Sofern man politisch – selbst wenn „nur“ Sport- — brisante Thesen aufstellt, gerät man recht bald in die Pflicht, die Aussagen untermauern zu können mit anschaulichen, nachvollziehbaren Beweisen. Wobei der Begriff “Beweis”, aus der Mathematik entlehnt, vielleicht ein bisschen hoch gegriffen ist. Was wäre an einer schon “beweisbar”?
Umfragen zu führen wären zwar Möglichkeit, ob diese aber zwingend repräsentativ wären? Es muss noch etwas mehr geben, eine andere Möglichkeit. Ein Vorschlag wäre, für jede der Kernaussagen ein Experiment durchzuführen. Selbst wenn es an dieser Stelle vermutlich hauptsächlich eines der Gedanken zu bleiben hätte.
Die beiden brisanten Thesen lauten so, zugleich jene eng verwoben mit dem Gesamtanliegen hier:
- Die Kommentatoren betreiben eine “Spielanalyse” fast ausschließlich anhand eines Zwichenergebnisses oder Endresultats.
- Die Schiedsrichter können kritische Spielszenen nur anhand des Ortes beurteilen, wo diese stattfinden.
Zu 1) Es gibt zumindest zwei Differenzierungen, welche bei dieser Aussage selbst vorzunehmen sind: handelt es sich um einen Live Bericht oder eine Nachbetrachtung?
Bei einem Live Bericht ist zu beachten, dass im Moment der “Spielanalyse” lediglich das Zwischenergebnis bekannt ist. Insofern würde sich der Sprecher stets auf dünnem Eis bewegen: die soeben kritisierte Mannschaft erzielt zwei plötzliche Tore und dreht ein Spiel. Wohin nun mit den Kritikpunkten? Hat er sich etwa vertan?
Bei einer Nachkommentierung ist er allerdings fein raus: er kennt bereits das Endergebnis und kann jeden anschließend gesprochenen Kommentar an dieses Ergebnis anpassen. Das mag zwar für ihn ein Vorteil sein, die viel wichtigere Frage wäre jedoch: inwieweit gefällt dem Zuschauer/Zuhörer dies?
In beiden Fällen bleibt die hier geäußerte Kritik daran, dass es eine Art ist, sich Fachkompetenz zu holen, sie vorzugaukeln, indem man sein Fähnchen immer nach dem Wind stellt. Man verkauft jeden Sieger als verdient, weil man einfach sagt, dass nun mal die Tore zählen oder dass man sich für gute Szenen nichts kaufen kann, das die Effektivität fehlte oder die mangelnde Chancenverwertung gepaart mit ein paar Abwehrschnitzern verantwortlich waren. Die Worte „Glück“ oder „Pech“ werden tunlichst vermieden. So wahr sie wären, man würde sich damit als Laie zu erkennen geben, so die Befürchtung. Ein wahrer Experte, so scheint die Ansicht, hat immer eine Erklärung.
Bei einem Live Bericht könnte zwar der Berichterstatter dabei mal hier und da blöd aussehen – aus dem genannten Grund: eine durchgehend aufgrund eines 0:1 Zwischenstandes zerrissene Leistung wird kurzfristig in ein 2:1 verwandelt –, jedoch schert ihn das höchst wenig. Der Gegner hat sich zu blöd angestellt, zu passiv verhalten, schon eine Weile lang, und gerade bei diesem (und jenem) Treffer eine Kette von anfängerhaften Fehlern begangen.
Dies zunächst eine Art Rekapitulation der Sachlage,
Dass diese Art der Berichterstattung weder unterhaltsam noch ansatzweise wahr ist, scheint ein untergeordnetes Problem. Man kann es erklären. Es ist nun mal so ausgegangen. Basta. Wie schön es andernfalls wäre – wie im Ausland x-fach beobachtet –, indem man die Begriffe wieder integriert, könnte nur die (hoffentlich durch die Texte hier ausgelöste, herbeigesehnte) Praxis in einer wohl eher fernen Zukunft zeigen.
Bei der ersten hier vorgestellten Beweistechnik würde man einem der Dreiviertelgötter ein Spiel zur Kommentierung vorspielen, welches bereits beendet ist – ohne dessen Wissen über den Ausgang – und bei denen außer den Toren alles zu sehen ist. Wer sich darauf einließe, würde sehr bald feststellen, dass die Aneinanderreihung von beliebigen Floskeln nur aufgrund der Bekanntheit des Ausgangs der einzelnen Szene oder des gesamten Spiels möglich wird. Entfällt diese Kenntnis, fehlt der feste Boden unter den Füßen, man wäre mit seiner kompletten (mangelnden)Weisheit auf sich alleine gestellt und müsste urplötzlich ein längst vergessenes Fußballverständnis hervorkramen, um überhaupt irgendetwas sagen zu können. Diese Aktion war gut, diese war nicht so gut. Diese Mannschaft hätte den Sieg verdient, auch ohne Kenntnis des Endergebnisses.
Nur: Keiner würde sich darauf einlassen, das steht außer Frage. Es sollte sich nur jeder, der ein Spiel kommentiert einmal netterweise überlegen, ob er nicht tatsächlich die Qualität einer Aktion ausschließlich aus deren Resultat abzulesen versucht?
Eine andere Art der Beweistechnik ist eigentlich noch viel einfacher und auch überzeugender. Das Experiment mag jeder zunächst für sich selbst durchführen, und es funktioniert kurioserweise sogar ohne (ausreichende) Kenntnisse der englischen Sprache: Ein Spiel anschauen/hören mit englischem Kommentar dazu. Man stellt sofort, nur anhand des Tonfalles, fest, dass diese Sprecher gewillt sind, eine empfundene Spannung zu vermitteln. Die Sprecher sind erwartungsfroh, was die einzelnen Spielszenen angeht, aber auch den Ausgang des gesamten Spiels, sie haben keinerlei Absicht, sich als Propheten zu versuchen oder dem Zuhörer etwas vorwegzunehmen. Dies wird vermittelt, dies erzeugt eine empfundene, angenehme Atmosphäre, selbst wenn man als Zuschauer nicht Fan einer der beiden Mannschaften ist. Es ist Fußball – das macht Spaß – das musst du schauen.
Sofern Verständnisschwierigkeiten bestünden, mag man sich gerne einen Übersetzer heranholen, der über die reinen Inhalte Aufklärung verschafft. Jedenfalls würden diese im Verhältnis zu deutschen Kommentaren von der Qualität her in etwa ausfallen wie ein Vergleich in Mathe von Hochschulprofessor zu Grundschüler. Sofern davon Entrüstung ausgelöst und darüber Zweifel bestehen, so sollte man zunächst den Test durchführen, und erst dann die Peitsche herausholen.