Ja, die leidigen Trainerdiskussionen. Oder sind sie für die Medien etwa das “gefundene Fressen”, in Ermangelung der Fähigkeit, das Spiel selbst dem Zuschauer schmackhaft dazustellen? Spannende Szenen gekonnt kommentieren? Das war vielleicht mal. Heute wird nur ein Einheitsbrei mit negativem Anstrich heruntergeleiert, live und in Zusammenfassungen.
Folgen einer Trainerdiskussion: sehr häufig die Entlassung. Nur darf man in dem Zusammenhang ruhig ein paar Fragen stellen, wie es dazu kommt. Zum Beispiel: wo beginnt die „Diskussion“, Wer eröffnet sie? Wer setzt den Trainer unter den berühmten Druck? Wer hat ermittelt, dass der Trainer für den Verein und in der Situation nicht der richtige ist? Wer macht ihn zum „schwächsten Glied“? Wer liefert den Spielern die beliebten „Alibis“? Woher kommt eigentlich die Einschätzung, dass der Trainer irgendetwas falsch macht? Wer könnte “Erfolg” garantieren?
Nun ja, zugegeben, die Fragen sind suggestiv gestellt. Natürlich eröffnen die Medien die Diskussion. Auch an dieser Stelle empfiehlt sich eine etwas vielschichtigere Betrachtungsweise. Unter anderem gibt es nämlich den Aspekt, dass – aufgrund der an vielen anderen Stellen aufgezeigten Unfähigkeit, positive Aktionen, überhaupt, dramatische Spielgeschehen und spannende Verläufe einzufangen – es sonst einfach nichts zu berichten gibt. Die Berichterstattung soll aber nicht gänzlich einschlafen. Ein heutiger Spielbericht kommt einem Torezählen gleich. Die Analysen geben nichts weiter her als ein „letztendlich ist das Ergebnis verdient, da….“. Jedes Mal folgen leicht differenzierte Aneinanderreihungen von Allgemeinplätzen, die eigentlich nur ein Gesamtergebnis liefern und eine einzige (diese aber allgemeingültig) Satzergänzung zulässt: „… da im Fußball nun mal die Tore zählen.“
Man ist medienseitig quasi gezwungen, ein Randgeschehen aufzubauen, welches, wenn schon nicht positiv – was prinzipiell gar nicht in Frage kommt, da die sich meisten tatsächlich an der Journalistenfloskel „good news are no news“ zu orientieren scheinen –, dann kann man wenigstens dafür sorgen, dass ein paar Köpfe rollen. Irgendwo und irgendwie muss man doch für Spektakel sorgen?!
Dazu kommt, dass angeblich „jeder die Gesetze des Trainergeschäfts kennt“ – welche selbstverständlich von Medienseite schlichtweg in ihrer Art „installiert“ sind – und demnach die „Diskussion“ nach der zweiten Niederlage einfach „eröffnet“ wird, mit einer der so lächerlichen und so wenig menschlichen oder einfühlsamen Fragen an den Trainer — der gerade eben eine unglückliche Niederlage mit seiner Mannschaft einstecken musste –, die ohnehin von der Fachkompetenz her ausschließlich auf die Kenntnis der Ergebnisse gestützt ist, und die da lautet: „Glauben Sie, dass der Vorstand noch hinter Ihnen steht?“ oder „Erreichen Sie die Mannschaft noch?“ oder „Glauben Sie, dass Sie nächste Woche noch auf der Bank sitzen?“
So spielen die Medien einen herrlichen Doppelpass mit sich selbst. Die Printmedien nehmen den Ball auf und schreiben von den „Diskussionen um den Trainer“, während die nächsten Interviews sich wieder darauf stützen.
Damit ist das Lauffeuer entfacht. Die Spieler lesen das natürlich auch. Sie wussten nichts von Diskussionen, Sie arbeiten jede Woche, jeden Tag mit diesem Mann. Sie achten und schätzen ihn. Niederlagen tun niemals gut, dennoch probieren sie weiterhin, die Vorgaben umzusetzen. Sobald sie jedoch von den Diskussionen lesen – mit dem gewohnten Verweis auf die Bekanntheit der Gesetze – fangen sie untereinander auch zu diskutieren an. Aber nicht etwa, ob er der richtige Mann ist sondern vielmehr, ob er dem Druck standhalten wird?
Der nächste Schritt ist der, dass – fraglos von den ganzen lächerlichen und falschen „Analysen“, die dem Trainer einen falschen Umgang mit der Mannschaft oder eine falsche Taktik oder eine falsche Aufstellung bescheinigen wollen –, er wirklich seine Arbeit in Zweifel zu ziehen beginnt. Er liest, dass die Mannschaft mit diesem Spieler noch nie verloren hat, aber dass jener bereits drei Mal in seiner Karriere abgestiegen ist, oder dass sie im gewohnten, alten 4-3-2-1 unter dem Vorgänger exakt 1.4 Punkte pro Spiel erzielt haben, während sie jetzt., im 4-4-2 auf schlappe 0.98 Punkte kamen. Er beginnt, ohne besondere Erfordernisse, hier einen Spielerwechsel zu probieren, dort eine Umstellung in der Trainingsarbeit und hier eine Variation in der Taktik.
Die Spieler beginnen das zu spüren. Das alleine hätte aber noch nicht direkt die nachteilige Wirkung. Diese kommt erst in dem nächsten Schritt: das ist das geschaffene Alibi. Sowie nämlich das schwächste Glied in der Kette ausgemacht ist, weiß jeder – also die Spieler für diesen Fall auch –, dass vermutlich dieses Glied herausbrechen wird, lange, bevor sie selbst zur Verantwortung gezogen werden.
Danach und dadurch wird das Lauffeuer zum Flächenbrand. Sowie die Leistungsbereitschaft nicht mehr zu 100% da ist, nennt man es gar einen Teufelskreis, in welchem keine Ergebnisse mehr erzielt werden können. Die Rechtfertigung, die jeden einzelnen Spieler dazu bewegt, ist an sich recht einfach: „Wenn ich heute schwach spiele, passiert nur, dass wir vielleicht verlieren, nächste Woche einen neuen Mann auf der Bank haben und bei dem beginne ich wieder bei 0.“ Da das auf das Kollektiv ausgeweitet die Niederlage fast unvermeidlich macht, sind die nächsten Schritte wirklich vorgegeben.
Die Zuschauer stellen sich gegen die Mannschaft. Der Vorstand hat nur noch eine einzige Chance: Die berühmte Reißleine zu ziehen und – das schwächste Glied zu ersetzen.
Was hatte das alles mit Befähigungen des Mannes zu tun? Man sieht es ja auch tatsächlich: Das Trainerkarussell dreht sich weiter, drei Monate später ist der Mann wieder in Amt und Würden und führt die nächste Mannschaft – mit ein bisschen Glück – in die Euro-League — um dann am 12. Spieltag der nächsten Saison wieder entlassen zu werden.
Die Medien haben ganze Arbeit geleistet. Und das gilt wirklich genau so: Sie haben die ganze Arbeit geleistet. Es ist eine regelrechte Farce, eine Medienkampagne, die reine Machtdemonstration darstellt. Wir können für alles sorgen! Objektivität? Urteilsvermögen? Wahre Analysen? Alles völlig irrelevant. Die Fähigkeiten werden 1:1 in den Ergebnissen abgebildet, da gibt es nichts dran zu rütteln. Wenn sie schlecht sind, war die Arbeit schlecht. Geduld? Einen Spielstil, eine Taktik einstudieren? Glück oder Pech? Andere Kriterien? Fehlanzeige.
Der Zuschauer/Zuhörer/zahlende Fan soll sich in Ermangelung anderen, geschilderten, erlebten, entdeckten Ereignisreichtums in den Spielen an dem Spektakel der Medienkampagne bis hin zum rollenden Kopf „ergötzen“.
Nur sollte man wissen, dass es bei jedem Spiel eine Reihe von Glücksfaktoren gibt, die für den Ausgang verantwortlich sind. Und zwei Niederlagen hintereinander lassen garantiert keine Rückschlüsse auf die tägliche Trainingsarbeit zu, noch weniger auf die Befähigungen des Coaches.
Der Stuhl wird ausschließlich von den Medien angesägt – und später ab. Rücksichtslos. Das sind die einzig gültigen Gesetze. Wir machen die Gesetze, wir schreiben sie, wir rufen sie auf, wir orientieren uns an ihnen und wir setzen sie um. Hier gilt das Gesetz: wer mehr als ein Mal verliert ist unter Druck, wer drei Mal verliert muss zittern, beim vierten Mal war es das.
Sowie es gelingen würde, etwas aus Spielen und Spielverläufen herauszukitzeln, die tatsächlich vorhandenen Differenzierungen zu erkennen, den gewichtigen Anteil des so kleinen Wörtchens „Zufall“, der sich auch serienweise entgegen dem einen und/oder zugunsten eines anderen neigen kann und ab einer gewissen Fülle zu Glück oder Pech wird, und vor allem die Augen öffnen würde, was tatsächlich jemand falsch und was richtig gemacht hat oder was gut und was schlecht war, unabhängig vom Ergebnis, dann könnten diese unmenschlichen Gesetze recht bald der Vergangenheit angehören.
Der Trainer und seine Arbeit sind und waren nicht schlecht. Entlassen ist er dennoch, um kurz darauf eine neue Anstellung zu finden und dort als “Heilsbringer” gefeiert zu werden. Da müsste man doch darauf kommen, dass er bei der vorherigen Entlassung lediglich Opfer einer Kampagne wurde?