Jeder blamiert sich, so gut er kann. Man muss es zwar nicht zwei mal tun, das eine Mal aktiv als Dummkopf und das andere Mal durch Hinausposaunen, aber ich habe in beidem ein gewisses Geschick entwickelt. Und an jenem Tage, von dem ich Ihnen gleich berichte, habe ich nach dem Erzählen beides doppelt erledigt. So will ich Ihnen die folgende Begebenheit nicht vorenthalten.
Im Jahre 1985, ich war also gerade in Berlin. Ich befand mich garantiert in der Lernphase, mein Geld als Spieler zu verdienen. Und nicht nur damals habe ich etliche dumme Fehler gemacht. Ich gewann zwar immer etwas, aber es reichte sicher nicht zu einem bequemen, guten Leben. Noch immer musste ich meinem Vater vorspielen, irgendwann doch noch das Studium abzuschließen. Mein Vater nährte eigene Illusionen und ließ mich kostenfrei bei sich wohnen. Aber er sah ja auch ein gelegentliches Bemühen, dass ich mich zumindest an der Uni aufhielt. Mag sein, dass ich ihm nicht ganz so deutlich vermittelt habe, dass es ausschließlich der Programmierraum war.
Ich hatte also einfach nur ein ganz gutes Taschengeld, wenn man ganz ehrlich ist. Aber es gab auch Lichtblicke. Also spielerisch habe ich mich im Backgammon weiterentwickelt. Die ersten Turniererfolge stellten sich ein. Es gab eine Perspektive. Zumindest in meiner Vorstellung. Dass es außer einer spielerischen Befähigung ganz anderer Befähigungen bedarf, versuche ich, mit dem Beispiel hier aufzuzeigen.
Es gibt, außer den Turnieren, also das Geldspiel, moneygame. Sozusagen der Alltag des Spielers. Man sucht sich nach Möglichkeit einen weniger begabten, aber finanziell potenten Gegner. Diese sind aber nicht ganz leicht zu finden. Vor allem nicht für mich. Auf der Suche passieren einem schon mal kuriose Dinge.
Tefek
Ich hatte ein neues Lokal entdeckt. Direkt am Ku-Damm, ein Billard-Salon. Aber dort waren nicht irgendwelche Spieler. Da waren die besten, erfahrensten Spieler Berlins vereinigt oder man konnte zumindest auf sie stoßen. Der kleine Pauli ging also dorthin. An meiner spielerischen Befähigung hatte sicher keiner gezweifelt. Wenn man also dort auf „Partiesuche“ ist und dann noch fündig wird, muss irgendein Haken an der Sache sein. Ich traf also auf Tefek. Er war bereit, mit mir zu spielen. Erstaunlich. Ich (Riesendummkopf) hatte auch noch mein eigenes Board mit. Wie soll man denn da Gegner finden? Aber es war mir ja gelungen!
Nur war Tefek der Überzeugung, dass es Menschen geben würde, die „etwas aus dem Becher können.“ Also, die so geschickt die Würfel im Becher platzieren und herausrollen lassen, dass sie den Wurf so beeinflussen können. Da er noch dazu bereit war, mit meinem Board zu spielen, hatte er lediglich eine Bedingung: Wir würfeln aus der Hand.
Ich konnte seiner Argumentation spielend folgen. Noch dazu war ich spielwütig. Außerdem hatte ich mir mühsam einen Tausender zusammengesammelt. Aber einer reichte einfach nicht für das am Wochenende stattfindende Backgammonturnier in Österreich. Ich musste noch etwas Geld dazu verdienen. Ob ich hier am richtigen Ort war?
Tefek spielte recht ordentlich. Er wusste zweifelsfrei, in welche Richtung seine Steine laufen müssten. Und er wusste auch, dass man allein stehende Steine schlagen durfte und zwei zusammen stehende Steine nicht schlagen durfte. Also er kannte praktisch alle Regeln, wenn ich es mal so zusammenfassen darf. Nach kurzer Erklärung gar den Verdopplungswürfel.
Aber gegen seine Variationen zum Thema „Würfelglück“ war ich einfach machtlos…
Der rote Paul
Mein Geld war komplett alle. Ich verfiel vorübergehend in Depressionen. Was macht man, wenn man Depressionen hat? Weiter, was auch sonst. Und ich kannte ja noch ein anderes Lokal seit kurzem. Lothar & Ich, Dominicusstrasse. Ich war überall neu. Aber ein paar Leute kannten mich. Sie wussten, dass ich ganz gut war. Zumindest spielerisch. Micha und Detlef, spätere Partner von mir, waren da. Und die hatten schon einige Erfahrung. Sie vermittelten mir tatsächlich eine Partie. Aber die Bedingungen waren auch klar: Ich hatte kein Geld mehr, also alles durch drei, wenn ich gewänne.
Gut, der rote Paul war spielerisch ungefähr auf dem gleichen Level wie Tefek. Allerdings haben wir diesmal einen Becher, nein zwei, jeder einen, verwendet. In dem Falle reichte das spielerische Glück nicht ganz aus, zumindest vorübergehend. Der rote Paul hatte sein ganzes Barvermögen verloren. Und wenn man mit Micha und Detlef etwas zusammen macht, bekommt man sein Geld auch, er hatte alles bar bezahlt. Es waren 2600 DM. Nun wurde sein Kumpel losgeschickt, um weiteres Geld zu holen.
Na, dann kann ich ja weiter spielen. Und beim Backgammon gibt es noch ein paar Sonderregeln. Wir hatten 40 DM pro Punkt gespielt. Ich hatte genau 65 Punkte gewonnen. Wir haben mit „Ablehnen“ gespielt. Dabei hatten beide Parteien die Chance, den ersten Wurf abzulehnen. Wenn man es tat, wurde der Einsatz damit verdoppelt. Der Verdopplungswürfel wurde auf 2 gestellt, manchmal gar auf 4. Ideal, wenn man im Brand ist, viel verloren hat: Immer ablehnen, Würfel hochdrehen.
Es gibt eine weitere Sonderregel. Die geht so: Wenn der Gegner doppelt, dann kann man den Würfel annehmen oder ablehnen (ablehnen tun nur Mickymäuse, ein richtiger Mann nimmt an). Aber man kann auch Bibern! Nicht zu verwechseln also mit Bibbern, das tun ja gerade die, die ablehnen, die haben nämlich Angst. Also Bibern tun nur richtige Kerle.
Dabei verdoppelt man den Würfel ein weiteres Mal, behält ihn aber auf der eigenen Seite, kann bei passender Gelegenheit auch wieder zurückdoppeln.
Ich befand mich im Gewinnrausch. Allerdings, wenn man 2600 durch 3 teilt, dann hatte ich das Geld, was ich an Tefek verloren hatte, noch nicht einmal wieder raus. Jedenfalls in dieser Partie war der Würfel schon hochgedreht auf 8. Es ging um 8*40, 320 DM. Man konnte auch doppelt verlieren. In jenem Fall 640 DM. Na gut, wenn es passieren sollte. Der Geldmann war noch nicht zurück. Würde er überhaupt kommen? Also wenn ich die Partie gewonnen hätte, hätten wir sowieso warten müssen. Wenn ich verliere, geht es weiter. Der rote Paul hatte seine Chance: Es war eine äußerst komplizierte Stellung mit beiderseitigen, verteilten Chancen, in der Fachsprache nennt man einen derartigen Stellungstyp auch „two-way-gammon“. Beide können doppelt gewinnen, aber auch doppelt verlieren.
Paul hatte seine Chance. Er verdoppelte. Das würde man natürlich absolut nicht tun, wenn man nicht gerade erheblich im Brand wäre. Der Würfel war bereits auf 8, er verdoppelte auf 16. Nun hatte ich drei Möglichkeiten: Wegschmeißen, aufgeben. Das machen nur Mäuse eben (man könnte auch sagen: die Vernünftigen). Oder man nimmt an. Das wäre vielleicht vertretbar. Aber immerhin weiß ich gar nicht, was ich gewinnen kann. Vielleicht 0? Da ergibt sich eine ganz andere Art der equity-Berechnung!
Und was tat ich? Sie wissen schon. Ich bin ein richtiger Kerl. Halt ein Riesenfreier. Ein richtiger Hirni. Ich habe gebibert, den Würfel angenommen und auf meiner Seite verdoppelt, er stand jetzt auf 32. Ich habe die Partie doppelt verloren. Aus dem „two-way-gammon“ wurde ein „one-way-gammon“. Und der one-way lief in meine Richtung. 2*32 macht 64. Ich zahlte die 2560 DM aus. Die Sitzung war sofort beendet. Paul war aus dem Brand, das genügte ihm. Gespielt haben wir dann auch nie wieder.
Und was war dann? Na, ganz einfach: Das Turnier war geplatzt, ich heiße seitdem Biber-Dirk und schulde Lothar wahrscheinlich noch 2 DM. Weil die 13 DM die mir blieben reichten einfach nicht für zwei Kaffee, zwei Wasser und ein Hot-Dog…
Und die Moral? Die schenk ich mir
Nur dieses noch: allein die Gier
Und– sagen wir – Geschick im Spiel
Reicht lange nicht. Es fehlt noch viel.
Vor allem: lern zu unterscheiden
Wer ist klüger von den Beiden?
Doch nicht der, der es versteht
Den besten Zug zu sehn, der geht?
Eher der, der etwas fand,
sei ´s mit Becher, mit der Hand,
das ihm Würfelglück beschied
dem ´s egal, was er auch zieht
Hauptsache, er trifft den Stein
Im Moment wo es soll sein.
Diesem Herrn steht die Welt offen.
Er muss nicht mal lange hoffen.
Gewisslich findet sich alsbald
Jemand der ihm sein Gehalt
Verschafft – und der auch gerne zahlt.
Wenn dein eignes Geld dann alle
Geh nach Hause. Doch im Falle
Dass du weiterspielst, denk nach,
sei auf der Hut, gemach, gemach.
Alles kriegst du nicht zurück
Wenn du willst, versuch dein Glück.
Spiele gut, bleib, der du bist
Auch das Kleinvieh, das macht Mist.
Wenn du was gewinnst, sei froh
Besser etwas als zero.
Der, der höflich und bescheiden
Bleibt muss wen´ger drunter leiden
Wenn er ordentlich verliert
Sicher, sicher, das passiert.
Alles hilft, auch Haare raufen.
Morgen kann´s schon besser laufen
Wenn du den Verstand behältst —
Und sei´s nur wegen des Geld´s.
Und den Rat hier noch, mein lieber
Dirk, mach alles – nur kein Biber.