Was wäre wenn… eine von einem Fehlpfiff unterbundene Toraktion für das gleiche Aufsehen sorgen würde wie ein durch einen Fehlpfiff anerkanntes Tor?
Das hört sich vielleicht ein wenig kompliziert an, gerade als Überschrift? Das Problem selbst kann aber gerne und recht einfach erläutert werden. Dennoch muss man auch hier ein wenig weiter ausholen.
Ein erzieltes Tor, welches Anerkennung findet, sorgt nicht nur für den Jubel bei den eigenen Fans, den absoluten vorstellbaren maximalen Climax, das reine Glücksgefühl bei demjenigen, der so lange fiebernd darauf gewartet hat, den Adrenalinausstoß, welchen einen weiterhin als Anhänger bei diesem Spiel bleiben lässt, trotz anerkannter häufig langer und andauernder Leidenszeit. Nein, ein anerkannter Treffer sorgt zusätzlich für einen Eintrag in das Scoresheet, findet Niederschlag auf der Anzeigentafel, erhält Eintrag in die Tabelle, bringt (meist) einen Torschützen hervor, der noch mehr, länger und ausgiebiger gefeiert werden kann, vielleicht sogar in der Folge eine Meisterschaft, einen Aufstieg, das erfüllte Saisonziel und weiterhin einen geehrten Torschützenkönig?
Jedenfalls ist ein Tor noch immer das – und eben nicht nur bei den Fans sondern auch bei den neutralen Zuschauern, die vielleicht nur eine Zusammenfassung schauen oder die lediglich auf die Endergebnisse und den Tabellenstand schauen –, was zählt.
Ein fallendes Tor ist die absolute Ausnahme, kein Tor ist der Normalzustand. Er hält fast durchgehend an – es fällt einfach kein Tor. Nicht bei diesem Angriff und nicht beim nächsten. Die durchschnittlichen Wartezeit auf ein Tor liegt bei über 30 Minuten derzeit, weltweit gesehen, was man einem nicht einmal auf einen Bus oder Zug zumuten würde, wenn man ein Fahrziel im öffentlichen Nahverkehr erreichen möchte. Es ist sozusagen ziemlich sinnlos, im nächsten Moment auf ein Tor zu warten. Man muss es geschehen lassen. Und dürfte sich dann freuen. Die wenigen Anhänger der das Tor kassierenden Mannschaft sowie deren Spieler, Trainer, Manager, Vorstand, was auch immer, sind eine kleine Minderheit und werden mehr als aufgewogen, wenn es doch passiert, von jenen, die sich so überschwänglich freuen. Weil es nämlich alle Freunde des Spiels sein müssten, die einfach so dabei sind.
Es fällt kein Tor. Das war die Aussage. Und eben nicht nur, dass das der Normalzustand ist, nein, man gewöhnt sich auch an einen Spielstand. Dies ein wesentlicher Aspekt. Auch der Schiedsrichter tut dies. Alle im Stadion, an den Fernsehschirmen, vor den Livetickern, im Videotext oder bei Ergebnisservern: es ist „normal“, dass sich ein Spielstand lange Zeit nicht verändert. Es ist der Status quo. Es ist nicht gar so leicht, an jenem zu rütteln – wie ebenfalls im Kapitel über die Starre der Regeln erläutert wird. Man richtet sich damit ein und möchte irgendwie, dass es so erhalten bleibt.
Nun wäre entsprechend ein anerkanntes Tor das, was diesen Zustand durcheinander bringt. Mag sein, dass sich etliche darüber freuen würden, aber vor dem Torerfolg steht ja auch noch dessen Anerkennung beziehungsweise das Zulassen der Torchance. Und hier beginnen bereits die leichten Einschränkungen. Man könnte sagen, dass, wenn eine Mannschaft einen richtigen Angriff fährt, dieser den Status Quo in Gefahr bringt, den Zustand gefährdet, an welchen man sich gewöhnt hat.
Das große Problem bei Torerfolgen taucht in diesem Moment auf. Der Schiedsrichter hat eine gewisse Sorge davor, dass auch alles mit rechten Dingen zugegangen ist, wenn er ein Tor zulässt beziehungsweise allein schon in der Entstehung alles für regulär erklärt. Vielleicht war da einer mit dem Arm am Ball, unmerklich nur, oder dort hat einer leicht geschoben und mir wäre es entgangen? Dort war ein Spieler vielleicht am Rande der Abseitsgrenze und ich habe ihn nicht aufgehalten mit dem eigentlich erforderlichen Abseitspfiff? Sie sollen sich doch ruhig und gerne freuen, das täte ich auch. Aber es muss doch bitte alles den Regeln entsprechend zugegangen sein. Sonst – und dies nun allmählich zum entscheidenden Aspekt vordringend – bin ich der Buhmann.
Es ist bei den so selten auftretenden, aber Eintrag in Ergebnis und Tabelle findenden Ereignissen eines Torerfolges, rein intuitiv gesprochen, bitte unbedingt darauf zu achten, dass hier ein jeglicher Fehler vermieden wird. Zum Teil, weil es ( das Tor) so selten geschieht, zum Teil, weil es diesen Eintrag erhält und möglicherweise einer Mannschaft erheblichen Schaden – Abstieg? Europapokal verfehlt? Kein Titel? – zufügt, welcher vermeidbar gewesen wäre, wenn man die Situation richtig erkannt hätte. Also man muss vor allem darauf achten, dass ein jedes Tor absolut einwandfrei war und regulär zustande gekommen ist.
Nun kann man sich für einen Moment mit der gegenteiligen Ausprägung beschäftigen: ein Abseits wurde erkannt, welches nicht existierte (im englischen ist das Gegenteil von „offside“ übrigens „onside“; übersetzt müsste es eigentlich heißen: der Spieler war nicht abseits, er war „diesseits“, wobei man dort vermutlich esotherisches Gedankengut vermuten würde?). Oder einem Elfmeter wurde die Anerkennung verweigert, welches sich im Urteil sämtlicher Experten als Fehler nachweisen ließ. All diese Entscheidungen haben lediglich einen möglichen Eintrag in Ergebnistafel und Tabelle unterdrückt.
Hier gibt es sogar noch den weiteren Aspekt: falls es den Elfmeter gegeben hätte, wäre es noch lange kein Tor. Der müsste erst noch rein gehen. Wenn ein Spieler fälschlich von der Abseitsfahne gestoppt würde, hätte er noch lange nicht sicher ins Netz getroffen. Falls der Schiri also einen Fehler in diesem Sinne machen würde, stünde stets ein Fehler von weit weniger als einem Tor nachteilig in seiner Beurteilung. Also sozusagen das „wenn, hätte und aber“ steht dem vor, und auf dies darf man sich selbstverständlich nicht berufen. Täte dies ein Trainer zum Beispiel, dann wollte er damit lediglich von den wahrhaftigen Gründen für die Niederlage ablenken oder suchte die Schuld beim Schiedsrichter, anstatt sich mit den Problemen in seinem Team zu beschäftigen. Es gälte ohnehin als laienhafte Darstellung, sich auf einen derartigen Fehler zu berufen, welcher ein nicht erfolgreiches Ergebnis rechtfertigen sollte.
Anerkanntes Tor, welchem ein Fehler zugrunde lag: er hat die Dimension eins ganzen Tores. Aberkannte Torchance, meist als Abseits oder nicht gegebener Elfer: weniger als ein Tor. Welchen Fehler hätte man lieber begangen, wenn überahupt einen?
Es stehen also zwei Möglichkeiten einander gegenüber, wenn man sich zunächst in die Schiedsrichter hineinversetzt: einen möglichen Fehler begehen, welcher ein Tor zulässt oder einen möglichen Fehler begehen, welcher einem Torerfolg im Wege steht? Die Gründe bereits alle genannt: er entscheidet sich bevorzugt für die Variante b): wenn schon ein Fehler, dann lieber einer, der ein Tor nicht zulässt. All dies geschieht noch immer „rein intuitiv“, insofern werden hier keinerlei Vorwürfe erhoben. Zumal der Schiedsrichter sein Zeugnis ja sieht und bekommt – und in jenem nur dann eine schlechte Beurteilung vorfindet, wenn er den Fehler eines ganzen Tores begangen hat. Dies wäre auch bei verhängten Elfern der Fall, welche als Schwalben identifiziert worden wären. Hier würde die Aufmerksamkeit nur dann in die Höhe schnellen, wenn der Elfer verwandelt wurde – und der Fehler somit die erwähnte Dimension annimmt. Falls er nicht reingeht spricht man schlicht von „ausgleichender Gerechtigkeit“ und deckt den Mantel des Schweigens darüber. Nichts passiert, warum und worüber aufregen?
Falls also ein Vorwurf, dann könnte er lediglich diejeingen betreffen, die die Zeugnisse ausstellen. Wobei dies in erster Linie (mal wieder) die Medien sind, die Vorfälle herauspicken und diese hochkochen – oder anderen unter den Tisch kehren.
Es bleibt jedoch dabei, dass die allgemeinen Reaktionen als erklärbar eingestuft werden und somit jegliche Bösartigkeit darin entfällt. Sie reagieren so, weil sie… Die Erklärungen jedoch muss man sich unter Umständen so gefallen lassen wie hier niedergeschrieben. Oder eine bessere anbieten. Nur müsste diese schlüssig sein und zugleich die Faktenlage berücksichtigen.
Um nur noch diesen einen Gedanken loszuwerden: falls man sich an Fehler erinnert oder irgendjemanden befragt, welcher ihm spontan ins Gedächtnis kommt, dann sind es fast immer grobe Fehler, welche ein Tor zugelassen haben, welches nicht regulär war. Dies ist vermutlich zwar zum Teil der dem Fehler gewidmeten Aufmnerksamkeit geschuldet, zugleich den anderen genannten Begründungen („Ja, das Spiel haben wir wegen dieses Fehlers verloren. Sonst wären wir in der Tabelle vor denen.“ Um nur ein Beispiel anzugeben; niemand würde sagen: „Wenn er da nicht die Abseitsfahne gehoben hätte und unser Stürmer allein vor dem Torwart aufgetaucht wäre und dann noch getroffen hätte, dann wären wir vor denen gewesen. Und Abseits war es ja nicht, wie die Zeitlupe gezeigt hat.“). Jedoch gibt es in Wahrheit weitere Winkelzüge des Gehirns, welche geeignet sind, uns den Blick zu verklären.
Denn: die verstärkte Wahrnehmung dieser Fehler, die sozusagen jedermann erfasst, der diesen Text noch nicht gelesen und verinnerlicht hat, hat somit den Charakter, eine größere Anzahl von anders ausfallenden Fehlern zu übertünchen. Also: die Anzahl der Fehler, welche einem Torerfolg – hier immer den „möglichen“ in Gedanken behalten – im Wege stehen, ist weitaus höher als jene, die irreguläre Treffer zugelassen haben. Indem man nun die Aufmerksamkeit verstärkt darauf lenkt, erzeugt man das seelische Gleichgewicht. „Mal so falsch, mal so falsch, gleicht sich doch alles aus. Reg dich doch nicht auf!“
Nur könnte man diesen allerletzten Winkelzug als ultimativ fatal einstufen. Denn: gerade dadurch, dass es jeder intuitiv spürt und merkt, dass so gut wie alles gegen die Torerfolge gerichtet ist, sich aber nicht traut, dies auszusprechen, weil es das lebenslang aufgebaute scheinbar so stabile Gebäude „Fußball“ zum Einsturz bringen würde, werden die Fehler, die Tore zugelassen haben, mehr und mehr in den Fokuss gerückt. Wenn man also eine Diskussion hört, dann geht es fast nur noch darum, wie man vermeiden kann, dass ein irregulärer Treffer Anerkennung findet. Das kann und darf doch nun wirklich nicht passieren, das muss man doch einfach einsehen? Auch der Videobeweis wird nur diese Folgen haben, wie heute, August 2017, prognostiziert wird.
Das Denken geht überall und mehr und mehr in die falsche Richtung. Die Zuschauerunterhaltung, die Spannung, die Freude daran, alles unwichtige Kleinigkeiten, so behauptet man, Wichtig ist, dass nur Tore zählen, die auch regulär waren.
Die Auswirkungen sind über Jahre — jedoch nur bei aufmerksamer dahingehender Beobachtung — auffällig und deutlich anwachsend. Die Schiedsrichterentscheidungen haben eine Überschrift: Hauptsache kein Tor, dann ist alles gut. Wenn sich da ein Fehler eingeschlichen hätte: kein großes Problem. Umgekehrt: Drama. Um dies nur an einem einzigen Beispiel fest zu machen: wenn heute ein Eckball oder ein langer Freistoß in den Strafraum segelt, dann ertönt oftmals ein Pfiff noch während der Ball in der Luft ist. Die Entscheidung zu 99.9%: Freistoß für die Abwehr. Was gewesen sein soll? Das lässt sich nicht aufklären, aber Verlass ist darauf, dass es an etlichen Stellen Körperkontakt gab. Also könnte man dem Schiri so oder so keinen Vorwurf machen. Ein Kommentator, der live die Szene beurteilt, sagt schlicht diese Worte: „Da wird er irgendwas gesehen haben.“ Hat er zwar nicht, aber was spielt das für eine Rolle? Er pfeift einfach – und hat keinen Ärger zu befürchten. Da würde nicht einmal die Frage an ihn gerichtet werden, aber falls es doch jemand täte: „Warum haben Sie denn in der Szene gepfiffen?“ dann würde die Antwort genau so ausfallen: „Da hat irgendein Angreifer am Trikot gezogen.“ Oder was auch immer. Dass die Verteidiger kein bisschen weniger — eher sogar etwas mehr getan hätten (siehe Kapitel über das Friedensabkommen) — das spielt nicht die geringste Rolle. Sollte es zwar, tut es aber nicht.
Ein anerkanntes Tor, welches einen Makel hatte, ist aus diesen vielen genannten Gründen ein Fehler, welcher für hohe Aufmerksamkeit sorgt. Rechnet man trotz aller dieser Gegebenheiten dennoch einmal nach, wie groß der Einfluss eines Fehlers ist, welcher einem Treffer im Wege stand, dann kann man dennoch nur darauf kommen, dass diese einander gleichwertig gegenüber stehen müssten. Ob nun Tor anerkannt, welches nicht hätte zählen dürfen oder ein Tor, welches hätte fallen müssen/können/sollen, welchem die Anerkennung verweigert wurde, müssten sich als Fehler die Waage halten, auch in der Wahrnehmung. Möglicherweise jedoch erst nach aufmerksamem Studium dieses Textes und besonnenem Nachdenken darüber. Ein geklautes Tor ist genau so viel Wert wie ein irregulär zugelassenens. Darüber sollte Einigkeit bestehen.
Nun endlich mehr als Fazit auf die Überschrift eingehend: falls es gelänge, die Aufmerksamkeit gerechterweise gleich groß zu halten für Fehler beidseitiger Bauart, dann gäbe es erneut nur die üblichen Verdächtigen als Gewinner: die Gerechtigkeit und mit ihr der Fußball, die Spannung im Spiel, die Unterhaltung durch mehr zugelassenen Torszenen und Tore, den neutralen Zuschauer, der leider schon abgewandert ist aber sehr leicht zurück geholt werden könnte – wenn man auch diese Beobachtung hier bestätigt und auf sie eingeht im Sinne von „Beherzigung“.