Darstellung der Berichterstatter, die mich zu stören begann. So, als ob es immer so weiter gehen müsste und auch würde. Man gewöhnte sich an die Siege. Nur konnte ich vielleicht auch schon vorhersehen, dass der Fall umso tiefer würde, wenn es einmal nicht gelingen sollte. Und dieser „Fall“ trat sogar vier Jahre später ein… davon an anderer Stelle. Jedoch war dann die Kehrtwende sämtlicher Berichterstatter bemerkenswert…
Für dieses Jahr bekam die Aussage „Fußball ist ein Spiel mit 22 Mann, einem Ball und am Ende gewinnt Deutschland“ neuen Nährboden. Waren sie wirklich die Besten? Was musste die Welt von dem „Monster Germany“ denken? Ich begann jedenfalls, die Partei zu wechseln und mir dringend mal Niederlagen zu wünschen. Vor allem wegen der öffentliche Haltung und der Berichterstattung eben. Man bedenke, dass die Deutschen auch zu allen großen Turnieren die Qualifikation geschafft haben. Und auch da gäbe es einen Prozentsatz, der dagegen stünde. Und der beginnt schon bei dem Glück der Gruppenauslosungen, welches den Deutschen praktisch immer hold ist.